Das musst du wissen

  • Das zurzeit höchste Gebäude der Welt steht in Dubai. Es misst 828 Meter und hat 163 bewohnte Stockwerke.
  • Schon bald könnte es aber Gebäude bis in zwei Kilometer Höhe geben, schätzt ein Experte.
  • Zu den grössten Herausforderungen gehören Windböen und Erdbeben.
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Wenn in Dubai die Sonne während des Fastenmonats Ramadan untergeht, freuen sich gläubige Muslime auf ihr lang ersehntes Abendessen. So auch die Bewohner des Burj Khalifa, des höchsten Gebäudes der Welt. Doch nicht alle dürfen gleichzeitig starten: Wer sich im achtzigsten Stock des Burj Khalifa oder darüber aufhält, ist nämlich von offizieller Seite angewiesen, das Fastenbrechen zwei Minuten nach dem Startzeitpunkt am Boden zu beginnen. Wer in einem der obersten nutzbaren Stockwerke 150 bis 163 wohnt, soll drei Minuten länger warten.

Der Grund für dieses Kuriosum: Die Gebets- und Essenszeiten richten sich nach der Sonne. Menschen, die sich in den Abendstunden in luftigen Höhen befinden, sehen den Sonnenuntergang einige Minuten später als ihre Mitmenschen am Boden, da sich ihr Horizont etwas nach unten verschiebt. Umgekehrt kann man die Spitze des 828 Meter hohen Burj Khalifa an klaren Tagen auch noch aus sechzig Kilometern Entfernung vom Boden aus sehen. Der Wolkenkratzer hat mit seiner Höhe neue Massstäbe gesetzt und hält seine Spitzenposition bereits seit 2008 – in Zeiten eines internationalen Baubooms eine halbe Ewigkeit.

Knapp sechzig Prozent der Weltbevölkerung leben laut Schätzungen bereits heute in Städten – mit stetig steigender Tendenz. Um mehr Menschen Platz zu bieten, wachsen Städte immer weiter in die Höhe.
Aber wie hoch kann es noch hinausgehen? Und ab welcher Höhe sind Gebäude nicht mehr als Wohnorte geeignet?

Wind als grosse Herausforderung

Es gibt keine international einheitlichen Kriterien, die Gebäude nach ihrer Höhe klassifizieren. Der Council on Tall Buildings and Urban Habitat mit Sitz in Chicago definiert Gebäude mit einer Höhe über 300 Meter als «superhoch» und über 600 Meter als «megahoch». Nach dieser Definition gibt es neben dem Burj Khalifa in Dubai derzeit nur zwei fertige Gebäude, die es in die Kategorie «megahoch» schaffen. Der Shanghai Tower in China und der Royal Clock Tower im saudi-arabischen Wallfahrtsort Mekka. Obwohl beide rund 200 Meter kleiner sind als der Burj Khalifa, liegen ihre Aussichtsplattformen einige Meter höher als die des Dubaier Wahrzeichens. Aktuell im Bau befindet sich der Merdeka 118 in Kuala Lumpur – 679 Meter sollen es werden. Damit wird er bei seiner Fertigstellung Ende 2022 den Shanghai Tower als zweithöchstes Gebäude der Welt ablösen.

Die Höhen um 600 Meter sind nicht zufällig gewählt. Denn eine der schwierigsten Herausforderungen beim Bau und Betrieb von Mega-Wolkenkratzern ist der Wind. So auch beim Burj Khalifa. «Wir haben viel Zeit mit Tests und Simulationen im Windkanal verbracht, um dem Gebäude eine Form zu geben, die die vom Wind verursachten Kräfte abmildert», sagt William Baker, der als Chefingenieur den Bau des weltgrössten Wolkenkratzers geleitet hat.

