Das musst du wissen
- Der Impact-Faktor gibt an, wie oft eine Zeitschrift in wissenschaftlichen Artikeln zitiert wird.
- Er wird aber auch häufig als Qualitätsmerkmal für die Arbeit von Forschenden verwendet.
- Dies spielt den Verlagen in die Tasche – kann aber auf Kosten der wissenschaftlichen Qualität gehen.
Mauerblümchen gibt es auch in der Wissenschaft. Taxonomen zum Beispiel führen so etwas wie ein Schattendasein: Mit ihrer Suche nach bisher unentdeckten Arten sind die Forschenden ebenso exotisch wie die Lebewesen, die sie in ihren Arbeiten beschreiben. Neben so spektakulären Forschungsgebieten wie der Genforschung und der Suche nach neuen Impfstoffen bekommt die Taxonomie eher wenig Aufmerksamkeit.
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Vor einer Weile jedoch traten Taxonomen ganz unerwartet aus dem Schatten heraus: Gleich mehrere von ihnen machten auf Twitter ihrem Ärger Luft.
Stunning misinterpretation by @Clarivate/@WebOfScience in their decision to suppress citation counts for all papers in @Zootaxa. This damages the entire field of zoological taxonomy, and in particular researchers from developing countries.
— Wayne Maddison (@WayneMaddison) July 2, 2020
Der Grund dafür: Das Unternehmen Clarivate hatte zwei wichtige taxonomische Zeitschriften und 31 weitere wissenschaftliche Journals aus der Liste der Publikationen genommen, für die Clarivate jährlich einen Impact-Faktor berechnet. Dieser Faktor soll ein Mass dafür sein, wie einflussreich eine Zeitschrift ist. Dass nun zwei aus Sicht der Taxonomen wichtige Zeitschriften aus dieser Liste gestrichen wurden, machte diese wütend. Einige werten es als Angriff auf ihre Disziplin. Der Taxonomie jedenfalls droht nun noch weniger Aufmerksamkeit – denn der Impact-Faktor ist mächtig.
Messlatte für Forschende
Eigentlich war der Impact-Faktor als Orientierungshilfe für Bibliotheken gedacht – heute ist er deutlich mehr. Der Impact-Faktor misst, wie oft die Artikel einer bestimmten Fachzeitschrift in den zwei Jahren nach Publikation durchschnittlich in anderen Artikeln zitiert werden. Das renommierte Journal «Nature» zum Beispiel hatte 2019 den sehr hohen Impact-Faktor von 42.8: So viel Mal wurde jeder publizierte Artikel im Schnitt zitiert. Theoretisch. Denn in Realität sind es wenige Artikel, die sehr häufig zitiert werden und den Schnitt so in die Höhe treiben. Die Mehrzahl der Artikel sind also «Trittbrettfahrer».
Das macht die heutige Verwendung des Faktors problematisch. «Der Impact-Faktor wird seit Jahrzehnten falsch verwendet», sagt Tobias Philipp von der Abteilung Strategie des Schweizerischen Nationalfonds (SNF): Eigentlich sei er ein Mass dafür, welche Aufmerksamkeit einer Zeitschrift zuteil werde. Stattdessen gelte er nun als Basis, um die Qualität der Arbeit einzelner Forschender zu bewerten. Denn: Wird ein Artikel in einer Zeitschrift mit hohem Impact-Faktor veröffentlicht, gilt das auch als Qualitätsmerkmal für die Forschenden, die dahinter stehen. Eine hohe Anzahl Veröffentlichungen in sogenannten High-Impact-Journals mit hohem Impact-Faktor wird sogar bei Berufungen von Professoren oder der Vergabe von Forschungsgeldern einbezogen.
Ebenso problematisch sieht Susan Gasser den Impact-Factor als Qualitätsmass: Sie ist Direktorin des Friedrich Miescher Instituts für biomedizinische Forschung in Basel. «Sobald die Regierung und andere Forschungsfinanzierer Veröffentlichungen in High-Impact-Journals erwarten, sind wir gezwungen dort zu publizieren und es entsteht ein böser Teufelskreis.» In einem solchen Journal zu publizieren wird dann unter Umständen wichtiger, als die Qualität der Arbeit.
Dass der Impact-Faktor so häufig als Bewertungsinstrument genutzt wird, hat praktische Gründe: «Wenn auf eine offene Stelle bis zu 100 Bewerbungen kommen, helfen solche Messinstrumente die Zahl zu reduzieren, damit wir dann bei der engeren Auswahl genauer hinschauen können», sagt zum Beispiel Yves Flückiger, Rektor der Universität Genf. Ähnliche Erfahrungen hat Stephan Neuhauss gemacht, Prodekan der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Der Impact-Faktor sei zwar kein perfektes Mass für Ruf und Qualität einer Zeitschrift, spiegle beides aber durchaus ein Stück weit wider: «Natürlich versucht man als Wissenschaftler in Journals mit mehr Prestige zu publizieren. Selbst seine grössten Gegner würden wohl zugeben, dass er ein bisschen etwas über die einen Forscher aussagt. Ob seine Forschung gut ist, weiss man noch nicht – aber zumindest ist sie spannend.»
