Das musst du wissen

  • Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen als kältere, weshalb extreme Niederschläge heftiger ausfallen.
  • Die Klimaerwärmung führt dazu, dass Extremereignisse wie Starkregen wahrscheinlicher werden.
  • Manche Forschende vermuten, dass die Erwärmung zu mehr stationären Wetterlagen führt – Regen wird so eher zum Problem.
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Die Flutkatastrophe, die am 15. Juli Westdeutschland, Belgien und Luxemburg erfasste, hatte verschiedene Ursachen. An ihrem Anfang steht ein Tiefdruckgebiet: «Das Unwetter wurde durch das Tief Bernd ausgelöst, das feuchte und warme Luft nach Deutschland gebracht hat», sagt Douglas Maraun, Forscher für Regionales Klima an der Karl-Franzens-Universität Graz, gegenüber dem Science Media Center. Festgehalten von stationären Hochdruckgebieten über dem Atlantik und Nordosteuropa blieb Bernd über Tage nahezu ortsfest über Mitteleuropa. Und brachte dabei starke und vor allem sehr langanhaltende Regenfälle. Laut dem Deutschen Wetterdienst hat es eine vergleichbare Wetterlage zuletzt vor 15 Jahren gegeben.

Versagen der Behörden

Wettervorhersagemodelle hatten dieses Ereignis seit Tagen angedeutet und bereits drei Tage im Voraus zeichneten sich für die betroffenen Regionen sehr hohe Niederschlagsmengen ab. Schon am 10. Juli gab das europäische Hochwasser-Warnsystem Efas eine Warnung an deutsche Behörden ab. Eine Flutkatastrophe konnte dennoch nicht abgewendet werden – auch weil die Behörden zu spät reagierten. «Diese Informationen sind entweder nicht bei der Bevölkerung angekommen oder wurden nicht ernst genommen», sagt Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. Das sieht Hannah Cloke, Professorin für Hydrologie an der Universität Reading, die an dem Warnsystem Efas mitgearbeitet hat, ähnlich. Gegenüber der britischen Zeitung «The Times» sagte sie: «Die Tatsache, dass Menschen nicht evakuiert wurden oder die Warnungen nicht erhalten haben, legen nahe, dass etwas schiefgegangen ist». Es handle sich um ein «monumentales Systemversagen».

Doch auch die Topografie spielte eine Rolle. Einerseits waren die Böden in Mitteleuropa aufgrund der Niederschläge der letzten Wochen bereits gesättigt. Andererseits lagen die betroffenen Regionen in teils tief eingeschnittenen Flusstälern, was den Oberflächenabfluss verstärkte. Aus Flüssen wurden so reissende Ströme. Über 150 Menschen kamen ums Leben und Häuser sowie Infrastruktur liegen in Trümmern.

Sind Flutkatastrophen eine Folge des Klimawandels?

«Solche Wetterlagen treten ganz natürlich auch ohne Klimawandel auf, und auch ohne Klimawandel wären die Niederschläge heftig gewesen», sagt der Klimawissenschaftler Douglas Maraun. «Allerdings kann wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Man kann deshalb davon ausgehen, dass der Klimawandel die Niederschläge um sicher zehn bis zwanzig Prozent verstärkt hat.» Das sei eine Folge der Physik, erklärt Stefan Rahmstorf, Leiter des Forschungsbereiches Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, gegenüber dem Science Media Center. «Pro Grad Erwärmung kann die Luft sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen und dann auch abregnen», so Rahmstorf. «Weil mehr Wasser an starken Regentagen fällt, bleibt weniger für den Rest der Zeit. Denn der Wasserdampfnachschub durch Verdunstung nimmt nur um zwei bis drei Prozent pro Grad Erwärmung zu und kann daher die Zunahme um sieben Prozent pro Grad nicht ausgleichen.» Der Zürcher Klimaforscher Knutti ergänzt: «Das ist das gleiche Prinzip, wie im Tumbler: Die Kleider trocknen schneller, weil die warme Luft die Feuchtigkeit aufnimmt.» Dieses Prinzip ist seit über 170 Jahren bekannt – dass der Klimawandel deshalb Starkregen wahrscheinlicher macht, ist unter Experten unumstritten.

