Das musst du wissen

  • Die Niere gehört laut Swisstransplant zu den meistgefragten Spenderorganen, gefolgt von Leber, Herz und Lunge.
  • Letztes Jahr starben in der Schweiz 72 Menschen, weil nicht rechtzeitig ein passendes Organ gefunden wurde.
  • Wer selber auf ein Spenderorgan warte, denke anders über das Thema, sagt ein Betroffener.
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Krebs – es ist wieder Krebs, ist sein erster Gedanke. «Nun also in der Niere.» Untersuch im Kantonsspital Graubünden, Dezember 2021. Christian Frey, gerade 61 geworden, lässt sich routinemässig durchchecken. Seit er vor 15 Jahren an Hodenkrebs erkrankte, muss er regelmässig zur Kontrolle. Sicherstellen, dass der Krebs nicht zurück ist, nicht an einem anderen Ort im Körper «gestreut hat», wie er sagt. Obschon dies eher unwahrscheinlich sei: Damals hatte der Tumor keine Ableger, nach der Bestrahlung galt der Krebs als besiegt. Doch als die Ärzte schlechte Nierenwerte feststellen, lässt ihn der Gedanke trotzdem kurz aufschrecken. Krebs? Das nicht – «Gottseidank» –, aber seine Nieren arbeiten nicht mehr, wie sie sollten. Der sogenannte Kreatininwert sei erhöht, sagen die Ärzte. Heisst: Die Niere, zuständig für das Ausscheiden von Schadstoffen aus dem Körper, filtere nicht mehr richtig. Allenfalls könnte es erblich bedingt sein. Schon die Grossmutter und der Vater hatten Nierenprobleme, erinnert sich Frey. Irgendwann fällt im Krankenhaus das Wort Spenderniere. Eine neue Niere? Eine Transplantation? Was bedeutet das, was kommt jetzt auf ihn zu? Der 61-Jährige ist voller Fragen.

«Dann habe ich halt Pech»

Was folgt, ist eine Odyssee an noch mehr Untersuchungen. Blutanalyse, Herzkontrolle, Magenspiegelung. Schliesslich müsse der Rest seines Körpers gesund sein, damit eine Transplantation überhaupt infrage komme.

zVg

Christian Frey, der auf eine Spenderniere wartet.

Christian Frey erzählt es am Telefon zuhause in Chur. Ausnahmsweise ist er an diesem Tag mal nicht von morgens bis abends unterwegs auf der Autobahn. Frey – am Handy meldet er sich mit «dä Christian» – ist Lastwagenchauffeur, fährt Tiefkühlprodukte von der West- in die Ostschweiz oder ins Tessin, etwa dreimal die Woche übernachtet er in seinem Sattelschlepper auf Raststätten. «Ein roter Vierzigtönner mit Bett und Standheizung», erzählt er nicht ohne Stolz. Ohne Schnörkel schildert er hingegen seine Geschichte, hin und wieder gespickt mit einer Portion Galgenhumor. Etwa, wenn man ihn fragt, wie sich das anfühlt – das Warten auf ein Organ, im Wissen, dass viele Menschen sterben, bevor es zur rettenden Transplantation kommt. Immerhin warten schweizweit fast 1500 Personen auf eine Niere – für 72 kam letztes Jahr jede Hilfe zu spät. «Wenn’s blöd läuft, habe ich halt Pech», sagt Christian Frey nüchtern. «Aber habe ich eine andere Wahl, als zu warten?» Er versuche einfach, nicht zu sehr ins Grübeln zu verfallen. Und überhaupt drohe ihm vermutlich zuerst die Dialyse, die medizinische Blutwäsche. «Nicht lustig» dürfte das werden: Zwei- bis dreimal die Woche für mehrere Stunden an einen Apparat angeschlossen zu sein, stelle er sich mühsam vor. «Ich wüsste gar nicht, wie ich das zeitlich machen sollte.»

