Das musst du wissen
- Pre-Prints zeigen ein einheitliches Bild zur neuen Variante. Und zwar, dass Omikron zu milderen Verläufen führt.
- Die grösste Herausforderung für das Gesundheitssystem ist aktuell vor allem die Höhe der Fallzahlen.
- Nach dieser Welle könnte Omikron zum Ausweg aus der Pandemie werden – aber noch ist nichts sicher.
Binnen kürzester Zeit hat sich die Omikron-Variante des Coronavirus weltweit verbreitet. In vielen Ländern hat sie die Delta-Variante verdrängt und verursacht beispiellos hohe Fallzahlen: Momentan infizieren sich global doppelt so viele Menschen wie je in der Pandemie zuvor.
Und trotzdem schlagen die Forschenden nicht lautstark Alarm, wie in vorherigen Wellen. Vielmehr klingen die Warnungen aus der Wissenschaft dieses Mal etwas verhaltener. Doch auf welche Informationen beruft sich die Wissenschaft überhaupt bei einer derart neuen Variante? Wie verlässlich ist dieses Wissen und welche Aussagen erlaubt es zum weiteren Verlauf der Pandemie?
Eindeutige Mehrheitsmeinung zu Omikron
Da man die Omikron-Variante erst seit rund zwei Monaten kennt, befinden sich viele Studien dazu noch im Pre-Print-Stadium. Das bedeutet, dass sie noch nicht von anderen Forschenden begutachtet und verifiziert wurden. Die Ergebnisse aus einer einzelnen Pre-Print-Studie sind also noch kein Beweis. Trotzdem sei das Bild, das die jüngsten Studien beispielsweise aus England und den USA zeigen, klar, sagt Hansjakob Furrer. Als Chefarzt am Berner Inselspital steht der Infektiologe im Kampf gegen das Coronavirus an vorderster Front.
Science-Check ✓
Studie: Comparison of outcomes from COVID infection in pediatric and adult patients before and after the emergence of OmicronKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie vergleicht sämtliche elektronischen Datensätze zu Covid-Infektionen in den USA zwischen dem 9.1. und 24.12.2021 hinsichtlich verschiedener Parameter. Dabei werden die Infektionen bis zum 15.12. (mehrheitlich Delta) den Infektionen in den neun verbleibenden Tagen (überwiegend Omikron) gegenübergestellt. Auch wenn der Datensatz gross ist: Aufgrund des verhältnismässig sehr kleinen Omikron-Zeitraums bleiben die Vertrauensintervalle gross, die Zahlen sind also mit Unsicherheiten behaftet. Die Studie ist zudem ein Pre-Print und noch nicht von anderen Fachpersonen begutachtet worden.Mehr Infos zu dieser Studie...«Alle Studien, auch wenn sie noch im Pre-Print-Stadium sind, deuten in die gleiche Richtung», sagt Furrer. Und zwar: «Die Wahrscheinlichkeit, dass man schwer erkrankt, ist bei Omikron im Vergleich zu Delta kleiner.» Gegenteilige Studien habe der Infektiologe bislang nirgends gelesen. Schon jetzt besteht diesbezüglich also ein wissenschaftlicher Konsens. Ebenso zeigt sich, dass die neue Variante deutlich ansteckender ist.
Qualitativ – also den Unterschied zwischen Omikron und Delta beschreibend – lässt sich diese Aussage zur Gefährlichkeit der neuen Variante jetzt bereits machen. Quantitativ – also in genauen Zahlen ausgedrückt, etwa wie viel ansteckender – dürfte eine Beurteilung allerdings noch eine Weile schwierig bleiben. «Es ist kaum möglich, eine Delta-Situation mit einer Omikron-Situation unter denselben Umständen zu vergleichen», erklärt Hansjakob Furrer. Denn jede Welle startet mit einer neuen Ausgangssituation: Impfstatus, Schutzmassnahmen und Verhalten der Bevölkerung sind stetig im Wandel. Für einen direkten Vergleich kann man daher höchstens versuchen, identische Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Wellen gegenüberzustellen. «Doch damit verliert man sofort auch Genauigkeit, da man einen Grossteil des Datensatzes ausschliessen muss, was die Unsicherheit vergrössert», gibt Furrer zu bedenken. Langsam kristallisiert sich jedoch heraus, dass Omikron nur rund ein Drittel so viele Hospitalisierungen verursacht wie die Delta-Variante, wie unter anderem eine Studie aus Schottland zeigt.
