Wir alle haben uns wahrscheinlich schon einmal gefragt, wozu Fliegen gut sind. Vor allem, wenn sie uns vor der Nase herumschwirren und uns auf die Nerven gehen.

Nun, diese Insekten können äusserst nützliche Aufgaben für uns erfüllen und einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Ressourcenverschwendung, der Abholzung und des Klimawandels leisten. Sie können zum wertvollen Verbündeten bei der Schaffung einer kreislauforientierten und nachhaltigen Wirtschaft werden.

Die Soldatenfliege kann riesige Massen an Lebensmittelabfällen aus Industrie, Haushalten und der Landwirtschaft auf saubere und effiziente Weise verwerten. «Jährlich fallen in der Schweiz fast drei Millionen Tonnen organische Abfälle an. Mangels Trennung landet das meiste davon in Verbrennungsanlagen. Eine Substanz mit einem so hohen Nähr- und Energiewert wegzuwerfen, ist nicht nur Verschwendung, sondern ein wirtschaftlicher Fehler», sagt Elisa Filippi, Gründerin und Geschäftsführerin des Startups TicInsect.

Die Absolventin der Tierproduktionswissenschaften eröffnete letztes Jahr ein Labor in Tesserete. Sie will einen neuen Umgang mit Abfall zeigen. In der Pilotanlage sind Zehntausende von Larven der schwarzen Soldatenfliege am Werk. Diese Fliegenart ist sehr widerstandsfähig gegen Krankheiten, Kälte und andere Umweltfaktoren. Die Larven sind gefrässig und können eine Pizza innerhalb von ein paar Stunden in ihren Bäuchen verschwinden lassen.

Beschleunigte Biokonversion

Im Labor wurden Käfige installiert, in denen die Soldatenfliegen ihren rasanten Lebenszyklus vollziehen: Sie werden geboren, paaren sich, legen Eier und sterben innerhalb von ein bis zwei Wochen. Aus den gesammelten und bebrüteten Eiern entstehen die Larven, die grossen Fresser der Biomasse. In speziellen Boxen deponiert, wachsen sie in etwa zwanzig Tagen von mikroskopischer Grösse auf einige Zentimeter Länge.

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Die Larven der Soldatenfliege können grosse Mengen feuchter organischer Substrate in fettreiche Proteinbiomasse umwandeln und dabei Volumen und Geruch reduzieren.

«Während dieser Zeit tun sie nichts anderes als zu fressen. Sie erreichen eine Biokonversion von organischen Abfällen, indem sie alles, was an Nährstoffen vorhanden ist, in Protein und Fett umwandeln. Sie schaffen es, selbst organisches Material im Zustand der Zersetzung zu reinigen und zu säubern und gleichzeitig das Volumen der Biomasse zu reduzieren, indem sie ihr Wasser entziehen», erklärt Filippi.

Der Hauptzweck der Aufzucht besteht jedoch nicht darin, organische Abfälle auf intelligente Weise zu entsorgen, ohne Energie zu verschwenden. Die Larven selbst und die von ihnen verarbeiteten Materialien können wiederverwertet werden, so dass der Rohstoffverbrauch auf dem Planeten reduziert wird. «Aus 100 Kilo organischer Masse können wir 10 Kilo Protein zur Verwendung als Tierfutter, 5 Kilo Fett zur Herstellung von Biokraftstoffen und 20 Kilo Dünger gewinnen. Der Rest ist Wasser, das verdunstet.»

Alternatives Tierfutter

Das schnelle Wachstum der Weltbevölkerung und der immer höhere Lebensstandard in vielen Ländern haben zu einem starken Anstieg des Fleischkonsums geführt. Dieser Trend hat enorme Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere bei der Produktion von Tierfutter.

«Heute sind Fisch und Sojamehl die wichtigsten Proteinquellen für Tierfutter. Fischmehl verursacht das, was als Überfischung bekannt ist – wir leeren die Meere, und wir tun es hauptsächlich, um Tiere zu ernähren, nicht Menschen. Soja benötigt grosse Anbauflächen und intensive Monokulturen, die oft durch Abholzung in tropischen und subtropischen Gebieten gewonnen werden. Das verändert die Ökosysteme und fördert den Klimawandel. Und in beiden Fällen müssen diese Produkte aus weit entfernten Regionen importiert werden, was sich ebenfalls negativ auf die Ökobilanz auswirkt», betont Filippi.