Hohe Gebühren sorgen für Ärger
Vom Impact-Faktor profitieren vor allem die wissenschaftlichen Verlage wie Elsevier, Springer Nature und Wiley. Diese stehen aber arg in der Kritik: wegen hohen Gebühren. Denn: In der Regel zahlen Wissenschaftler eine Veröffentlichungsgebühr, Universitätsbibliotheken wiederum müssen Lizenzen für den Zugang erwerben und Privatpersonen werden ebenfalls zur Kasse gebeten, wenn sie eine wissenschaftliche Publikation lesen möchten. Hingegen wird die Begutachtung durch Wissenschaftler, die sogenannte Peer-Review, nicht entlohnt. «Die Verlage melken das System», findet Susan Gasser.
Und nicht nur das. Das Gebührensystem ist auch noch intransparent. So schaffte es Swissuniversities, die Rektorenkonferenz der Schweizer Hochschulen, erst diesen Frühling, ein neues Abkommen mit Elsevier abzuschliessen, indem alle Universitäten zusammen einen festen Betrag zahlen. «Vorher wussten wir nicht einmal, wie viel jede einzelne Universität zahlte», erklärt Yves Flückiger, der auch Vorsitzender von Swissuniversities ist. In der Schweiz ist so Transparenz geschaffen worden – weltweit ist die Branche aber undurchsichtig. «Wir wissen nach wie vor nicht genau, wie viel andere Länder zahlen.»
Open Access als Lösung?
Um die Übermacht der grossen Verlage einzuschränken, setzen immer mehr Universitäten und Forschungsfinanzierer deshalb auf öffentlich zugängliche Zeitschriften. Für Forschende, die vom Schweizerischen Nationalfonds Geld bekommen, ist diese sogenannte Open Access-Publikation bereits obligatorisch. Stefan Neuhauss von der Universität Zürich begrüsst diese Entwicklung, denn die bisherige Praxis findet er «absurd»: «Wenn ich vom Steuerzahler finanziert eine Studie mache, deren Ergebnisse dann nicht öffentlich zugänglich sind, ist das eine Frechheit».
Susan Gasser vom Basler Friedrich Miescher Instituts ist kritischer, was die Qualität von Open-Access-Publikationen angeht: «Bisher gibt es noch kein System, dass uns die höchste Qualität in den Peer Review-Prozessen der offenen Journals zu vertretbaren Kosten garantiert.» Statt blind Open Access zu fordern, hätte der Gesetzgeber ihrer Meinung nach die Publikationsindustrie regulieren sollen wie andere Industrien auch. Eine Möglichkeit sei zum Beispiel, die Abgaben zu deckeln, die Universitäten an die Verlage zahlen. «Es ist nicht grundsätzlich falsch, dass Verlage Geld verdienen, aber es muss reguliert werden», sagt sie.
Der Widerstand gegen den Impact-Faktor wird derweil immer grösser. Die Dora-Erklärung forderte bereits 2012, Messgrössen wie den Impact-Faktor nicht zu überbewerten, sondern Forschung nach ihrer Qualität zu beurteilen. Tausende Institutionen haben sie inzwischen unterzeichnet, auch in der Schweiz. Der SNF erklärte erst kürzlich, bei seinen Bewertungen nun voll nach den Dora-Prinzipien vorgehen zu wollen.
Margit Osterloh, Ökonomin, emeritierte Professorin an der Universität Zürich macht einen ganz anderen Vorschlag, um die Fokussierung auf den Impact-Faktors zu durchbrechen. Statt wie bisher Kommissionen oder Gutachter über die Vergabe von Forschungsgeldern, Stellen und Publikationen entscheiden zu lassen, sollen die Kommissionen nur eine Vorauswahl treffen. Dann soll der Zufall entscheiden. In früheren Zeiten sei das ein durchaus übliches Verfahren gewesen, etwa in zahlreichen Schweizer Gemeinden und bis ins 18. Jahrhundert zur Besetzung von Stellen an der Universität Basel. Osterloh findet: «Der Zweck war, Klüngeleien, Ämtermissbrauch und Vorurteilen vorzubeugen und das hat gut funktioniert. Jetzt ist die Zeit reif, den Zufall wieder einzuführen.»