Das musst du wissen

  • Den CO₂-Ausstoss zu senken reicht nicht, um die Klimaerwärmung bis Ende des Jahrhunderts unter zwei Grad zu halten.
  • Dafür braucht es auch die zusätzliche Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre, sogenannte negative Emissionen.
  • Genügend CO₂ zu entnehmen aber braucht Ressourcen – und diese können die Länder nicht einzeln aufbringen. Nur zusammen.

Wir müssen das CO₂-Schlamassel aufräumen: Hunderte bis tausende von Gigatonnen CO₂ muss die Menschheit wieder aus der Atmosphäre entnehmen, wenn sie die globale Klimaerwärmung unter der kritischen Grenze von zwei Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten halten will. Alleine mit der starken Reduktion von CO₂-Emissionen schaffen wir das kaum noch, wie der Sonderbericht des Weltklimarates 2018 festhielt – ganz abgesehen davon, dass die Reduktionen nur langsam voranschreiten. Nur: Wer genau räumt auf?
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Allein schafft es kaum ein Land. Das ist das Fazit einer neuen Studie von Forschenden vom Imperial College London, der ETH Zürich und der Universität Cambridge, die nun im Fachmagazin Nature Climate Change erschienen ist. Was simpel klingt, ist das Resultat komplexer Berechnungen, mit denen die Wissenschaftler eine faire Verteilung der Aufräumarbeit untersuchten. Nur schon, was die verfügbaren Ressourcen angeht, kann kaum ein Land die Aufgabe alleine stemmen.

Je nach Klima-Szenario sollen der Atmosphäre 348 bis 1 218 Gigatonnen CO₂ entnommen werden, je nach Klimaszenario und Fortschreiten der Emissions-Eindämmung. In der Studie ist das Ziel ein Minus von 687 Gigatonnen – wie im mittleren Szenario im IPCC-Klimabericht. Zum Vergleich: Jährlich pafft die Weltbevölkerung rund 42 Gigatonnen CO₂ in die Atmosphäre.

Die Autoren betrachten vier Methoden, Kohlendioxid dauerhaft aus der Atmosphäre zu entziehen: Aufforstung, direkte Abscheidung aus der Luft (DACCS), Abscheidung bei der Gewinnung von Bioenergie (BECCS) und finale Lagerung des CO₂ in geologischen Formationen. Die Methoden bringen unterschiedliche Probleme: Während Aufforstung, Lagerung und Abscheidung bei der Gewinnung von Bioenergie viel Land braucht, ist die direkte Entnahme aus der Luft sehr energieintensiv und deshalb teuer. Das Autorenteam der Studie hat fast alle Staaten einer detaillierten globalen Analyse unterzogen und am Beispiel der EU ermittelt, wie sich die nationalen Potenziale nutzen lassen.

Science-Check ✓

Studie: Equity in allocating carbon dioxide removal quotasKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsWeitere Möglichkeiten, zum Beispiel ozeanbasierte CO₂-Entnahmemethoden fehlen in der Betrachtung, könnten aber einen Ausweg bieten. Schon wegen seiner Grösse besitzt der Ozean eine viel grössere Speicherkapazität für CO₂. Ausserdem ist es umstritten, ob es sinnvoll ist, die Eindämmungsmassnahmen und Entnahmeziele separat zu betrachten. Auch wurden technische, gesellschaftliche und politische Aspekte nicht beachtet. Die Studie ist deshalb als Gedankenexperiment zu verstehen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Was heisst fair?

Eine der Kernfragen dabei ist: Wie soll die CO₂-Rate, welche ein Land entnehmen muss, bestimmt werden? Die Autoren wenden hier drei Prinzipien an, welche bereits bei vorgängigen Klimadiskussionen zum Zug kamen. Erstens: die historische Verantwortung. Ein Land soll demnach mehr CO₂ entnehmen, wenn es seit der industriellen Revolution mehr Emissionen verursacht hat, als ein Land, dass weniger Emissionen kumuliert hat. Zweitens: das Potenzial. Länder, die mehr Möglichkeiten haben, negative Emissionen beizusteuern, sollen dies auch tun. Dies würde die reichen Länder stärker belasten als die armen. Und drittens: Gleichheit. Jeder Mensch, egal wo auf der Erde, hat das gleiche Recht, vor Luftverschmutzung geschützt zu werden. Und jeder Mensch hat auch die gleiche Verantwortung, sich um die Umwelt zu kümmern.

So weit, so gut. Wie diese drei Prinzipien nun aber gewichtet werden, ist nicht nur eine politisch und gesellschaftlich schwierige Frage, sondern es ergeben sich auch je nach Gewichtung völlig unterschiedliche Quoten. Würde alleine die Verantwortung zählen, dann müssten sieben Länder, nämlich Kuwait, Estland, Luxemburg, die USA, Grossbritannien, Tschechien und Kanada einen Viertel des angestrebten CO₂ aus der Atmosphäre entnehmen. Zählen hingegen die finanziellen Ressourcen, würden reichere Länder wie die Schweiz, Norwegen oder Japan etwa einen Fünftel der Arbeit leisten. Geht es wiederum um die Gleichheit, müssten die bevölkerungsstärksten Länder wie Indien, China, Nigeria, die USA und Pakistan 40 Prozent des CO₂ entfernen.

Was ist machbar?

Die Verteilung der Quoten aufgrund von Fairness ist das eine. Etwas ganz anders ist allerdings die Umsetzung. Die Forschenden berechnen, dass zum Beispiel in der EU nur drei Länder überhaupt in der Lage wären, ihre Quote bezüglich aller drei Prinzipien zu erfüllen, nämlich Spanien, Frankreich und Rumänien. Wegen der hohen Kosten nicht eingerechnet ist hier die direkte Entnahme von CO₂ aus der Luft.

Die Autoren schlagen deshalb vor, statt teuer Massnahmen lieber ein globales Handelssystem für negative Emissionen zu etablieren. «Die Aufgabe, die CO₂-Entnahmen zu kontingentieren, könnte dabei helfen, aus der gegenwärtigen Sackgasse zu finden», sagt Studienautor Ángel Galán-Martín von der ETH Zürich in einer Mitteilung. «Das könnte einen Anreiz für Länder schaffen, ihre nationalen Ziele mit den erwarteten, fairen Quoten abzugleichen». Der Forscher Wilfried Rickels, Leiter des Forschungsbereichs Umwelt und natürliche Ressourcen am Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel, gibt sich in einer Mitteilung des Science Media Centers diesbezüglich aber skeptisch: «Diese Verteilungsprinzipien sind bereits hinreichend bei der Verteilung der Emissions-Vermeidungen diskutiert worden, ignorieren aber die politische Realität», sagt er. «Hier werden bestehende, kaum praxisnahe Verteilungsprinzipien lediglich auf die Verteilung eines neuen Kuchens angewandt.» Auf dem Kuchen steht: Aufräumen!

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