Spitze pendelt hin und her

Meteorologisch gesehen beginnt in einer Höhe von 500 bis 2000 Metern der Übergang von der sogenannten planetarischen Grenzschicht hin zur freien Atmosphäre. Innerhalb der Grenzen dieser Schicht gibt es wegen der Nähe zur Erdoberfläche viele Luftverwirbelungen, die den Wind auf gemässigte Geschwindigkeiten abbremsen. Je höher man geht, desto weniger bleibt von diesem schützenden Effekt. Die Winde wehen stärker und konstanter. «Diese zusätzlichen Effekte treten typischerweise ab einer Höhe von etwa 600 Metern auf. Das ist dann schon eine andere Welt da oben», sagt Baker. Auch der Burj Khalifa muss grossen Kräften trotzen, wenn der Wüstenwind Shamal mit bis zu 200 Stundenkilometern gegen seine oberen Fassaden rauscht. Seine Spitze pendelt dann etwa zwei Meter hin und her. Ein Y-förmiger Grundriss sowie eine ausgeklügelte Terrassenkonstruktion über verschiedene Ebenen unterbrechen Luftverwirbelungen und minimieren die Angriffsfläche für Windböen.

Blick aus dem Burj Khalifa, man sieht weit unten die Wolken von oben und auch andere Hochhäuser ragen über die Wolken hinaus.Unsplash / Rohan Makhecha

Die Aussicht aus dem Burj Khalifa an einem wolkigen Tag.

Je nach Lage sind auch Erdbeben eine Gefahr für Wolkenkratzer. Interessanterweise seien aber gerade niedrigere Gebäude im Verhältnis zu ihrer Höhe anfälliger für Erdbebenschäden, erklärt Baker. «Sie gehen sozusagen alle Rüttelbewegungen des Bebens mit, während höhere Bauwerke die Erschütterungen durch ihre Elastizität besser abfedern können.» Das bringt die Planer in ein Dilemma. Bei Wind gilt in aller Regel: je starrer ein Gebäude, desto stabiler. Bei Erdbeben ist es dagegen umgekehrt: Je starrer das Gebäude, desto höher die Kräfte, denen es standhalten muss. «Wind und Erdbeben werden oft als ähnliche bauliche Herausforderungen gesehen, sind aber sehr verschieden», sagt Baker. Man müsse daher immer einen Kompromiss zwischen Stabilität und Flexibilität finden. Daneben mussten die Erbauer des Burj Khalifa viele weitere Herausforderungen bewältigen: Unmengen Beton in die Höhe pumpen, ohne dass er vorher aushärtet oder durch den enormen Druck die Leitungen sprengt. Express-Aufzüge in akzeptabler Zeit in jedes Stockwerk befördern. Das riesige Bauwerk bei extremer Hitze kühlen und mit Wasser versorgen. Für all diese Probleme mussten massgeschneiderte, teils völlig neue Lösungen her.

Wie hoch kann es hinausgehen?

Das einzige Gebäude, das den Burj Khalifa übertreffen soll und es auch bis zur Bauphase geschafft hat, ist der Jeddah Tower in der gleichnamigen saudi-arabischen Hafenstadt. Eigentlich sollte er schon 2017 eröffnet werden und mit der magischen Marke von tausend Metern den Burj Khalifa vom Thron stossen. Doch daraus wurde nichts. Denn fünf Jahre nach Baubeginn wurden die Arbeiten nach sechzig Stockwerken und einer Höhe von 250 Metern im Jahr 2018 unterbrochen. Im Zuge der saudischen Antikorruptionskampagne wurden hochrangige Geldgeber festgenommen. Seitdem liegt das Projekt auf Eis, Versuche zur Wiederbelebung scheiterten. Die Bauruine von Jeddah verdeutlicht, dass auch die Bauzeit ein wichtiger Faktor bei der Planung von solchen Megaprojekten ist – für Gebäude über 600 Meter sind es im Schnitt rund sieben Jahre. Dies weniger wegen der technischen Herausforderungen, sondern vielmehr aufgrund der politischen Rahmenbedingungen, meint Baker. «Je länger man baut, desto mehr kann in der Zwischenzeit schiefgehen mit Blick auf Finanzkrisen und politische Unruhen.»

