Das musst du wissen

  • Sanktionen gegen Russland machen auch vor der Forschung nicht halt.
  • Ein Fachmagazin hat etwa beschlossen, keine Artikel von Forschenden von russischen Institutionen mehr zu publizieren.
  • Ein Forscher warnt, dass Boykotte der Welt schaden werden – wohl kaum aber dem Kreml.

Warum es zur Diskussion steht. Russland wurde bereits vom Eurovision Song Contest ausgeschlossen und die Fifa drohte mit dem Ausschluss von der Fussballweltmeisterschaft. Warum nicht auch Sanktionen für die Wissenschaft? Viele Zeitschriften, darunter auch die renommiertesten wie Nature oder Science, veröffentlichten schnell Artikel, in denen sie sich von Russland distanzierten und das Vorgehen von Wladimir Putin in der Ukraine anprangerten. Es gab keine expliziten Boykottdrohungen, aber eine klare Stellungnahme.

Seit Beginn des Krieges riefen ukrainische Forschende zum Boykott ihrer russischen Kolleginnen und Kollegen auf und ermutigten die internationale Wissenschaftsgemeinschaft, sie nicht zu Wort kommen zu lassen. Denn die russischen Forschenden hätten kein «moralisches Recht» dazu, wie die Direktorin des ukrainischen Rates junger Forschender es ausdrückte.

Die Reaktion der wissenschaftlichen Zeitschriften. Dieser Appell, der von einigen der wichtigsten Namen der wissenschaftlichen Forschung gehört wurde, rief unterschiedliche Reaktionen aus:

Elsevier, einer der grössten Verlage in diesem Bereich, der für die Veröffentlichung von mehreren Dutzend Zeitschriften verantwortlich ist, gab zum Beispiel keine Anweisungen, sondern überliess es den einzelnen Zeitschriften. Nur wenige beschlossen, Geringes an ihrer Politik in Bezug auf russische Autorinnen und Autoren zu ändern. Mit Ausnahme von The Journal of Molecular Structure, das ein Veto gegen einige – aber nicht alle – russischen Forschenden einlegte.

Der Chefredakteur dieser Fachzeitschrift, Rui Fausto, stellt klar:

«Es wurde beschlossen, Manuskripte von Forschenden, die an russischen Institutionen arbeiten, nicht zu berücksichtigen. Das gilt jedoch nicht für alle russischen Autorinnen und Autoren, denn das wäre etwas, das wir niemals akzeptieren könnten.»

«Moralisches Recht» gegen moralische Pflicht. Rui Fausto sieht den Boykott als moralische Pflicht gegenüber einer Regierung, die Menschenrechte massiv missachtet.

«Es ist eine vorübergehende Massnahme und war eine schmerzhafte Entscheidung», erklärt er. Ich wurde von der russischen Regierung mit ihren mörderischen Aktionen dazu gezwungen. Es ist nicht gegen die Forschenden selbst gerichtet, die nicht unbedingt ihr Regime unterstützen, aber wir können angesichts dieses Dramas, das sich gerade abspielt, nicht tatenlos zusehen.»

Russische Institutionen sanktionieren. Eine ähnliche Entscheidung traf Clarivate, das Unternehmen, das die Datenbank von Web of Science, einer Plattform für wissenschaftliche Informationen, betreibt. Das Büro von Clarivate in Russland ist nun geschlossen und alle Aktivitäten sind gestoppt. Das bedeutet, dass russische Forschende ihre wissenschaftlichen Artikel weiterhin einreichen können, aber neue Zeitschriften, Bücher oder Konferenzen, die in Russland oder Belarus veröffentlicht wurden, nicht mehr hinzugefügt oder von der Community bewertet werden können. Lisa Hulme, Leiterin der Abteilung für externe Kommunikation, begründet dies so:

«Wir halten uns an das internationale Recht. Aber wir haben darauf geachtet, dass wir nicht die Forschenden bestrafen, sondern nur die Institutionen.»

Trotzdem befürchten gewisse russische Forschende, dass diese Massnahmen sie weiter isolieren könnten, unabhängig von ihren persönlichen Ansichten über den Krieg. Das Magazin The Scientist zitiert viele russische Forschende, die von den Sanktionen direkt betroffen sind. Sie werden von internationalen Konferenzen ausgeschlossen, die Zusammenarbeit mit anderen Universitäten wird ausgesetzt, und selbst wenn ihre Labore nicht direkt beschuldigt werden, leiden sie unter den Folgen des Abbruchs der Beziehungen.

Russische Forschende sind indirekt betroffen. John Holdren, Umweltwissenschaftler an der Harvard University und zuvor wissenschaftlicher Berater des Weissen Hauses unter US-Präsident Barack Obama, bestätigt:

«Es ist unvermeidlich. Sie sind wegen der Sanktionen isoliert. Der Unterbruch der wissenschaftlichen Zusammenarbeit schadet den westlichen Interessen mehr als dem Regime von Wladimir Putin. Wir befürchten, dass dies zu Diskriminierung führt und diese andauern werden.»

Der Forscher veröffentlichte zusammen mit mehreren Kollegen aus den USA oder Kanada im Fachmagazin Science einen Aufruf zur Unterstützung der russischen Forscherinnen und Forscher. Sie schreiben: «Die Dosierung und Ausrichtung von Sanktionen gegen Putin müssen gut überlegt sein. Und die verständliche Wut des Augenblicks darf diese Überlegungen nicht überlagern.»

Sind Sanktionen kontraproduktiv? Die Befürchtung ist, dass es langfristig und generell die wissenschaftliche Zusammenarbeit bremsen könnte, mit dem einzigen Effekt, dass grosse Projekte verlangsamt werden. Der Umweltwissenschaftler John Holdren fügt an:

«Es gibt eine enge Zusammenarbeit beispielsweise bei der Pandemie, dem Klimawandel oder der nuklearen Sicherheit. Die Welt wird enorm darunter leiden, wenn all diese talentierten Forschenden bei diesen Themen ausgeschlossen werden.»

Schlimmer noch, er glaubt, dass all dies keine Auswirkungen auf den Kreml haben wird. Die ganz konkreten Auswirkungen dieses Krieges auf die Raumfahrt zeigen, dass Russland vor nichts zurückschrecken wird, um die Zusammenarbeit mit den westlichen Ländern zu sabotieren – selbst wenn das bedeutet, mit dem Absturz der Internationalen Raumstation zu drohen oder ausländische Starts, die auf Sojus-Raketen angewiesen sind, abzusagen. Sind ein paar Zitate weniger in den grossen Zeitschriften wirklich eine ausreichende Drohung?

John Holdren fügt hinzu, dass Boykotte jeglicher Art in der Welt der Wissenschaft keinen Platz haben:

«Grenzüberschreitende Kontakte unter Forschenden haben bewiesen, dass eine auf Fakten basierende, ideologiefreie Kommunikation bereits dazu beigetragen hat, internationale Beziehungen zu stabilisieren, selbst in Zeiten, in denen Regierungen miteinander im Konflikt standen. Die Verhinderung von Kontakten zwischen Forschenden würde die Welt nur unsicherer machen.»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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