Das musst du wissen
- Über Jahrzehnte entwickelte Brasilien eine Infrastruktur, um die Abholzung sichtbar und kontrollierbar zu machen.
- Rechtsextreme Gruppierungen versuchen dieses Strukturen nun abzubauen.
- Prioritär sind für sie nicht die nachhaltige Nutzung und der Schutz des Amazonas, sondern wirtschaftlicher Profit.
Ob leere Strassen während des Lockdowns oder das Ausmass der Zerstörung in der Ukraine – wer den Überblick haben möchte, schaut sich die Sache von oben an. Am besten aus dem All. Solche Satellitenbilder kommen auch beim Umweltschutz zum Zug: Im Amazonasgebiet beispielsweise wird so seit rund vierzig Jahren die Abholzung des Regenwaldes überwacht. Doch nun stellen Anhänger des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro die Wahrhaftigkeit dieser Daten in Frage. Damit haben sie den Kampf zwischen denen, die für den Schutz des Regenwaldes kämpfen, und der Gegenseite um die Wahrheit über den Amazonas angeheizt, so das Fazit einer aktuellen Studie, die im Fachmagazin Earth System Governance veröffentlicht wurde.
Science-Check ✓
Studie: Digitalization between environmental activism and counter-activism: The case of satellite data on deforestation in the Brazilian AmazonKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsIn der Studie führen die Forschenden eine sogenannte Foucaultsche Diskursanalyse durch. Dabei handelt es sich um eine Form der Analyse eines Diskurses, die sich auf die Machtverhältnisse in der Gesellschaft konzentriert, wie sie durch Sprache und Praktiken ausgedrückt werden. Sie basiert auf den Theorien des französischen Philosophen Michel Foucault. Es handelt sich damit um eine beschreibende Studie, die einen konzeptionellen Rahmen aufstellt, wie sich die politische Nutzung von Wissensstrukturen verändert hat und dies diese Veränderung beschreiben lässt.Mehr Infos zu dieser Studie...In ihrer Studie wollten die Forschenden verstehen, wie sich die politische Nutzung der Satellitendaten verändert hat. Denn bisher konnten sich sowohl die Bevölkerung als auch Umweltbehörden eine von der Regierung erstellte Zusammenfassung ansehen. Die Abholzung des Regenwaldes ging dadurch zurück. Anders sieht die Situation heute aus: Gerodete Flächen im Amazonas nehmen wieder zu, seit der Rechtspopulist Bolsonaro 2019 das Zepter im Land übernommen hat. Und seine Anhänger haben dem über Jahre aufgebauten Überwachungssystem mittels Satellitendaten den Kampf angesagt: Sie fordern, dass die Daten regelmässig überprüft werden und zweifeln damit an, dass sie wahr und glaubhaft sind. Der Öffentlichkeit wollen sie dadurch weismachen, dass den Bildern nicht zu trauen ist.
Doch auch die Regierung selbst stimmt in die Verunglimpfungen ein: Forschende würden sich mit NGOs verbünden, um der brasilianischen Wirtschaft zu schaden, so die Anschuldigung. Dieses Argument habe beim Militär, bei Klimaleugnenden, Rechtsextremen, der Agrarindustrie und rohstofffördernden Privatunternehmen Anklang gefunden, schreiben die Forschenden in ihrer Studie.
Damit hätten diese Gruppen begonnen, ein alternatives Regime zu errichten, wird die Erstautorin und Ökopolitik-Forscherin Cecilia Oliveira vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam in einer Mitteilung zitiert – wobei das Wort Regime hier den Umgang mit Informationen bezeichnet. Dieses neue Informationsregime «ziele darauf ab, eine ‹alternative Wahrheit› über die Entwaldung zu verbreiten – nämlich die, dass die Abholzung ein akzeptabler Preis für wirtschaftliche Entwicklung sei», sagt die Wissenschaftlerin weiter. Damit habe sich das Bild des Amazonas seit 2019 verändert: Von einem Schutzgebiet zur strategischen Ressource für Rohstoffe.