«Megahohe Bauwerke haben eine andere Funktion als andere Gebäude.»William Baker, Chefingenieur Burj Khalifa

Ein Meilenstein im wahrsten Sinne dürfte wohl ein Gebäude mit einer Höhe von einer Meile, also gut 1600 Metern sein. Mehrere Projekte peilen diese Marke an, wie beispielsweise der Sky Mile Tower, der in Zukunft Japans Hauptstadt Tokio überragen könnte. Doch keines der Vorhaben ist bisher konkret in Planung. Die Höhe an sich sei laut Baker relativ problemlos zu erreichen. Er gibt aber zu bedenken, dass ein solches Gebäude nicht einfach ein doppelter Burj Khalifa wäre, sondern ein völlig anderes Projekt, ein Prototyp mit vielen neuen Herausforderungen. Der Versuch, bestehende Gebäude einfach hochzuskalieren, sei ein häufiger Fehler bei gescheiterten Vorhaben, so der Ingenieur. «Das klappt so nicht», sagt er. «Bei jedem hohen Gebäude fangen wir daher im Prinzip auf einem weissen Blatt Papier an und müssen fast alles neu planen.»

Aber: Der Experte sieht keinen Grund, warum es nicht noch höher hinaus gehen sollte. «Eine sehr praktikable und auch finanziell leistbare Höhe sehe ich im Bereich von einer Meile bis zwei Kilometer.» Gebäude mit solchen Höhen könnten seiner Einschätzung nach schon in naher Zukunft gebaut werden.

Die Grenzen des Machbaren

Wenn es nur nach dem Material ginge, schätzt Baker die maximale Höhe für einen schmalen turmförmigen Wolkenkratzer auf etwa 9000 Meter, schränkt aber gleich ein: «Ich bezweifle, dass wir so einen Wolkenkratzer jemals sehen werden.» Denn: Wegen der langen Bauzeit und der exorbitanten Kosten wäre ein solches Gigaprojekt im Vornerein zum Scheitern verurteilt. Auch die Baumethoden selbst seien hierfür noch nicht ausgereift genug. Andere Formen, wie etwa eine gigantische Pyramide, könnten theoretisch noch grössere Höhen ermöglichen, weil das Eigengewicht anders verteilt wäre. Sie würden aber auch eine entsprechend riesige Grundfläche benötigen – und dabei vor allem jede Menge Innenraum ohne Tageslicht hervorbringen. Das Ergebnis wäre dann kein klassisches Wohngebäude mehr.

Zudem würden sich bei extrem hohen Gebäuden ganz neue praktische Probleme aufdrängen. Will man regelmässig eine lange Fahrstuhl-Odyssey durchlaufen, wenn man nur mal kurz vor die Tür muss? Und sind astronomisch teure Penthouses in mehreren Kilometern Höhe auch dann noch attraktiv, wenn man aufgrund starker Winde oder wegen des niedrigeren Sauerstoffgehalts und Luftdrucks womöglich nicht einmal das Fenster öffnen kann? Die Aussicht müsste wohl vieles aufwiegen, wenn sie nicht gerade selbst von Wolken versperrt ist.

Megahohe Gebäude als Aushängeschilder

Sind solche schwindelerregenden Höhen also überhaupt erstrebenswert? In Anbetracht des Baubooms scheint es so. Und ein baldiges Ende dafür sieht Baker nicht. Vielmehr sagt er: «Ich hoffe, dass sich immer jemand finden wird, der höher hinaus will. Es ist Teil der menschlichen Natur, etwas erreichen zu wollen, was vorher noch niemand geschafft hat.» Dass überall Mega-Wolkenkratzer aus dem Boden schiessen und sich ganze Städte in Kilometer hohe Mauern verwandeln, hält er dennoch für unwahrscheinlich. Extreme Gebäude sollten ja schliesslich etwas Besonderes bleiben. «Megahohe Bauwerke haben eine andere Funktion als andere Gebäude. Sie sind Aushängeschilder auf der Weltbühne und können enorme Veränderungen für ihre Stadt bewirken, wie der Burj Khalifa für Dubai und seinerzeit der Eiffelturm für Paris. Aber auch Paris braucht keine zwei Eiffeltürme», sagt Baker. Mit Blick auf die stetig wachsende Weltbevölkerung und Urbanisierung sieht er daher den Grossteil der Gebäude in Bereichen zwischen dreissig und fünfzig Stockwerken. Deren Bewohner wären dann immerhin noch näher am Strassen- als am Luftverkehr. Und bräuchten auch keine Sonderregelungen für verzögerte Sonnenuntergänge.

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