Das musst du wissen

  • Personalvermittler kontaktieren Ausländer je nach Herkunftsland vier bis 19 Prozent seltener als Schweizer.
  • In männerdominierten Berufen sind Frauen im Nachteil.
  • Das gilt umgekehrt auch für Männer, die in frauendominierten Berufen tätig sind.

Wie wählen Personalvermittler potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten auf Online-Plattformen aus? Wie beeinflusst das Geschlecht oder die Herkunft der Arbeitssuchenden die Wahrscheinlichkeit, dass sie kontaktiert werden? Diesen Fragen ging ein Team von Wissenschaftlern der ETH Zürich anhand der Daten einer grossen Schweizer Personalvermittlung nach. Ihre Studie publizierten sie im Fachmagazin Nature.

Warum es interessant ist. Die Ergebnisse bestätigen den bereits in früheren Untersuchungen gut dokumentierten negativen Einfluss der ausländischen Herkunft bei der Arbeitssuche. Sie offenbaren auch ein überraschendes Phänomen: Die Diskriminierung ist vor der Mittagszeit und am Ende des Tages stärker ausgeprägt. Je nach Tätigkeitsbereich sind sowohl Frauen als auch Männer benachteiligt.

Wie die Wissenschaftler vorgingen. Zehn Monate lang, von März bis Dezember 2017, beobachteten sie, wie Personalvermittlern aus der ganzen Schweiz auf der JobRoom-Plattform des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO nach Kandidaten suchten. Diese Plattform führt die Profile von fast allen registrierten Arbeitslosen im Land auf, aber auch von Menschen, die einfach nur einen neuen Job suchen.

Die Forschenden sammelten alle verfügbaren Informationen über die Kandidaten auf der Plattform und zeichneten alle Klicks der Personalvermittlern auf. Anschliessend untersuchten sie, wie viel Zeit die Personalvermittler mit jedem Lebenslauf verbrachten und wie oft die Vermittler eine Person kontaktierten. Die Forschenden erfassten zudem, zu welcher Tageszeit die Suchen durchgeführt wurden. Insgesamt analysierte das Wissenschaftlerteam 3,4 Millionen Ansichten von Lebensläufen.

Die Innovation. Um zu beurteilen, ob es bei der Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern zu Diskriminierung kommt, arbeiten Forschende in der Regel mit fiktiven Lebensläufen, die bis auf bestimmte unterschiedliche Elemente wie Nationalität oder Geschlecht identisch sind. Diese Methode ist aber sehr aufwendig, sodass nicht beliebig viele solcher Lebensläufe verschickt werden können. Der neue Ansatz der Schweizer Studie über die JobRoom-Plattform erlaubte es den Forschenden nun aber, eine Vielzahl von Merkmalen in grossem Massstab zu testen.

Ausländer werden diskriminiert. Die Forschenden stellten fest, dass Arbeitgeber genauso viel Zeit auf die Lebensläufe von Schweizer und ausländischen Bewerberinnen und Bewerber verwendeten. Ausländer wurden jedoch 6,5 Prozent weniger häufig kontaktiert. Je nach Herkunftsregion unterschied sich die Kontaktrate im Vergleich zu Schweizern signifikant um:

  • 4,2 Prozent für Staatsangehörige aus West- und Nordeuropa
  • 6,2 Prozent für diejenigen aus Mittel- und Osteuropa
  • 6,4 Prozent für diejenigen aus Nord- und Lateinamerika
  • 12,6 Prozent für diejenigen aus dem Balkan
  • 13,5 Prozent für diejenigen aus Nordafrika und dem Nahen Osten
  • 17,1 Prozent für diejenigen aus der Sub-Sahara von Afrika
  • und 18,5 Prozent für diejenigen aus Asien.

Südeuropäer wurden etwa gleich oft kontaktiert wie Schweizer.

