Das musst du wissen

  • Gewalt in Partnerschaften beinhaltet körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt. Sie können auch zusammen auftreten.
  • Rund jede dritte gewaltausübende Person wird ohne Therapie oder Beratung erneut gewalttätig.
  • Eine Lösung sind Verhaltenstherapien, wo Täterinnen und Täter Strategien entwickeln, um Konflikte gewaltfrei zu lösen.
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Sie widerspricht – und er schlägt zu. Sie widerspricht – und er droht mit Mord. 10 bis 30 Prozent der Frauen in der Schweiz haben in ihrem Leben schon einmal erlebt, dass sie von ihrem Partner verfolgt, bedroht, erniedrigt oder geschlagen wurden. Häusliche Gewalt ist die am weitesten verbreitete Form von Gewalt. «Häusliche Gewalt in aktuellen oder ehemaligen Partnerschaften ist darum so häufig, weil die Opfer ständig verfügbar sind», erklärt Merete Berg Nesset, Forscherin auf dem Gebiet der forensischen Psychiatrie und Psychologie. «Man ist sich sehr nahe und es gibt viele Situationen, in denen es zu Gewalt kommen kann.» Doch woher kommt diese Gewalt und was kann man dagegen tun?

Experten unterscheiden zwischen Situationstätern und Persönlichkeitstätern. Letztere üben Gewalt aufgrund ihrer psychischen Veranlagung aus: Die Täter sind beispielsweise dominant, impulsiv, leicht gekränkt, selbstsüchtig oder haben psychische Probleme. Oftmals haben sie in der Kindheit selber Gewalt erfahren oder miterlebt. Bereits Kleinigkeiten bringen sie zur Weissglut und sie handeln eher vorsätzlich. Solche Täter zu therapieren ist nicht einfach und erfordert eine intensive Arbeit an der Persönlichkeit. Doch sie sind ohnehin nicht das Hauptproblem. Denn Situationstäter sind viel häufiger.

Diese sind vielfach mit ihrer Lebenssituation überfordert: Sie haben Schulden, sind sozial isoliert oder beispielsweise mit ihrer Arbeit unzufrieden. Wird ihnen alles zu viel, knallt es. Für sie ist es schwierig, nahe und intime Beziehungen aufrechtzuerhalten. Konflikte lösen sie mit Gewalt, weil sie keine Alternative kennen. Nach der Tat zeigen sie oft Reue. «Die Täterinnen und Täter schämen sich und wissen, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist», sagt Merete Berg Nesset. Die gute Nachricht: Situationstäter sind fähig, ihr Verhalten zu ändern.

Augen schliessen und abwärts zählen

Mike sitzt in der Küche, im Nebenzimmer telefoniert seine Freundin mit einem Bekannten. Sie lacht oft. Mike ist eifersüchtig, die Wut steigt in ihm hoch, er schwitzt. Er steht auf und geht nach nebenan. Und bestraft seine Freundin dafür, dass er sich ihretwegen so schlecht fühlt. Er schlägt zu.

Mike ist ein fiktives Beispiel aufgrund von Gesprächen mit Experten – reale Täter wollten sich nicht auf ein Gespräch mit higgs einlassen. Tätern, die wie Mike ticken, kann eine Verhaltenstherapie helfen. Das Ziel einer solchen Therapie: Zu verstehen, in welchen Situationen man selber gewalttätig wird und zu lernen, seine Wut zu kontrollieren. Und Strategien zu entwickeln, um in Konflikten nicht mehr zu drohen oder zuzuschlagen.

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Dabei können es ganz einfache, kleine Tricks sein, mit denen sich die Täter beruhigen, wie aus einer britischen Studie hervorgeht. «Ich schliesse meine Augen und zähle von zehn runter», erzählte ein Gewalttäter im Rahmen einer Studie. Eine andere Strategie ist das sogenannte Time-out: Wer merkt, dass die Situation zu eskalieren droht, geht aus dem Raum. Wo der potentielle Täter hingeht, zum Beispiel auf den Balkon, was er da macht, zum Beispiel rauchen, und wie lange er dableibt, macht er mit seiner Partnerin vorgängig genau ab. Diese Strategie wenden Personen auch noch sieben Jahre nach einer abgeschlossenen Therapie an, wie Merete Berg Nesset in einer Studie zeigen konnte.

Eine weiter Strategie, eine Eskalation zu verhindern, sind positive Selbstgespräche. Diese sollen dazu anregen, über die eigenen emotionalen Zustände nachzudenken, sie zu analysieren und sich für sie verantwortlich zu fühlen. Das ermöglicht den Tätern zu erkennen, dass nicht die Partnerinnen schuld sind an ihrer Wut, sondern ein innerer Prozess. Auch Mike nutzt diese Technik. Wenn er die Alarmzeichen bemerkt – ihm wird heiss, sein Hals schnürt sich zu – redet er sich gut zu: «Es gibt keinen Grund eifersüchtig zu sein, ich bilde mir nur ein, dass sie ihn lieber mag. Das ist nicht die Wirklichkeit, es spielt sich nur in meinem Kopf ab.»