Als Alternative schlägt sie vor, die Larven der Soldatenfliege zur Herstellung von Mehl und Fett für Tierfutter zu verwenden. «Es ist ein sehr nahrhaftes Futtermittel und für viele Tierarten eine natürliche Nahrung. Die Tiere werden nicht gezwungen, Dinge zu fressen, für die sie nicht prädisponiert sind: Hühner, Schweine und andere Nutztiere haben schon immer Insekten gefressen. Auch Hunde und Katzen. Wir sind es, die sie zwingen, ungeeignetes Futter zu fressen, das Fischmehl, Sojamehl und Getreidemehl enthält.»

Biokraftstoffe und Düngemittel

Für die Herstellung von Futtermitteln ist es laut Gesetz nicht erlaubt, die Larven mit Fleisch oder Fisch zu füttern. Dies ist eine Vorsichtsmassnahme zur Vermeidung von Krankheitsübertragungen. Man denke nur an den «Rinderwahnsinn», der durch die Verfütterung von Tiermehl verursacht wurde.
TicInsect verwendet daher pflanzliche Abfälle, hauptsächlich aus der Agrar- und Lebensmittelindustrie. Die Larven, die mit organischen Abfällen aus Haushalten gefüttert würden, könnten für die Produktion von Fetten verwendet werden, die in Biokraftstoffe und Dünger für Ziergärten oder Hauspflanzen umgewandelt werden.

«Derzeit werden organische Abfälle aus Haushalten, wenn sie nicht verbrannt werden, teilweise zur Erzeugung von Biogas oder zur Kompostierung verwendet. Beides sind jedoch ineffiziente Lösungen. Die Kompostierung erfordert viel Platz und Zeit, was heutzutage kostbare Ressourcen sind, während mit Larven eine Biokonversion in wenigen Tagen und auf kleinem Raum möglich ist. Für Biogas können nur dreissig Prozent der organischen Masse verwertet werden, der Rest ist Schlamm, der entsorgt werden muss», sagt Filippi.

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«Bei den Larven wird nichts weggeworfen. Es ist ein virtuoser Prozess im Vergleich zu anderen Verfahren. Denn man verbraucht kaum Land und Wasser, man verwendet Reststoffe und vermeidet somit Abfall, die Produktion findet vor Ort statt und mit dem Fett der Larven kann man sogar saubere Energie für den Betrieb der Anlage gewinnen», so Filippi.

Nachdem das Start-up mehrere Preise gewonnen hat und finanzielle Unterstützung für das Pilotprojekt bekam, hofft es nun auf eine grössere Investition, um ab nächstem Jahr eine industrielle Anlage zu bauen. Diese würde voraussichtlich drei Millionen Franken kosten. Es sollen darin mehrere hundert Millionen Fliegen gezüchtet werden.

Revolution oder unumkehrbare Folgen

Anlagen dieser Art sind bereits in mehreren anderen europäischen Ländern entstanden oder im Bau. Die beiden grössten befinden sich in den Niederlanden und Frankreich. In der Schweiz gibt es laut Filippi noch viel Widerstand. «Einerseits wecken Fliegen und Larven eine gewisse Abscheu. Zudem wurden im Tessin und in vielen anderen Kantonen riesige Summen für den Bau von Verbrennungsanlagen ausgegeben. Anstatt Recycling und Kreislaufwirtschaft zu fördern, wird heute bevorzugt alles verbrannt», so Filippi.

«Die fast drei Millionen Tonnen organischer Abfälle, die in der Schweiz jedes Jahr anfallen, sind sehr teuer für die Gemeinschaft und die Wirtschaft. Sie kosten in der Verwaltung und Entsorgung. Mit Insekten würden wir einen Kostenfaktor in eine Ressource umwandeln, das wäre eine nachhaltige Revolution», sagt Filippi, für die ein schneller Mentalitätswandel unerlässlich ist.

«Es ist die Art und Weise, wie wir heute Lebensmittel produzieren, die den Planeten zerstört. Nicht die Tatsache, dass wir Lebensmittel produzieren», so Filippi. «Wir produzieren auf eine völlig ineffiziente Weise. Entweder wir bringen dieses System wieder ins Gleichgewicht oder es wird zu unumkehrbaren Konsequenzen kommen.»

Dieser Text erschien zuerst bei swissinfo.
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