Salziges Essen ist tabu

Als Nierenkranker, der noch keine Dialyse benötigt, steht Christian Frey nicht zuoberst auf der Warteliste für eine neue Niere bei Swisstransplant, der Schweizerischen Nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation. «Andere sind weitaus schlimmer dran als ich», ist er sich bewusst. Seine Einschränkungen seien überschaubar: Schmerzen hat er keine, lediglich ein Juckreiz der Haut plagt ihn – das komme von den Schadstoffen, die sich wegen der eingeschränkten Nierenfunktion in seinem Körper ansammeln, haben die Ärzte ihm erklärt. Achten muss er jedoch darauf, nicht zu viel Salziges zu essen und auf übermässig Alkohol zu verzichten. Dies würde seine Nieren zusätzlich belasten. Er müsse einfach versuchen, einigermassen gesund zu leben – «doch was heisst das schon?» Und dann sind da noch die vielen Tabletten. Zwölf am Tag muss er nehmen, neun am Morgen, drei am Abend. «Gegen alles Mögliche», sagt er: Bluthochdruck, Zucker, Harnsäure. Nicht alle verträgt sein Magen gleich gut. Die Details kenne er nicht – «bin ja schliesslich kein Arzt.» All das könnte wegfallen, wenn er eine Spenderniere bekäme. «Mein Alltag wäre fast wieder wie vorher», sagt Frey, bis auf die Tabletten, die alle Patienten nach einer Transplantation lebenslang einnehmen müssen, um eine Abstossung des Spenderorgans zu verhindern. Dies jedoch würde er gern in Kauf nehmen, sagt der Churer. «Die vielen Pillen bin ich mir ja gewohnt.»

Bei Christian Frey würde eine Spenderniere nicht etwa eine seiner bisherigen Nieren ersetzen, wie man sich dies als Laie vielleicht vorstellt. Vielmehr würde sie als zusätzliches Organ in sein Becken eingesetzt, was seit den 1950er-Jahren der gängigen Methode entspricht (siehe Box). So richtig vorstellen könne er sich das nicht, gibt Christian Frey offen zu – «Hauptsache, es funktioniert am Ende.» Ein bisschen Angst und Respekt habe er aber schon, wenn er daran denke, dass es eines Tages soweit kommen könnte. Im Ernstfall würde alles sehr schnell gehen, weiss er. Konkret, wenn plötzlich eine Niere verfügbar wird, die für die Patienten vor ihm auf der Liste nicht kompatibel ist. Dann müsste er innerhalb von zwei bis drei Stunden im Kantonsspital St. Gallen eintreffen. «Vollnarkose, Operation.» Kein einfacher Eingriff, weiss er.

Wann kommt der Tag X?

Wie lange es dauern könnte, bis eine solche Nierentransplantation für Christian Frey tatsächlich realistisch wird – er weiss es nicht. «Ein halbes Jahr, ein Jahr», vielleicht auch viel länger, haben ihm die Ärzte gesagt. Mit genauen Prognosen sind sie vorsichtig. Auch, wie lang der gelernte Automechaniker noch ohne Dialyse auskommt, steht in den Sternen.

Frey hofft, dass er darauf noch so lange wie möglich verzichten kann. Um seine Nierenwerte im Auge zu behalten, muss er diese alle drei Monate im Spital untersuchen lassen. «Hoffentlich sind sie noch stabil, hoffentlich ist noch alles, wie es sein soll», denkt er jedes Mal, wenn er das Krankenhaus verlässt. In der Regel kommt abends dann das Mail seiner Ärztin, das ihn aufatmen lässt. Alles gut soweit. Noch.