Die Autoren der Studie betonen das Ausmass der Diskriminierung. Zum Vergleich: Mit einem gleichwertigen Lebenslauf haben Arbeitssuchende mit vier Jahren oder mehr Berufserfahrung 11,5 Prozent mehr Chancen, kontaktiert zu werden. Die Autoren schreiben in ihrer Studie:

«Unsere Ergebnisse deuten daher darauf hin, dass selbst ein höheres Erfahrungsniveau nicht ausreicht, um die Diskriminierung für Einwanderer auszugleichen.»

Die Rolle des Timings. Das Forschungsteam fand auch heraus, dass das Ausmass der Diskriminierung je nach Tageszeit variierte. Der negative Einfluss der ausländischen Herkunft auf die Kontaktrate war zwischen 11 und 12 Uhr und zwischen 17 und 18 Uhr am stärksten. So hatten Personen aus nicht-europäischen Minderheiten verglichen mit Schweizerinnen und Schweizern eine um 11,5 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, das Interesse eines Arbeitgebers am frühen Nachmittag auf sich zu ziehen. Am Abend waren es sogar 14,7 Prozent.

Daniel Kopp, Mitautor der Studie und Ökonom an der Koordinationsstelle für Wirtschaftsforschung KOF der ETH Zürich:

«Dies entspricht den Tageszeiten, zu denen Personalvermittler am wenigsten Zeit für Lebensläufe aufbringen. Sie sind weniger konzentriert, sie wollen essen oder nach Hause gehen. Eine Interpretation ist, dass sie in solchen Situationen eher dazu neigen, Entscheidungen intuitiv zu treffen. Dies deutet darauf hin, dass unbewusste Voreingenommenheit bei der Entscheidung eine Rolle spielt.»

Der Einfluss des Geschlechts. Die Studie zeigte, dass geschlechtsspezifische Diskriminierung nicht nur für Frauen gilt. Bei gleicher Qualifikation wurden Frauen seltener in typischen Männerberufen kontaktiert. Männer standen in typisch weiblichen Bereichen aber vor der gleichen Hürde. Um dieses Phänomen zu untersuchen, berücksichtigten die Forschenden 323 verschiedene Berufe.

Die Resultate zeigten, dass:

  • In den fünf Berufen mit dem höchsten Männeranteil war das Interesse für Frauen um 6,7 Prozent geringer.
  • Bei den fünf Berufen mit dem höchsten Frauenanteil waren Männer um 12,5 Prozent weniger interessant.

Daniel Kopp sagt dazu:

«Geschlechterstereotypen spielen bei Einstellungsprozessen nach wie vor eine wichtige Rolle. Unsere Daten sind jedoch eingeschränkt: Der Grossteil unserer Daten basiert auf registrierten Arbeitslosen. Zu verstehen, mit welchen Barrieren diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind, ist aus sozioökonomischer Sicht sehr wichtig. Wir decken eine grosse Anzahl von Branchen ab, aber unsere Untersuchung ist nicht repräsentativ für den gesamten Arbeitsmarkt, da sie keine höheren hierarchischen Positionen einschliesst. Unternehmen, die einen neuen CEO suchen, kommen nicht auf JobRoom. So können wir zum Beispiel die gläserne Decke für Frauen nicht beobachten.»

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Das Expertengutachten. Rosita Fibbi, eine Forscherin des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien an der Universität Neuenburg, die an dieser Arbeit nicht beteiligt war, kommentiert:

«Die Studie ist von der Methode her sehr innovativ. Sie bietet ein vollwertiges Experiment mit einer grossen Anzahl von Beobachtungen.»

Die Forscherin begrüsst besonders die Tatsache, dass der Ansatz des Zürcher Teams die Debatte «auflöst», ob es sich um eine statistische Diskriminierung handelt, bei der das ethnische Kriterium entscheidend ist, wenn nicht genügend Informationen über den Kandidaten vorliegen oder um eine Diskriminierung nach Vorlieben der Arbeitgeber. Die Ergebnisse unterstützen die zweite Hypothese.

«Die statistische Diskriminierung bedeutet, dass die Diskriminierung abnimmt, je mehr Informationen vorhanden sind. Aber die verwendete Methodik erlaubt uns, den Effekt der Verwendung neuer Informationen zu sehen, und es ist sehr klar, dass dies die Situation nicht verändert.»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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