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Beat Glogger: Herr Liechti, Sie erforschen, ob LSD bei psychischen Erkrankungen wirkt. Weitere Forschungsgruppen im In- und Ausland widmen sich seit etwa fünf Jahren derselben Frage. Warum ist die alte Droge LSD plötzlich wieder in Mode?

Matthias Liechti: Lange hat sich niemand getraut, damit zu arbeiten. Zwar war es in der Schweiz nicht explizit verboten, LSD zu erforschen, aber vor 20 Jahren hätte keine Forschungsgruppe das therapeutische Potenzial einer Droge untersuchen können. Man konnte höchstens damit forschen, wenn man zeigen wollte, wie gefährlich die Substanz ist. Heute ist es anders. Gegenwärtig entwickelt beispielsweise eine Non-Profit-Organisation aus Ecstasy ein Medikament – mit einem 25-Millionen-Budget. Und zwei Firmen wollen Psilocybin zu einem Medikament zur Behandlung von Depression entwickeln. Psilocybin ist der halluzinogene Inhaltsstoff der sogenannten Zauberpilze und wirkt vermutlich gleich wie LSD.

Warum sind Wirkstoffe aus Drogen attraktiv als Medikamente?

Für psychische Erkrankungen gibt es heute schlicht zu wenig wirksame Medikamente. Die grossen Pharmafirmen sind aus der Entwicklung mehr oder weniger ausgestiegen, weil sie nicht so erfolgsversprechend ist. Ich finde aber: Wenn LSD das Potenzial hat, eine Depression zu behandeln, müssen wir das genauer untersuchen.

Wie weit ist hier die Forschung?

Für Psilocybin gibt es bereits klinische Studien. Patienten mit Depressionen haben die Substanz nur einmal eingenommen, und die Wirkung war ähnlich wie die eines Antidepressivums. Die Wirkung hielt über Monate an.

Wenn das Potenzial zum Medikament also vorhanden ist, warum haben denn die grossen Pharmafirmen wenig Interesse an Stoffen wie LSD?

Aus verschiedenen Gründen: Erstens scheint es immer noch heikel, mit Stoffen zu arbeiten, die ein schlechtes Image als Droge haben. Aber eine Rolle spielt sicher auch, dass man auf LSD, Psilocybin oder auch Mescalin aus Kakteen kein Patent legen kann. Das sind entweder Naturstoffe oder sie sind schon lange bekannt. Und drittens ist es ein wenig attraktives Geschäftsmodell, ein Medikament auf den Markt zu bringen, das ein Patient vielleicht nur zwei- oder dreimal nehmen muss und dann bereits einen nachhaltigen positiven Effekt hat.

Matthias Liechti im Gespräch auf der Bühne von «Wissenschaft persönlich».Enzo Lopardo

Matthias Liechti im Gespräch auf der Bühne von «Wissenschaft persönlich».

Wie weit ist die Forschung mit LSD bei Patienten?
Bisher gibt es alte Studien aus den 50er und 60er Jahren. Dort fehlen aber viele Daten, zum Teil wurden die Versuche auch nicht sauber durchgeführt. Zudem gibt es eine neue Pilotstudie. Bei Angstpatienten sah man mit LSD zwar einen therapeutischen Effekt. Aber es fehlte eine Kontrollgruppe. Daher könnte es auch sein, dass die Patienten so stark an eine Wirkung glaubten, dass diese dann auch eintrat. Deshalb wird heute in einer klinischen Studie der Wirkstoff immer mit einem Placebo verglichen. Allerdings ist das mit halluzinogenen Substanzen nicht so einfach, denn die Patienten merken ja am Trip sofort, ob sie LSD oder nur eine Tablette ohne Wirkung erhalten haben.

Welche Krankheit haben die Patienten Ihrer Studie?
Wir untersuchen am Universitätsspital Basel aktuell nur Gesunde, um die Wirkung des LSD genauer kennenzulernen. Aber wir sind auch beteiligt an Studien mit Menschen, die an einer schweren Krankheit wie Krebs leiden und wissen, dass sie daran sterben werden. Viele dieser Patienten leiden zusätzlich an Ängsten. Es gibt Hinweise, dass LSD solchen Angstpatienten helfen kann. Unsere Studie ist nun grösser und professioneller angelegt als die früheren Untersuchungen: Wir arbeiten mit 40 Patienten und machen eine Placebokontrolle. Bis jetzt wissen wir aber nicht, ob LSD gegen die Ängste tatsächlich wirkt. Ergebnisse werden wir in drei Jahren haben.

Wie laufen klinische Versuche mit LSD ab?
Bevor wir begannen, kranke Menschen mit LSD zu behandeln, haben wir das LSD an Gesunden getestet, um schlimme Nebenwirkungen auszuschliessen und um herauszufinden, was sich im Gehirn während dem Trip verändert. Die Versuchspersonen wählten wir sehr genau aus. Sie dürfen an keinen psychiatrischen Krankheiten leiden. Und wir bereiteten sie auf das Experiment vor. Wir sagten ihnen, was alles passieren könnte, was sie Schönes oder weniger Schönes erleben könnten. Dann müssen die Patienten während des Versuchs den ganzen Tag und die ganze Nacht im Spital bleiben. Sie sind während der Wirkung nie alleine. Sogar wenn sie aufs WC gehen, müssen sie die Tür unverschlossen lassen, und ein Arzt wartet davor.

