Das musst du wissen
- Das Spike-Proteine des Coronavirus ändert seine Form, wenn es mit der Wirtszelle verschmilzt.
- Es gibt jedoch eine Möglichkeit, das Protein in seiner ursprünglichen Form zu stabilisieren.
- Einige Impfstoffe gegen Covid-19 nutzen solche stabilisierte Spike-Proteine als Zielstrukturen für Antikörper.
Die Kryomikroskopie. Die sogenannte Kryo-Elektronenmikroskopie kombiniert die Elektronenmikroskopie – bei der ein Elektronenstrahl projiziert wird, um winzige Proben von beispielsweise Proteinen oder Viren sichtbar zu machen – mit der ultraschnellen Fixierung von Molekülen durch Einfrieren bei minus 185 Grad Celsius. Diese Technik wurde Anfang der 1980er-Jahre von Jacques Dubochet und seinem Team an der Universität Heidelberg entwickelt.
Sie ermöglicht eine zerstörungsfreie Stabilisierung von Proteinen. Diese Technik bietet den Vorteil, Proteine in der räumlichen Anordnung der Atome beobachten zu können, die ihrem physiologischen Zustand nahekommt. Die ursprüngliche Form der Proteine wird durch die Verarbeitung der Proben im Labor also nicht verändert.
Die Geschichte. Viren verbreiten sich, indem sie ihr genetisches Material in unsere Zellen einschleusen, um sich dort zu vermehren. Dazu müssen sie eine Tür in unseren Zellen finden und einen Schlüssel haben, um sie zu öffnen: ein Oberflächenprotein. Im Fall des aktuellen Coronavirus handelt es sich dabei um das Spike-Protein.
Die meisten Impfstoffe, die bisher gegen Covid-19 entwickelt wurden, basieren auf demselben Prinzip: Das Immunsystem soll lernen, das Coronavirus zu erkennen und das Spike-Protein durch Antikörper zu neutralisieren, die an das Spike-Protein binden können.
Es gibt jedoch eine Schwierigkeit: Das Spike-Protein kann, wie viele andere Proteine auch, seine sogenannte Konformation, also seine räumliche Struktur, je nach Kontext ändern. Auf dem Virus liegt das Spike-Protein in seiner ursprünglichen Form, der sogenannten Prä-Fusionsform vor. Wenn das Virus aber mit einer Wirtszelle verschmilzt, faltet es sich und wird unkenntlich. Das Spike-Protein geht dann in einen Zustand über, der als Post-Fusion bezeichnet wird.
Leider ist der Post-Fusionszustand stabiler als der Prä-Fusionszustand. Ein Impfstoff kann das Spike also nicht einfach so verwenden, wie es ist: Das Protein wäre nicht mehr wiederzuerkennen. Damit muss es zunächst in der Prä-Fusion stabilisiert werden.
Eine entscheidende Entdeckung. Dass bestimmte Viren-Proteine ihre Form ändern, wenn sie mit der Zellmembran verschmelzen, entdeckten die beiden Forscher Jason McLellan und Barney Graha vom Vaccine Research Center des Nationalen Gesundheitsinstituts in Amerika (NIH) 2013. Sie beschrieben diese Prä- und Post-Fusionszustände zunächst beim F-Protein des menschlichen respiratorischen Synzytial-Virus (RSV), das bei Sars-CoV-2 eine ähnliche Rolle wie das Spike-Protein spielt.
Der Strukturbiologe Jason McLellan erläutert:
«Es handelt sich um extrem instabile und zerbrechliche Strukturen, vor allem in ihrem Zustand vor der Fusion. Frühere Beobachtungswerkzeuge wie die Röntgenkristallographie liefern ein eingefrorenes oder beschädigtes Bild. Die Kryomikroskopie ermöglicht es uns, die Morphologie und die Form der Proteine zu erhalten und sie dreidimensional darzustellen.»
In ihrem Labor am Dartmouth College fügen McLellan und seine Kollegen zwei Aminosäuren in das Gen ein, das für das Spike-Protein kodiert. Sie tun dies nicht mit Sars-CoV-2 – das es damals ja noch nicht gab –, sondern mit einem verwandten Coronavirus, dem Mers-CoV, das 2013 im Nahen Osten eine Epidemie verursachte. Dieses Vorgehen ermöglichte es, die Proteine in ihrer Prä-Fusionsform zu stabilisieren. «Und da diese leichte Mutation zunächst bei Impfstoffen gegen Mers-CoV funktionierte, wurde die gleiche Technologie 2020 auf Covid-19-Impfstoffe angewendet, die von Moderna, Johnson & Johnson, Novavax und Pfizer/Biontech entwickelt wurden», sagt Jason McLellan.
Heute ist Jason McLellan Professor für Molekularbiologie an der Universität von Texas in Austin und treibt die Entwicklung von noch stabileren S-Proteinen voran. Sein Labor hat bereits über hundert solcher Proteine hergestellt. Sie könnten die Grundlage für Covid-Impfstoffe der zweiten Generation sowie für universelle Impfstoffe gegen Coronaviren bilden.
Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne EPFL. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Virologie-Forschungsgruppe von Didier Trono und der Proteinforschungsgruppe von Florence Pojer haben die Forschenden des Dubochet Imaging Centre (DCI) in Lausanne ein genaues Bild der Struktur des Spike-Proteins der Omikron-Variante erstellt.
Das DCI hatte bereits ein Bild des Spike-Proteins des ursprünglichen Virus mit einer Auflösung von zwei Angström – der höchsten bisher erreichten Auflösung – erstellt, die es den Forschenden ermöglicht, einzelne Atome sichtbar zu machen. In einer Medienmitteilung erklärte Henning Stahlberg, der das DCI auf dem Campus der EPFL eingerichtet hat:
«Wir können nun genau sehen, welche Mutationen es der Omikron-Variante ermöglichen, dem Impfstoff von Astrazeneca vollständig und dem von Pfizer teilweise zu widerstehen.»
Anhand der hochauflösenden Kryo-Elektronenmikroskopie-Bilder können die Forschenden besser verstehen, wie das stark mutierte Spike-Protein von Omikron an Zellrezeptoren bindet und so in menschliche Zellen gelangt.
Didier Trono sagt dazu:
«Die Struktur des Omikron Spike-Proteins weniger als einen Monat nach der Identifizierung dieser Variante zu definieren, ist wie die Landung auf einem Planeten in den ersten Wochen nach seiner Beobachtung durch ein Teleskop.»
Die Forschenden der EPFL haben einen Artikel, das noch nicht im Peer-Review-Verfahren geprüft wurde, veröffentlicht, damit Forscher weltweit Zugang zu ihrer Strukturanalyse des Spike-Proteins der Omikron-Variante haben.
Wie im Fall der Arbeit von Jason McLellan gezeigt wurde, bilden diese Informationen die Grundlage, auf der es möglich sein wird, ein stabilisiertes Spike-Protein von Omikron zu konstruieren, um schnell geeignete Impfstoffe zu entwickeln.