Übung macht den Meister

«Die meisten müssen das üben«, sagt Merete Berg Nesset. Mit jedem Mal wo es gelingt, keine Gewalt anzuwenden, gewöhnt man sich das Verhalten ein bisschen ab. Bis dieses irgendwann zur neuen Normalität wird. Wie lange das dauere, sei sehr individuell, sagt Berg Nesset. Ein Jahr nach Beginn einer Verhaltenstherapie fiel der Anteil an physischer Gewalt bei 67 freiwilligen Teilnehmern um 75 Prozent, wie die norwegische Forscherin in einer aktuellen Studie zeigen konnte. Auch sexuelle Gewalt kam nach einem Jahr kaum mehr vor. Um sicherzustellen, dass diese Zahlen die Realität wiederspiegeln, hat Merete Berg Nesset auch die Partnerinnen befragt. «Die Stimme der Opfer ist wichtig, denn Täter könnten ihre Taten unterschätzen».

Science-Check ✓

Studie: Cognitive behavioural group therapy versus mindfulness-based stress reduction group therapy for intimate partner violence: a randomized controlled trialKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie befragte sowohl die Täter als auch deren Partnerinnen, was die Zuverlässigkeit der Ergebnisse erhöht. Insgesamt beteiligten sich aber nur jede Dritte Partnerin. Zudem erhielt die Kontrollgruppe ebenfalls eine Therapie, und zwar ein Aufmerksamkeitstraining. Dieses vermochte die Gewalt in ähnlichem Mass zu reduzieren wie die Verhaltenstherapie. Dadurch ist es schwierig zu sagen, inwiefern die Reduktion eine Folge der beiden Therapien ist.Mehr Infos zu dieser Studie...

Deutlich schwieriger zu zügeln ist psychische Gewalt, wie Beschimpfungen oder Drohungen. Dazu braucht es viel mehr Zeit, wie frühere Forschungsergebnisse zeigen: Erst vier bis sieben Jahre nach einer abgeschlossenen Therapie nimmt dieses Verhalten deutlich ab. «Bei allen wird das aber nie funktionieren», sagt Berg Nesset. Jemand der Gewalt wirksam finde, um seine Ziele zu erreichen, werde damit nicht aufhören. Die meisten seien sich aber bewusst, dass ihr Verhalten nicht gut sei, sagt die Forscherin.

In der Schweiz gibt es Programme, die Täterinnen und Täter häuslicher Gewalt angeordnet bekommen können. Im Kanton Zürich wird ein solches Lernprogramm seit dem Jahr 2000 durchgeführt. Die Gewalttätigen schickt eine Justizvollzugsbehörde oder die Staatsanwaltschaft, sie sind also nicht freiwillig hier. «Viele sehen aber ein, dass es Probleme gab und sie einen Bedarf haben, sich zu ändern», sagt Konrad Würgler, seit fünf Jahren Leiter des Lernprogramms Partnerschafen ohne Gewalt bei den Bewährungs- und Vollzugsdiensten des Kantons Zürich. So richtig bewusst wird es den meisten, wenn sie die positiven und negativen Folgen ihres Verhaltens gegenüberstellen. Positiv für den Täter ist etwa: Ich konnte meine Ziele durchsetzen, Frust loswerden, zeigen, wer der Chef ist. Demgegenüber stehen beispielsweise gerichtliche Verfahren, Untersuchungshaft, Geldstrafen, das Ende der Beziehung. «Hier merken die Gewalttätigen, dass sich das doch nicht lohnt», erzählt der Sozialarbeiter.

Potenzial wird nicht ausgeschöpft

Ob die Täterprogramme das Verhalten aber auch wirklich langfristig ändern können, dazu gibt es nur wenige Studien. Jene die es gibt, seien aber vielversprechend, sagt Merete Berg Nesset. «Insgesamt scheint die Verhaltenstherapie ziemlich effektiv zu sein, um Gewalt zu stoppen». Zum Vergleich: Ohne Intervention wird rund jede dritte gewaltausübende Person in der Schweiz erneut gewalttätig. Mit Therapie nur rund jede siebte bis achte.

Die Instrumente sind also vorhanden. Doch in der Schweiz nahmen 2019 lediglich 200 Personen an einem Lernprogramm teil. Demgegenüber stehen allein 11 058 registrierte Opfer – die Dunkelziffer nicht eingerechnet. Es steht also noch ein langer Weg bevor.

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