Ob nun genau diese Flutkatastrophe eine Folge der Erderwärmung sei, könne man aber nicht mit Sicherheit sagen, meint Stefan Rahmstorf. Man könne aber festhalten, dass derartige Ereignisse durch die Erderwärmung häufiger werden. Die Zunahme der Starkregen und die Abnahme von Tagen mit schwachem Regen sei in den Messdaten gut nachgewiesen, vor allem in den mittleren nördlichen Breiten, zu denen auch Deutschland gehört. Auch in der Schweiz zeigen die Daten eine Zunahme von einzelnen Starkniederschlägen.

Bewegen sich Wetterlagen langsamer fort?

Es gibt aber noch weitere Bedingungen, die sich mit der Klimaerwärmung verändern könnten. Eine Hypothese besagt, dass Wetterlagen künftig länger an einem Ort verweilen werden. Darauf deutet zum Beispiel eine neue Studie britischer Forschender hin.

Science-Check ✓

Studie: Quasi-Stationary Intense Rainstorms Spread Across Europe Under Climate ChangeKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsEs handelt sich um Modellierungen, die auf gewissen Annahmen beruhen. Sie müssen daher mit Vorsicht genossen werden und weitere Forschung muss die Resultate bestätigen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Solche stabilen Wetterlagen führten zu grossen akkumulierten Niederschlagsmengen was das Risiko für Hochwasser erhöhe. «Die Hypothese ist plausibel», sagt Reto Knutti, «dafür haben wir aber noch nicht genügend Belege.» Befürworter argumentieren so: Die Pole der Erde erwärmen sich stärker als die Tropen. So wird also der Temperaturunterschied zwischen den Gebieten kleiner. Der Temperaturunterschied aber ist es unter anderem, der den Jet-Stream antreibt, also die Höhenwinde, welche das Wetter massgeblich beeinflussen. Wenn der Temperaturunterschied kleiner wird, so die Theorie, dann beginnt der Jet-Stream zu mäandrieren, er spannt sich also eher wellenförmig von West nach Ost. «Zwischen diesen Schlangenlinien kommt es eher zu blockierten oder sich sehr langsam bewegenden Wetterlagen», erklärt Knutti. «In letzter Zeit hatten wir diese Situation», sagt er. «Die Hitzerekorde in Kanada und Irland hängen damit zusammen, und auch dass wir bei uns über Tage hinweg immer ähnliche Gewitterlage hatten». Denn die Wetterlage wurde von einem Hochdruckgebiet in Skandinavien blockiert. Dass solche Wetterlagen aber tatsächlich häufiger werden, dass zeigen nicht alle Klimamodelle.

Nicht unbedingt mehr Hochwasser

Starkregen aber wird mit der Klimaerwärmung häufiger – und damit steigt das Hochwasserrisiko. Damit müssen aber nicht unbedingt mehr Überflutungen und Schäden einhergehen, sagt Reto Knutti. «Bei Risiken kommt es auch auf die Verwundbarkeit an». Fällt starker Regen über unbewohntem Gebiet, das dann überschwemmt wird, ist das kein Problem. Ist die Region hingegen stark bewohnt und teuer bebaut, steigen die Schäden rasant.

Doch selbst dann lässt sich das Hochwasserrisiko durch Massnahmen sehr effizient senken. Einerseits durch bessere Wetterprognosen: «In der Schweiz wussten wir vier bis fünf Tage vorher, wann das Hochwasser kommen wird, und haben Massnahmen wie mobile Sperren ergriffen», so Knutti. «Die Schweiz ist geübt darin, mit Gefahren umzugehen. Das Land ist bezüglich Naturgefahren durchkartografiert.» Die Schäden durch Stürme und Hochwasser seien in den letzten Jahrzehnten denn auch etwa gleichgeblieben, denn die Gefahren fliessen beim Planen und Bauen mit ein.

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Auch der Hochwasserschutz wurde seit dem Jahrhunderthochwasser von 2005 ausgebaut: «Rückhaltebecken, Begradigungen, Verbauungen, Pegelabsenkungen – das sind alles sehr effiziente Massnahmen zur Senkung des Risikos.» Denn wie gebaut wird, ist entscheidend. «Früher baute man an der Aare nur Hochparterre, dann wurden nur die Keller überschwemmt», erinnert sich Knutti. Nun seien im Erdgeschoss an vielen Orten aber Läden eingezogen – was zu Schäden führe.

Das Hochwasser ist dieses Jahr für die Schweiz dennoch glimpflich ausgegangen. Das hat aber einiges gekostet: Seit 2005 haben Bund und Kantone rund 4,5 Milliarden Franken in Hochwasserschutz investiert.

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