Das musst du wissen
- Im Januar 2022 wurde erfolgreich ein Schweineherz in einen Menschen transplantiert, der Patient überlebte zwei Monate.
- Die Gene des Tieres wurden verändert – sonst hätte das menschliche Immunsystem das fremde Organ sofort zerstört.
- Einem Schweizer Experten zufolge hat die Forschung bereits den Grossteil des Weges zur Praxisanwendung geschafft.
«Xenotransplantation ist die Zukunft, aber sie wird es auch für immer bleiben.» Als der Pionier auf dem Gebiet der Transplantation, Norman Shumway, in den 1960er-Jahren diesen Satz sagte, sah es tatsächlich so aus, als würden sich tierische Organe nie als Ersatz für menschliche eignen. Heute ist die Forschung bedeutend weiter – wie weit zeigt der Fall des 57-jährigen Amerikaners David Bennett: Ihm wurde am 7. Januar 2022 an der University of Maryland erfolgreich ein Schweineherz transplantiert. Erst zwei Monate später starb Bennett – über die genaue Todesursache gibt es noch keine Informationen. Doch so lange überlebte bislang noch kein Mensch mit einem tierischen Herzen.
Schimpanse war erster Organspender für einen Herzkranken
Doch der Reihe nach: Die Idee, tierische Organe für Transplantationen zu nutzen, ist so alt wie Organtransplantationen selbst. Laut einem wissenschaftlichen Artikel über die Geschichte der Xenotransplantation gab es bereits vor dem 20. Jahrhundert medizinische Experimente, bei denen tierische Haut und tierisches Blut transplantiert worden sein sollen. Zur Zeit von Shumways Zitat machte die Transplantationsmedizin insgesamt enorme Fortschritte. 1964 erhielt erstmals ein Mensch ein Spenderherz – und zwar jenes eines Schimpansen; das war drei Jahre, bevor die erste Herzspende von Mensch zu Mensch vonstatten ging.
Zwar gab das Schimpansenherz nach wenigen Stunden den Geist auf, denn es war zu klein, um die Blutzirkulation des Menschen aufrecht zu erhalten. Dennoch wurden aufgrund der nahen genetischen Verwandtschaft Menschenaffen weiter als Spendertiere gehandelt. Doch der Fall von «Baby Fae», dem ersten Kleinkind, das ein Pavianherz erhielt und zwanzig Tage später starb, brachte die Xenotransplantation insgesamt in Verruf. Diese kritische Stimmung prägte auch die mediale Debatte, als 1996 ein indischer Chirurg ein Schweineherz in einen menschlichen Patienten verpflanzte, der eine Woche damit überlebte. Es war nicht das erste Schweineherz, das in einem menschlichen Körper schlug: In Polen gab es bereits vier Jahre zuvor eine ähnliche Operation, der Patient überlebte keine 24 Stunden. Dennoch sorgte erst der indische Vorfall für Aufregung: Der Chirurg wurde wegen Verstoss gegen das Transplantationsgesetz verhaftet und war vierzig Tage im Gefängnis.
Science-Check ✓
Studie: Baboon-to-Human Cardiac Xenotransplantation in a NeonateKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsAls Einzelfall hatte die Transplantation des Pavianherzens für Baby Fae medizinisch wenig Aussagekraft – das ist generell das Problem an bisherigen Operationen am Menschen, denn die wenigen Einzelfälle können nicht als repräsentativ erachtet werden. Vielmehr aber wurde die ethische Abwägung der Operation kritisiert. Denn ein therapeutischer Erfolg, also ein dauerhaftes Überleben von Baby Fae, war mit den begrenzten medizinischen Erfahrungen im Jahr 1984 ausgeschlossen. In solchen Fällen verlangt die Medizinethik eigentlich eine «informierte Zustimmung» zur Behandlung – die eine Neugeborene nicht erbringen kann. Der Ethiker Richard A. McCormick bezeichnete dies in einem Debattenbeitrag im Hastings Center Report als Verstoss gegen die Grundwerte medizinischer Behandlungen.Mehr Infos zu dieser Studie...Schweine eignen sich besser als Affen
Dennoch blieb die Forschung dem Schwein treu, wie die Geschichte von David Bennett zeigt. Genetisch zwar nicht so nah mit dem Menschen verwandt wie Schimpansen, haben die Organe von gewissen Schweinerassen zumindest annähernd die richtige Grösse. Die ethischen Bedenken sind bei Schweinen, die wir seit langer Zeit als Nutztiere domestiziert haben, zudem geringer. Schimpansen stehen darüber hinaus unter Artenschutz, laut WWF gibt es weltweit noch höchstens eine halbe Million Exemplare. Schweine gibt es hingegen allein in der Schweiz mehr als doppelt so viele. Schweine haben aber noch einen anderen Vorteil: Aufgrund ihrer kurzen Tragezeit und ihrem zahlreichen Nachwuchs liessen sie sich besser für die massenmedizinische Nutzung züchten.