Praxis bestätigt die Studienergebnisse
Die Beobachtungen der Unterschiede zu früheren Varianten bestätigen sich auch im Spitalalltag des Infektiologen. Alles deute darauf hin, dass Omikron mittlerweile unter den Neuinfektionen wie auch bei den Hospitalisierungen dominiert. «Die Abstrich-Tests bei unseren Patientinnen und Patienten weisen eine deutlich höhere Virenanzahl im oberen Rachentrakt aus. Das bedeutet, dass beim Atmen, Husten oder Sprechen mehr Viren austreten», erläutert Furrer. Damit lässt sich die deutlich höhere Ansteckungsrate der Omikron-Variante erklären. Im Gegenzug scheine es so, dass die Viruslast in der Lunge gesunken ist. Das könnte die leichteren Verläufe erklären, denn in der Lunge richtet das Coronavirus die grössten gesundheitlichen Schäden an.
Die kommenden Wochen werden schwierig
Im Vergleich zu Omikron verursachten vorherige Varianten immer mehr schwere Krankheitsverläufe – die Trendwende ist daher grundsätzlich erfreulich. Noch ist es aber zu früh für Optimismus, warnt Hansjakob Furrer: «Wenn im Vergleich zu vorherigen Wellen dreimal weniger Menschen schwer erkranken, aber fünfmal mehr Menschen sich infizieren, sind das immer noch mehr Menschen, die schlussendlich ins Spital müssen.» Noch beobachtet Furrer im Vergleich zu den schnell steigenden Fallzahlen verhältnismässig wenige Hospitalisierungen. Dass im Vergleich zum letzten Winter deutlich mehr Menschen dank der Impfung besser vor schweren Verläufen geschützt sind, mache sich hier positiv bemerkbar. Doch auch bei den Spitaleinweisungen ist die Tendenz steigend.
Damit ist die grösste Herausforderung aktuell die schiere Zahl der Fälle. In der ersten Januarwoche wurden täglich 30 000 Menschen positiv getestet bei einer Positivitätsrate von über dreissig Prozent. «Das bedeutet, dass man extrem viele Infektionen übersieht», sagt Furrer. Denn je höher der Anteil positiver Tests ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Fälle übersehen werden. Konkret bedeuten die hohen Infektionszahlen also vor allem einen hohen Anteil an Beschäftigten, die aufgrund der Erkrankung ausfallen. Das schadet den Spitälern ebenso wie dem Rest der Arbeitswelt. «Wir hören aus vielen Ländern, dass das Gesundheitssystem überfordert ist. Das liegt auch daran, dass viel Gesundheitspersonal infiziert ist und ausfällt», sagt der Infektiologe. Der Personalengpass, der bereits auf den Intensivstationen besteht, würde sich allgemein auf alle Mitarbeitenden in den Krankenhäusern ausweiten.
Endemie als Ausweg?
Die kommenden Wochen, möglicherweise auch Monate, werden also noch einmal eine grosse Herausforderung für das Gesundheitssystem. Doch die Prognosen für die weitere Entwicklung danach sehen besser aus als noch vor zwei Monaten. Dass sich immer ansteckendere Varianten durchsetzen würden, sah Hansjakob Furrer bereits kommen: «Das Virus, das sich am leichtesten überträgt, wird sich immer durchsetzen.» Dass das Virus damit aber harmloser würde, war jedoch nicht unbedingt abzusehen: Da die meisten Erkrankten erst dann verstarben, wenn die Phase der höchsten Infektiosität bereits abgeklungen war, stellte die höhere Sterblichkeit kein Hindernis für die Virenverbreitung dar. Eine solche Eigenschaft, die für die Vermehrung des Virus keinen evolutionären Nachteil darstellt, entwickelt sich nicht zwangsläufig zurück. «Dass die ansteckendste Variante nun eine ist, die weniger krank macht – da hatten wir Glück», sagt Furrer.
Damit öffnet sich der Weg aus der Pandemie in die Endemie. Darunter versteht man eine Situation, in der eine Krankheit in einer Region fortwährend zirkuliert. Denn nach der Omikron-Welle dürfte kaum noch jemand in der Schweiz weder genesen noch geimpft sein, sind sich Fachleute einig. Damit hat die gesamte Bevölkerung einen gewissen Schutz vor schweren Verläufen. Bleiben künftige Varianten ebenso mild wie Omikron, könnte sich das Coronavirus tatsächlich in die Reihe der stets zirkulierenden Erkältungsviren einreihen, ohne dass das Gesundheitssystem noch einmal so an seine Grenzen stösst wie in der Pandemie.
Doch noch ist es etwas zu früh, um sich zu freuen: «Es gibt auch Krankheiten wie das Denguefieber, das in manchen Ländern der Tropen endemisch ist. Das ist eine ernste Krankheit, die schwer krank machen kann und tausende von Opfern fordert. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass das Coronavirus eine neue Variante entwickelt, die sich so leicht verbreitet wie Omikron und trotzdem die Lunge so schwer angreift wie die Delta-Variante», warnt Furrer. Doch auch wenn erst einmal noch die Hürde der Omikron-Welle überwunden werden muss, zeigt sich der Infektiologe vorsichtig zuversichtlich. Die Vorzeichen auf einen Ausweg aus dieser Pandemie stehen besser als je zuvor.