Das musst du wissen
- Wo die Nazis nach dem 2. Weltkrieg innerhalb Österreichs hinflohen, ist der Wähleranteil der Rechtspopulisten hoch.
- Rechtes Gedankengut konnte mittels Familiendynastien und Institutionen über Jahrzehnte überdauern.
- Das zeigt der Fall Oberösterreich: Hier teilt sich die Bevölkerung an der Donau bei Wahlverhalten und Vergangenheit.
Sommer 1945: Nazideutschland ist besiegt, Österreich besetzt. Die Alliierten sind in den Verhandlungen zur Aufteilung der Besatzungszonen. Am 2. Juli macht in Linz ein Gerücht die Runde: Die Rote Armee wird das Territorium nördlich der Donau besetzen. Oberösterreich gilt bis dahin als geplante US-Besatzungszone. In der darauffolgenden Nacht flüchten Tausenden von Menschen über die Donau, vom Norden in den Süden. Von dem bald sowjetischen Gebiet in das amerikanische. Darunter vor allem: Nazis. Viele davon besetzten unter Hitler in Österreich hochrangige Positionen. Oberösterreich galt ihnen bis dahin als «sicherer Hafen».
_____________
Abonniere hier unseren Newsletter! ✉️
_____________
Sie fliehen nun innerhalb Österreichs, denn sie fürchten Vergeltungsaktionen und harte Strafen unter der russischen Besatzung. Und so kommt es, dass sich im südlichen Teil Oberösterreichs 1949 viel mehr ehemalige Nazis ansiedeln, als im Norden. Hier halten sich drei Mal mehr Exponenten der Nazi-Elite auf, als nördlich der Donau.
Das ist nun siebzig Jahre her. Doch das Erbe der geflüchteten Nazi-Eliten währt immer noch, wie eine neue Studie zeigt. So verfügen die Rechtsnationalen im Süden Oberösterreichs über viel mehr Rückhalt, als im Norden – und das kontinuierlich.
Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Wirtschaftsforschungsinstituts in Prag (CERGE-EI) verglichen Wähleranteile der verschiedenen politischen Strömungen bei nationalen Wahlen von 1919 bis 2017. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Exodus der ehemaligen Nazis in das südliche Oberösterreich zeigt sich eine klare politische Trennung zwischen den beiden Gebieten. Die Rechtsnationalen hatten im Süden 1949 durchschnittlich 7,7 Prozentpunkte mehr, 2017 waren es 7,2 Prozentpunkte. Die rechte Tradition hat sich also gehalten. Die Autoren untersuchen, welche Faktoren hierbei eine Rolle gespielt haben.
Science-Check ✓
Studie: Migrating ExtremistsKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie ist eine der ersten, die versucht, den Einfluss von radikalisierten Anhängern einer Ideologie über Generationen zu verfolgen. Sie basiert auf soliden Daten und untersucht den potentiellen Einfluss verschiedenster Faktoren. Das führt zu zuverlässigen Resultaten. Diese müssten durch weitere Forschung bestätigt werden. Nur: Oberösterreich eignet sich speziell, um eine solche Studie durchzuführen. Die Bevölkerung ist relativ homogen, durch die Zoneneinteilung aber klar politisch segregiert. Solch ideale Voraussetzungen für eine Studie sind schwierig zu finden. Ob sich die Ergebnisse aber auf beliebige Ideologien übertragen lassen, sei dahingestellt. Denn der Inhalt der Ideologie kann ihre Verbreitung und Bewahrung zum Beispiel ebenso beeinflussen. Das beachten die Autoren nicht.Mehr Infos zu dieser Studie...Die extreme Rechte hat in Österreich eine lange Tradition. Sie beginnt bereits im 19. Jahrhundert mit den «Deutschnationalen», welche den Anschluss ans Deutsche Reich anstreben. Diese gehen dann im österreichischen Arm der NSDAP auf. Ende des Zweiten Weltkrieges sind 13 Prozent der österreichischen Bevölkerung offiziell den Nazis zugehörig. Im Zuge der Entnazifizierung werden 535 000 Nazis von den Wahlen 1945 ausgeschlossen. Vier Jahre später sind 90 Prozent von ihnen wieder wahlberechtigt. Politisch werden sie durch den Verband der Unabhängigen (VdU) repräsentiert, der selber angibt, 80 Prozent seiner Mitglieder seien Altnazis. Daraus entsteht 1956 die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Bei der Gründung der Partei spielen ehemalige, hochrangige Nazis eine bedeutende Rolle.
Bis Mitte der 80er Jahre bleibt die FPÖ mit einem Wähleranteil von fünf bis sechs Prozent relativ unbedeutend. Mit Jörg Haider als Parteichef erlebt die FPÖ dann einen Höhenflug: 1999 ergattert sie 27 Prozent der Wählerstimmen. Nach einem Tief in den Nullerjahren kommt sie 2017 wieder auf 26 Prozent. Die Studienautoren zeigen nun, dass dieser Erfolg nicht nur, wie oft angenommen, auf sozio-ökonomische Faktoren wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Sondern auf die Geschichte.
Die Mechanismen, die dahinterstehen, zeigen sich exemplarisch in Oberösterreich. Die Autoren betrachten die Parteilandschaft in südlichen Gemeinden, die maximal 15 Kilometer von der Donau, der ehemaligen Zonengrenze, entfernt liegen. Sie verglichen die politischen Aktivitäten ehemaliger Nazis, zum Beispiel ob sie sich für Wahlen aufstellen liessen oder in der Gründung von lokalen Parteizentralen mitwirkten, mit den Aktivitäten der Rechten vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Analyse zeigt: Die ehemaligen Elite-Nazis, die sich im Süden Oberösterreichs sammelten, engagierten sich stärker als zum Beispiel die rechten Extremisten von 1929. Das führte zu mehr politischen Institutionen im Süden, die in Zeiten, in denen die FPÖ national gesehen unbedeutend war, als Zeitkapsel für rechtes Gedankengut fungierten. Das zeigt auch die Namenforschung der Autoren: Namen von heutigen FPÖ-Politikern haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, aus der einst sowjetischen Zone zu stammen als zum Beispiel Namen von Politikern der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ). Die geflohenen Nazis betätigten sich also in den neuen Parteiorganen des Südens – und gaben ihre politische Ideologie an ihre Nachfahren weiter.
Doch woher wissen die Autoren, dass die höheren Wähleranteile in Gebieten, in die hochrangige Nazis flohen, nicht aus anderen Gründen resultieren? Die beiden Ökonomen verglichen die Daten mit verschiedenen anderen Faktoren: Bevölkerungsstruktur, Arbeitslosigkeit, Präsenz von Flüchtlingen und Ausländern, unterschiedliche Betroffenheit während den Bombardierungen Ende des Krieges, regional unterschiedliche Strategien der Entnazifizierung, unterschiedliche Besetzungspolitik und Strategien anderer Parteien, die Bildung von rechten Parteizentralen zu verhindern. Das Resultat: Keines dieser Kriterien kann die kontinuierlich höhere Unterstützung rechtsnationaler Politik im Süden Oberösterreichs erklären. Das kann nur die Geschichte.
Die Autoren verbinden das Resultat ihrer Studie mit den gegenwärtigen Bedenken gegenüber IS-Rückkehrern und dem Fortbestand ihrer Ideologie in den Gesellschaften, die sie aufnehmen. Die Institutionen, welche sie in diesen Ländern gründeten, könnten laut Autoren also ebenso das Gedankengut bewahren. Und das über Generationen.