Das musst du wissen
- Naturkundliche Dokumentarfilme sind eine wichtige Quelle für Informationen über Wildtiere, Naturschutz und Umweltthemen.
- Doch Filme wie Dynasties zeigen eine verzerrte Wirklichkeit, vermenschlichen Tiere und fokussieren stark auf Individuen.
- Das ist zwar unterhaltsam, birgt aber das Risiko, dass falsche Vorstellungen über Natur und Naturschutz entstehen.
Warum es interessant ist. Dokumentarfilme, die als «wahre Geschichten» gelten, beeinflussen die Vorstellung, die sich das Publikum von diesen Tieren macht, stark. Dies kann dazu beitragen, dass die Menschen diese Tiere schützen wollen. Jedoch ist der Anthropomorphismus – also das Übertragen von menschlichen Eigenschaften auf diese Tiere – einiger Geschichten durchaus auch problematisch. Denn dieser kann so weit gehen, dass er wichtige Anliegen untergräbt.
Die Realität. Die Geschichten, die Videofilmer erzählen, sind nicht immer so real, wie sie scheinen, wie Jan-Christopher Horak, Casting-Direktor am Filmprogramm der Universität Kalifornien in Los Angeles, in einem Artikel über Tierdokumentationen beschrieb:
«Wildlife-Dokumentarfilmer drehen eine grosse Anzahl von Aufnahmen und rekonstruieren dann bestimmte Ereignisse durch den Schnitt. Sie verwenden Bilder, die manchmal weder räumlich noch zeitlich zusammengehören. Sie können auch Bilder von verschiedenen Tieren verwenden, anstatt nur eines, wie dargestellt.»
Sensationslust. Die Zuschauerzahlen eines Dokumentarfilms sind immer noch der wichtigste Indikator für den Erfolg. Dabei gefallen meist die Dokumentarfilme, die uns zum Lachen, zum Mitfiebern und zum Weinen bringen. Doch wie verzerrt ist die Realität dieser Filme wirklich? Dieser Frage gingen Wissenschaftler der Universitäten von Kent, Oxford und Gloucestershire anhand der BBC-Dokumentarserie Dynasties nach. In ihrer Studie, die in der Zeitschrift People and Nature veröffentlicht wurde, haben sie drei Verzerrungen der Realität hervorgehoben:
- Erstens wird die Gefahr, der die Tiere ausgesetzt sind, aufgebauscht, was eine falsche Vorstellung von ihrem Leben vermittelt. Die Serie Dynasties zum Beispiel übertreibt klar die Gefahr durch Raubtiere und die Natur. Diese existiert zwar, ist aber nicht immer so allgegenwärtig wie im Film dargestellt.
- Diese Serien stellen auch bestimmte Ereignisse als aussergewöhnlich dar, obwohl sie in Wirklichkeit ziemlich gewöhnlich sind. Zum Beispiel kämpfen die Schimpansen in einer Episode von Dynasties wegen der klimatischen Bedingungen beim Übergang zur Trockenzeit um ihr Überleben. Diese Saison tritt jedoch natürlicherweise zweimal im Jahr auf.
- Schliesslich fokussieren diese Serien auf das Individuum, nicht auf die Tierart. Die Anthropomorphisierung wird durch Empathie erleichtert und durch den erzählerischen Diskurs verstärkt. Emotionale, soziale und intellektuelle Eigenschaften, die manchmal zu menschlich sind, werden den Tieren zugeschrieben, die über eine eigene Kognition verfügen. Das kann starke Emotionen hervorrufen, aber manchmal geschieht dies auf Kosten der wissenschaftlichen Genauigkeit.
Science-Check ✓
Studie: Soap operas will not wash for wildlifeKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsKommentar: Die Autoren vertreten den Standpunkt, dass die heutige Generation an Naturdokus zu sehr auf Sensation und Emotionen aus ist und ein falsches Bild der Wirklichkeit zeigt. Diesen Standpunkt illustrieren sie am Beispiel der BCC-Dokumentarserie Dynasties. Bei der Studie handelt es sich um eine sogenannte Perspektive, bei der Forschende Phänomene in einem bestimmten Forschungskontext genauer beobachten. Die Studie widerspiegelt damit die Meinung der Forschenden zu einem bestimmten Thema.Mehr Infos zu dieser Studie...Die zwiespältigen Auswirkungen auf den Tierschutz. Forscher erklären, dass der Effekt von Wildtierdokumentationen auf den Tierschutz genauso gut positiv als auch negativ sein kann.
Einerseits gibt es Vorteile: Durch die zunehmende Identifikation mit Tieren werden Emotionen und das Gefühl der Zugehörigkeit zur Natur gesteigert. Dies scheint sich wiederum positiv auf das Bewusstsein und das umweltfreundliche Verhalten auszuwirken. Professor Raphaël Arlettaz, Leiter der Abteilung Naturschutzbiologie an der Universität Bern, erklärt:
«Wenn Dokumentarfilme der Natur und der biologischen Vielfalt einen emotionalen Wert geben, dann können sie zu einem positiven Effekt auf den Tierschutz beitragen.»
Doch können Tierdokumentationen dem Tierschutz auch abträglich sein. Durch ihre Vermenschlichung tragen sie dazu bei, in erster Linie Arten zu unterstützen, die charismatisch sind und dem Menschen nahe stehen – als ob andere Arten es nicht verdient hätten. Raphaël Arlettaz erklärt:
«Natürlich ziehen Arten, die uns näherstehen, mehr Empathie und Interesse auf sich. Es ist leichter, die Zerstörung des Lebensraums eines Orang-Utans zu verstehen als die einer Spinne. Die Anthropomorphisierung verstärkt noch diesen Effekt. Aber das ist nicht unbedingt schlecht. Wir können mit den uns nahestehenden Arten beginnen, aber wir sollten auch alle anderen nicht vergessen, denn jedes Lebewesen ist wichtig.»
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Opfer ihres eigenen Erfolgs. Im Extremfall kann sich dieses Phänomen kontraproduktiv auf den Tierschutz auswirken. Ein bezeichnendes Beispiel ist der Anstieg des Kaufs von Clownfischen nach der Veröffentlichung des Disney-Films «Findet Nemo», der zu einer Überfischung der Riffe führte.
Die englischen Forschenden weisen auch auf die Probleme hin, die durch den Fokus auf das Individuum entstehen. Dieser schärft das Bewusstsein eher für persönliche als für globale Probleme. So werden zum Beispiel die Probleme der Löwenjagd öfter thematisiert als der schädlichere Verlust ihres Lebensraums.
Raphaël Arlettaz fasst zusammen:
«Bei Dokumentarfilmen gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, vom sehr Sensationellen, bei dem Inszenierung und Anthropomorphisierung auf die Spitze getrieben werden, bis hin zu Dokumentarfilmen von guter wissenschaftlicher Qualität. Das Ziel wäre, die erste Kategorie zu vermeiden.»