Das musst du wissen

  • Eisbären im Süden Grönlands überleben, obschon der Klimawandel das Meereis in ihrem Lebensraum schwinden lässt.
  • Konkret nutzen sie Eisblöcke, die auf dem Wasser treiben, um Robben zu jagen.
  • Damit veranschaulichen diese Bären, wie sich die Grönlandbären unter künftigen Klimaszenarien verhalten könnten.

Der Eisbär ist das Totemtier des Klimawandels, das man sich auf einem treibenden Eisberg verloren vorstellt und von dem man befürchtet, dass es unser eigenes Schicksal vorwegnimmt. Der Eisbär – Ursus maritimus – ist besonders anfällig für den Klimawandel. Denn die Klimaerwärmung zerstört seinen Lebensraum und insbesondere das Meereis, von dem er für die Jagd und seinen Lebensunterhalt abhängt. Ein Forschungsteam hat in Südgrönland eine neue Population entdeckt, die seit einigen hundert Jahren isoliert ist und zwei Drittel des Jahres ohne Meereis auskommt.

Warum das eine gute Nachricht ist. Diese Eisbären überleben, weil sie eine einzigartige Jagdpraxis entwickelt haben: Wenn kein Packeis vorhanden ist, setzen sich die Eisbären auf das Süsswassereis, das von der Eiskappe abbricht, um ihre Beute zu verfolgen. Dieses Verhalten wurde noch nie zuvor beobachtet und beweist, dass die Evolution nicht die einzige treibende Kraft bei der Anpassung von Tieren an Klimaveränderungen ist.

Die Forscher berichten in der Fachzeitschrift Science über ihre Entdeckung, dass es sich um die zwanzigste Subpopulation dieser Art handelt. Warum hat man sich ausgerechnet für diese Region Grönlands interessiert, die für ihr raues Wetter und ihre zerklüftete Landschaft bekannt ist? Kristin Laidre, Forscherin am Labor für Angewandte Physik der Universität Washington und Hauptautorin der Studie, erklärt in einer Pressemitteilung:

«Wir wollten diese Region untersuchen, weil wir nicht viel über die Eisbären in Südostgrönland wussten, aber wir erwarteten nicht, dass wir dort eine neue Subpopulation finden würden. Wir wussten bereits aus Archiven und dem Wissen der Einheimischen, dass es in der Region Bären gibt, aber uns war nicht klar, wie einzigartig sie sind.»

«Faule» Eisbären. Diese Besonderheit geht auf die besonders einfallsreiche Jagdtechnik der Eisbären zurück. Im Gegensatz zu ihren Verwandten in Nordostgrönland, die auf der Jagd und zur Nahrungssuche weite Strecken entlang des Packeises zurücklegen, sind die Eisbären im Südosten fast schon faul. In Wirklichkeit profitieren sie von den Eisschollen, die durch das Schmelzen der Eisschilde entstehen und in den Fjorden angespült werden, wo sie auf Robbenjagd gehen.

In vier Tagen legen sie im Durchschnitt nur zehn Kilometer zurück, während ihre nordöstlichen Verwandten das Vierfache dieser Strecke unter ihre Pfoten nehmen. Und während Letztere manchmal mehr als 1500 Kilometer Packeis pro Jahr durchqueren, ist die südliche Bärenpopulation relativ häuslich. Einige der verfolgten Bären, die von der Küstenströmung getragen wurden, trieben sogar versehentlich bis zu mehreren hundert Kilometern entlang der Strömung, bevor sie zu Fuss zu ihrem Heimatfjord zurückkehrten.

Normalerweise würde man in diesen Breitengraden erwarten, dass die Bären aus Hunger nach Norden wandern würden. Denn es ist vor allem das Meereis, das den 26 000 Bären im hohen Norden durch die Robbenjagd Nahrung bietet. Doch im Süden der Arktis bildet sich das Meereis bereits jetzt nur noch vier Monate im Jahr, nämlich zwischen Februar und Ende Mai. Die Bären können es sich nicht leisten, acht Monate im Jahr zu fasten. Daher haben sie eine neue Strategie entwickelt: Sie sitzen auf Eisblöcken, die aus dem Fjord gefallen sind und auf dem Wasser treiben, um Robben jagen zu können.

Es ist nicht das erste Mal, dass atypisches Verhalten bei dieser Spezies beobachtet werden, erklärt die amerikanische Forscherin Elizabeth Peacock. Sie war zwar nicht an der Studie beteiligt, beschäftigt sich aber ebenfalls mit der Evolution von Eisbären. In einem Beitrag, der in derselben Ausgabe von Science erschienen ist, erläutert sie, dass es sich dabei um eine der grössten Herausforderungen der Menschheit handelt:

«Verschiedene Verhaltensweisen von Eisbären wurden bereits an anderen Orten beobachtet, zum Beispiel bei der Population in der südlichen Beaufortsee in Alaska. Dort bringen die Bärinnen ihre Jungen nicht mehr auf dem Eismeer zur Welt, sondern auf dem Festland. Oder in der Barentssee östlich der norwegischen Inselgruppe Svalbard. Dort unterteilen sich die Bärenpopulationen in zwei Gruppen: Die einen lassen sich auf dem Meereis nieder, andere an der Küste.»

Zukünftige Generationen. Eisbären werden erst spät geschlechtsreif: Männchen mit vier Jahren, Weibchen mit drei Jahren. Die Überlebensrate der jungen Eisbärinnen bis zu diesem Alter entscheidet über das Überleben der Art.

Die Bärinnen in Südostgrönland bringen im Frühjahr auch weniger Nachwuchs zur Welt als die Bärinnen in Nordgrönland. Die Forscher erklären dies damit, dass sie sich weniger weit entlang der Küste bewegen. Elizabeth Peacock sieht eine andere Erklärung: «Es könnte eine Form elterlicher Vorsicht sein – also die Fortpflanzung aufzuschieben, um das Überleben nicht zu gefährden. Spontane Aborte im Herbst, je nach Gesundheitszustand der Bärin, wurden bereits bei Eisbären dokumentiert.»

Lehren für die Zukunft. Die Forscher beginnen gerade erst zu verstehen, was bei Eisbären auf Anpassung hindeutet. Und diese neue Population im Süden Grönlands ist besonders interessant, da ihre Lebensbedingungen denen ähneln, die für die nördliche Arktis zum Ende des 21. Jahrhunderts vorhergesagt werden: mit einer eisfreien Jahreszeit, die hundert Tage länger ist als das, was bisher als Grenze für die Art angesehen wurde.

Kristin Laidre kommt zum Schluss:

«In einem gewissen Sinne zeigen diese Bären, wie sich die Grönlandbären unter bestimmten zukünftigen Klimaszenarien verhalten könnten. Der Zustand des Meereises in Südostgrönland heute ähnelt dem, was für Nordostgrönland am Ende dieses Jahrhunderts vorhergesagt wird.»

Fast vierzig Jahre an Daten. Die Studie ist das Ergebnis einer siebenjährigen Feldarbeit, die mit dreissig Jahren historischer Daten überschnitten wurde. Insgesamt stützten sich die Forscher auf:

  • die Bewegungen der Bären, die mit Hilfe von GPS-Halsbändern aufgezeichnet wurden,
  • demografische Daten, die durch Beobachtungen, Zählungen toter Bären oder den Fang lebender Bären bekannt wurden,
  • die Entwicklung der Eisdecke, die anhand von Satellitenbildern beobachtet wurde,
  • und schließlich die Jagdgewohnheiten der Inuit, die sich gut mit Eisbären auskennen.
Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von unserer Redaktorin Ramona Nock aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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