Der Effekt von LSD findet ja im Kopf der Probanden statt. Wie erfuhren Sie, wie es den Leuten während des Versuchs geht?
Indem wir sie fragten. Die Probanden füllten während des Versuchs Fragebögen aus und machten Tests am Computer. Zum Beispiel mussten sie die Emotionen in Gesichtern erkennen. Erstaunlich ist, dass die Probanden nicht etwa nur noch Fratzen sehen, sondern die Gesichtsausdrücke genau zuordnen konnten – wobei ihnen dies bei positiven Emotionen besser gelingt als bei negativen. Zusätzlich machten wir während des Experiments in einem Magnetresonanztomographen Bilder vom Gehirn der Probanden. So sahen wir, wie die verschiedenen Gehirnregionen unter dem Einfluss von LSD funktionieren, und was sich verändert.

Was sehen Sie?
Es gibt im Gehirn etwa zwölf gut bekannte Netzwerke aus Nervenzellen, die untereinander kommunizieren. Wenn man LSD nimmt, lösen sich diese Netze auf, und alles verbindet sich neu. Plötzlich sprechen Hirnareale mit andern, die vorher nichts miteinander zu tun hatten. Ich vergleiche das mit einer Firma, in der jede Abteilung normalerweise ziemlich isoliert ist. Aber eines Tages geht die ganze Firma auf einen Betriebsausflug, und plötzlich redet jeder mit jedem. Die Leute erleben zusammen etwas Schönes und Prägendes. Das kann für später einiges verändern. Plötzlich grüsst vielleicht der CEO einen Mitarbeiter auf dem Gang, was er vorher nicht getan hätte. Eine solche nachhaltige Wirkung könnte es auch bei LSD und anderen psychoaktiven Drogen geben. Wir sehen im Hirnscan auch, dass zum Beispiel in einem Gehirnareal, das bei Depressionen eine Rolle spielt, eine langfristige Veränderung stattfindet – man geht davon aus, dass dort das Grübeln und Gedankenkreisen stattfindet. LSD könnte diesen Kreislauf unterbrechen.

Machen Sie Ihre Probanden durch die Versuche von LSD abhängig?
LSD ist ein Halluzinogen. Das erzeugt keine körperliche Abhängigkeit. Denn es aktiviert nicht wie andere Drogen und auch Alkohol oder Nikotin das körpereigene Belohnungssystem. Natürlich gibt es Leute, die das Erlebnis, das ihnen LSD gibt, immer wieder suchen. In unseren Versuchen sehen wir das aber nicht.

Halluzinogene Drogen sind bekannt dafür, dass sie einen Horrortrip auslösen können. Beobachten Sie das auch?
Wenn man die Leute fragt, ob der Trip insgesamt angenehm war, sagen praktisch alle Ja. Aber fast die Hälfte hat zu irgendeinem Zeitpunkt auch Angst. Während des Trips verliert man das Gefühl für die Zeit. Und so haben manche Angst, dass sie schon seit Tagen auf dem Trip sind und nicht mehr herunterkommen. Diese Probanden beruhigen wir, und versichern ihnen, dass der Trip wieder abklingen wird. Zum Teil erleben wir auch lustige Dinge. Zum Beispiel sagte uns ein Proband, er könne nichts trinken, denn es würde wieder aus ihm herauslaufen, da er ja im Moment gerade keinen Bauch habe. Einen richtigen Horrortrip erlitt keiner unserer bisher etwa 100 Probanden. Dennoch: Sogar in einem so behüteten Setting wie bei uns in der Klinik treten Ängste auf. Deshalb ist LSD für mich psychologisch eine heikle Substanz. So schön der Trip sein kann – plötzlich kann es drehen.

Sie haben selbst LSD genommen. Wie war es?
In der Schweiz kann man LSD nicht legal konsumieren. Allerdings habe ich im Rahmen von wissenschaftlichen Versuchen als Proband zwei, drei verschiedene Substanzen versucht. Ich erlebte Ähnliches wie andere: Muster, die von Musik bewegt werden, oder die Verschmelzung verschiedener Sinne. Aber was ich persönlich dabei erlebt habe, ist nicht so wichtig für meine Forschung. Mir geht es ja nicht um Einzelerlebnisse, sondern um mögliche Effekte bei ganzen Gruppen, die kranken Menschen helfen können.

Das Interview mit Matthias Liechti, der als Stellvertretender Chefarzt für Klinische Pharmakologie am Universitätsspital Basel arbeitet, entstand im Rahmen der Talk-Reihe «Wissenschaft persönlich» in der Stadtbibliothek Winterthur.

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«Wissenschaft persönlich» ist ein Live-Event, in dem Gäste aus der Wissenschaft nicht nur über Fakten reden, sondern auch über sich selbst – über ihre Begeisterung, ihre Niederlagen und ihre Träume. Der rund einstündige Talk findet regelmässig statt.
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