Doch auch die Wahl des Schweins als Organlieferant für den Menschen sorgte für kontroverse Diskussionen. Auslöser waren die sogenannten Porcine Endogenous Retroviruses, kurz Pervs. Dabei handelt es sich um Viren, die in der DNA von Schweinen gespeichert sind – und rein theoretisch in Menschen Krankheiten auslösen könnten. Die Angst vor den Schweineviren hätte die Forschung Ende der 1990er fast zum Erliegen gebracht: In der Schweiz beispielsweise verabschiedete der Bundesrat 1998 deswegen sogar ein befristetes Moratorium für Xenotransplantationen. Doch die Gefahr einer Perv-Pandemie gilt heute als sehr gering, weiss der Transplantationsimmunologe Jörg Seebach vom Universitätsspital Genf: «Es gab viele Untersuchungen und nie konnte ein Reaktivierung dieser Retroviren in lebenden Organismen beobachtet werden. Ein Restrisiko bleibt immer – aber wenn man absolut sicher sein will, kann man die Schweine mittlerweile genetisch so verändern, dass sie keine Pervs mehr haben.»
Jörg Seebach
Der Experte geht sogar soweit, dass er das Konzept der Xenotransplantation im Hinblick auf die mögliche Übertragung von Infektionen als sicherere Alternative zur Organspende von Mensch zu Mensch erachtet. Denn die Schweine werden schon als Embryos aus dem Uterus genommen, genau untersucht und steril gehalten. Die Spendertiere sind also genau bekannt – anders als etwa bei einem verunglückten Motorradfahrer, dessen Organe innerhalb von Stunden transplantiert werden müssen. Dabei können bei menschlichen Organtransplantation auch bekannte Erreger mitverpflanzt werden, was in sehr seltenen Fällen vorkommt, weiss Seebach. 2005 beispielsweise kam es zu zwei Infektionen mit Tollwutviren. «Bei Xenotransplantation unter sterilen Bedingungen ist das ausgeschlossen», sagt der Experte.
Das Immunsystem mag das neue Organ nicht
Doch warum werden die Organe von Schweinen dann noch nicht massenhaft in der Praxis eingesetzt? Weil sie für das Immunsystem des Menschen Fremdkörper sind – und der Körper deshalb mit allen Mitteln versucht, diese zu zerstören. Eines der grossen Probleme dabei konnte die Forschung bereits lösen: die sogenannte hyperakute Abstossung, die innerhalb von Minuten bis Stunden stattfindet. Warum es zu dieser Abstossung kommt, hat mit einem winzigen Zuckermolekül zu tun, das zwar bei allen Säugetieren und damit auch bei Schweinen, nicht allerdings bei Menschen und Schimpansen vorkommt. Es heisst Alpha-Gal und befindet sich wie ein Schwänzchen auf der Oberfläche der sogenannten Endothelzellen, die die Innenseite von Blutgefässen auskleiden und die Blutgerinnung regulieren. Wir Menschen bilden gegen Alpha-Gal bereits als Babys Antikörper. Wenn nun also das transplantierte Schweineherz Blut durch den Körper pumpt, binden sich diese im Blut befindlichen Antikörper an die Zuckermoleküle und zerstören damit die Endothelzellen. Das Blut gerinnt, wird also dick, das Organgewebe verstopft und erhält keinen Sauerstoff mehr und stirbt ab.
Umgehen lässt sich dieses Problem heute dank sogenannten Gen-Knockouts. Dabei werden die Gene des Spenderschweins so verändert, dass sie das Enzym, das die Alpha-Gal-Zucker bildet, nicht mehr haben. Auch das Schweineherz, das kürzlich David Bennett transplantiert wurde, hatte diese genetische Veränderung – und er war der erste lebende menschliche Beweis dafür, dass damit eine hyperakute Abstossung verhindert werden kann. Denn bisher gab es zwar Erkenntnisse aus der Petrischale im Labor und vielversprechende Studien mit Pavianen – die Anwendung beim Menschen war aber erst Theorie.
Weg zur praktischen Anwendung ist nicht mehr weit
«Die Transplantation im Januar ist ein riesiger Durchbruch», sagt Jörg Seebach. «Doch es handelt sich trotzdem nur um eine einzelne Fallstudie. David Bennett war darüber hinaus enorm vulnerabel und mehrfach erkrankt. Was es jetzt braucht, ist statistische Power in Form von grösseren klinischen Studien – nicht mehr nur an Pavianen sondern wirklich beim Menschen.» Das könnte schon bald Realität werden: Revivicor, die Firma, die auch Bennetts Schweineherz gezüchtet hat, will schon Ende 2023 eine klinische Studie durchführen, wie das amerikanische Wirtschaftsmagazin Biz Women berichtete. Solche Studien sollen die Xenotransplantation endgültig zur praktischen Anwendung bringen. Seebach: «Durch die Fortschritte in den vergangenen dreissig Jahren haben wir bestimmt schon siebzig Prozent auf dem Weg zur Praxis zurückgelegt. Wir verstehen schon sehr viel und müssen eigentlich nur noch die Lösungsansätze verfeinern.»