«Mir war nicht bewusst, wie wichtig es ist, sich darüber Gedanken zu machen, weil ich nicht selber betroffen war»Christian Frey

Zwischenzeitlich haben die Nierenspezialisten auch die Option einer Lebendspende geprüft, erzählt Frey. Dies ist in der Schweiz bei Nierenspenden sowie bei einem Teil der Leber möglich – rund hundert Menschen entscheiden sich pro Jahr dafür. Bei der sogenannt gerichteten Lebendspende handelt sich in den allermeisten Fällen um Spenden innerhalb der Familie oder zwischen Freunden. In diesem Fall weiss die spendende Person, wem das Organ zugeteilt wird. Bei Christian Frey tauchte die Frage auf, ob ihm vielleicht seine Partnerin oder eines seiner drei erwachsenen Kinder eine Niere «abtreten» könnte. Seine Freundin jedoch kommt nicht infrage: Sie hat selber keine Idealwerte – was zu einem Problem würde mit nur noch einer Niere. Und von seinen Kindern möchte Frey kein Spenderorgan, sagt er bestimmt. Sein älterer Sohn habe sich zwar testen lassen – auch seine Werte seien leicht auffällig. «Wer weiss, was ich ihnen vererbt habe», sagt Frey. «Ich möchte nicht, dass sie später ernsthaft krank werden, weil sie meinetwegen nur noch mit einer Niere leben.»

Eine klare Haltung

Seine Krankheit hat Christian Freys Sicht auf die Organspende verändert. Wie viele Menschen hat er hin und wieder darüber gelesen, aber sich nie vertieft damit befasst. «Mir war nicht bewusst, wie wichtig es ist, sich darüber Gedanken zu machen, weil ich nicht selber betroffen war», sagt er nachdenklich. Inzwischen hat er sich entschieden, dass auch er seine Organe spenden würde, wenn er damit Leben retten könne. Und er hat eine klare Haltung zum Thema: «Wer keine Organe spenden will, sollte selber auch keine bekommen», findet er. «Alles andere ist egoistisch.»

Auch in seinem Umfeld habe ein Umdenken stattgefunden. Er gehe offen mit seiner Geschichte um, erzähle Interessierten gern davon – ganz grundsätzlich, aber auch gerade jetzt vor der Abstimmung vom 15. Mai. «Wer selber betroffen ist oder jemanden kennt, der auf ein Organ wartet, denkt anders darüber», ist er überzeugt. Auch wenn er versuche, dem Thema in seinem Alltag nicht zu viel Gewicht zu geben: «Ganz ausblenden kann ich es nie.» Doch er habe gelernt, das Leben so zu nehmen, wie es komme. Sei es damals beim Krebs oder nun dem Warten auf ein Spenderorgan. «Wenn man eine solche Diagnose bekommt, denkt man erstmal, jetzt ist alles vorbei», sagt er. Doch irgendwie gehe es weiter. «Wie lange, darüber entscheiden nicht wir.»

So wird eine Spenderniere transplantiert

Eine Spenderniere wird seit 1954 in das kleine Becken transplantiert. «Dabei werden die eigenen Nieren in der Regel nie entfernt», sagt der Nierenspezialist und Transplantationsimmunologe Jürg Steiger, ärztlicher Direktor am Universitätsspital Basel. Somit habe ein transplantierter Patient immer drei, und nach der zweiten Transplantation zum Teil vier Nieren. Wie Steiger erklärt, gibt es nur zwei Ausnahmen, bei denen man von diesem Vorgehen abweicht: Erstens, wenn es im Körper keinen Platz für das zu transplantierende Organ gibt. Dies könne der Fall sein bei einer genetischen Nierenerkrankung, den sognannten Zystennieren. Die zweite Ausnahme ist, wenn von der eigenen Niere immer wieder Infektionen ausgehen.
Ab einer Nierenfunktion von nur noch fünfzehn Prozent kann man eine nierenkranke Person auf die Warteliste für eine Organspende setzen. Bei einer Nierenleistung von zehn Prozent werde in der Regel eine Nierenersatztherapie notwendig – also eine Dialyse oder eine Transplantation, erklärt Jürg Steiger. Dies könne allerdings variieren – von etwa sieben bis 15 Prozent. Der Grund, dass man Personen schon auf die Liste setzen kann, bevor die Nieren ganz ausfallen, ist folgender: So können die Patienten noch ohne Dialyse warten, da die Wartezeit auf eine Spenderniere je nach Blutgruppe etwa zwei bis fünf Jahre daure.
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