Ein Grundproblem der Transplantationsmedizin besteht allerdings weiterhin: das intelligente Immunsystem, die T- und B-Zellen. Dieses kann noch lange nach der Operation spezielle Antikörper gegen das körperfremde Gewebe bilden und es direkt angreifen – unabhängig davon, ob es von einem Tier oder einem Menschen stammt. Um das zu verhindern, wird die sogenannte Immunsuppression notwendig, also eine komplette Schwächung des Immunsystems. Diese macht den Körper jedoch angreifbar und schränkt damit das Leben der Betroffenen enorm ein. «Das Immunsystem ist nicht dafür gemacht, Organe abzustossen. Es ist dazu gemacht, Infektionen abzuwehren und deshalb muss man aufpassen, wenn man es unterdrückt», sagt Seebach.
Tolerante Immunsysteme
Entsprechend sei momentan die grosse Herausforderung, nicht das komplette Immunsystem zu schwächen, sondern gezielt die speziellen T- und B-Zellen zu blockieren, welche gegen die Schweinezellen gerichtet sind – und möglicherweise das Immunsystem so zu verändern, dass es das fremde Gewebe nicht mehr als fremd erkennt. So würde also nicht nur der Spender genetisch so verändert werden, dass sein Organ zur Empfängerin passt – sondern auch die Empfängerin so angepasst, dass ihr Körper das Organ nicht abstösst. Bei Mäusen funktioniert diese sogenannte induzierte spezifische Transplantationstoleranz bereits ganz gut, wie eine Studie zeigt. «Beim Menschen ist das aber noch Zukunftsmusik – induzierte Immuntoleranz ist quasi der heilige Gral der Transplantationsimmunologie», sagt Seebach.
«Transplantationen von Mensch zu Mensch sind noble Spenden – bis auf wenige kriminelle Firmen lässt sich damit kein Geld verdienen. Mit dem Züchten und Vermarkten von Spenderschweinen hingegen schon.»
Bevor Menschen mit Schweineherzen leben können, muss die Forschung also noch weitere Fortschritte machen. Dazu braucht es vor allem eines: finanzielle Förderung. Zwar wird die Xenotransplantation in der Schweiz durch den Schweizerischen Nationalfonds und auch in Deutschland von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützt – allerdings, so Jörg Seebach, auf Sparflamme: «Dieses Geld reicht gerade so, um nicht zu sterben, aber nicht zum Überleben. Das Know-how ist da, aber das Geld nicht. Es bräuchte Millionen, um die Forschung zur klinischen Anwendung zu bringen – Millionen, die die öffentliche Hand nicht hat.» Das hat auch mit ethischen Bedenken der Behörden zu tun, die in Ländern wie den USA und China weniger stark ausgeprägt beziehungsweise «zielgerichteter» sind, wie Seebach sagt.
Organspende-Schweine: Bald schon ein Geschäftsmodell?
Zudem ist vor allem die finanzielle Unterstützung der Privatwirtschaft in den USA bedeutend ausgeprägter als in Europa. Seebach spricht von «venture capital», also Wagniskapital. Denn Xenotransplantationen könnten dereinst lukrativ für die Privatwirtschaft sein. «Transplantationen von Mensch zu Mensch sind noble Spenden – bis auf wenige kriminelle Firmen lässt sich damit kein Geld verdienen. Mit dem Züchten und Vermarkten von Spenderschweinen hingegen schon», sagt er. Ein «Wagnis» ist die Investition deshalb, weil die tierischen Organe momentan noch teuer sind: Laut dem Fachmedium TCTMD liegen die Kosten pro Xenotransplantation noch fünf Mal höher als für Organspenden: Die gentechnisch veränderten Schweine müssen zunächst aufwendig und teuer hergestellt und schliesslich in sterilen Verhältnissen gehalten werden. Und auch die notwendige engere Betreuung auf der Intensivstation nach erfolgter Transplantation sorgt genauso wie die teuren Medikamente zur Immunsuppression für höhere Kosten.
Doch trotzdem ist Geld nur ein Aspekt unter vielen, der über die Zukunft der Xenotransplantation und damit der Organtransplantation generell entscheidet. «Wir machen das nicht, um uns zu bereichern oder weil wir Frankenstein spielen wollen, sondern weil Menschen auf Organe warten und sterben», sagt Seebach. Denn die Organknappheit würde seiner Meinung nach vermutlich auch bei einer Annahme der Widerspruchslösung am 15. Mai nicht überwunden werden. Diese Lücken werden damit in Zukunft wohl auch tierische Organe füllen müssen. Erfolgreiche Operationen wie bei David Bennet zeigen bereits jetzt: Wir leben zwar noch nicht in der Zukunft, aber wir sind ihr bereits einen grossen Schritt näher gekommen.