Das musst du wissen
- Anstelle einer eigenen Cloud-Infrastruktur für die Schweiz setzt der Bund künftig eher auf ein Cloud-Label.
- Die hiesige Branche bemängelt, dass die Ausschreibung internationale Unternehmen bevorzuge.
- Eine Cyber-Expertin sieht dies als verpasste Chance für die Schweiz und zweifelt die Souveränität der Lösung an.
Warum reden wir darüber? Immer wieder hat der Bund die Idee einer «Swiss Cloud» ins Spiel gebracht. Im April 2020 hat er eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um die Notwendigkeit einer eigenen Infrastruktur prüfen zu lassen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass kein Bedarf einer eigenständigen öffentlich-rechtlichen technischen Infrastruktur bestehe, wie es in einer Mitteilung heisst. Daher möchte der Bund nun auf ein bescheideneres «Swiss Cloud»-Label setzen und hat die Ausschreibung dafür im Dezember lanciert. In der Branche führte dies zu Unbehagen.
Eine gezielte Ausschreibung? «Sie suchen fünf Anbieter, und wir haben Probleme, auch nur einen zu identifizieren.» So fasst Marc Oehler, Geschäftsführer von Infomaniak, einem Schweizer Anbieter von Hosting-Technologien, das Unbehagen über die Ausschreibung des Bundesamts für Bauten und Logistik BBL zusammen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Jacobsen, Leiter Kommunikation, listet er die Anforderungen auf, die aus ihrer Sicht Schweizer Lieferanten ausschliessen:
- Bestimmte Zertifizierungen
- In der Lage sein, mindestens 24 Dienste aus einer Liste von 32 Diensten anzubieten
- Mindestens drei Rechenzentren auf verschiedenen Kontinenten haben
Infomaniaks Hypothese lautet: Die Ausschreibung wurde mit Blick auf Microsoft verfasst, mit der die Verwaltung gewohnt ist, zusammenzuarbeiten.
Bei Swisscom ist der Eindruck ähnlich. Der Konzern bietet Cloud-Dienste weltweit an, aber nicht unbedingt über eigene Rechenzentren. Mit einer Ausnahme in Italien liegen sie alle in der Schweiz. Alicia Richon, Sprecherin der Gruppe:
«Wir erfüllen die Bedürfnisse unserer internationalen Kunden über die Global Public Cloud-Anbieter AWS und Azure. Die Ausschreibung ist explizit so gestaltet, dass nur Microsoft, AWS, eventuell Oracle und Google offerieren können.»
Das BBL bestreitet seinerseits jegliche Bevorzugung:
«Unsere Kriterien basieren auf unseren effektiven Bedürfnissen. Die Kriterien in der Ausschreibung wurden nicht ausgewählt, um eine bestimmte Nationalität oder ein bestimmtes Unternehmen zu bevorzugen.»
Die Frage der Souveränität. Es scheinen also nur die Netzgiganten in der Lage zu sein, die Anforderungen der Ausschreibung zu erfüllen. Für Solange Ghernaouti, Direktorin der Cybersecurity Consulting and Research Group an der Universität Lausanne, ist dies ein weiterer Nagel im Sarg der Schweizer Souveränität im Bereich des Datenmanagements:
«Ist eine Swiss Cloud, die nicht auf Schweizer Technologie, Infrastruktur und Lieferanten basiert, wirklich eine Swiss Cloud oder nur eine Marke? Bringt eine solche Ausschreibung die gewünschte Souveränität?
Die erste Stufe des Vertrauens in einen Anbieter geht Hand in Hand mit der Unabhängigkeit. Aber es gibt eine echte Lobby ausländischer Anbieter, darunter auch Microsoft, um Marktanteile in der Schweizer Verwaltung auf Bundes- und Kantonsebene zu gewinnen. Dies gilt für alle ihre Produkte.
Langfristig könnte dies zu einer totalen Abhängigkeit von Microsoft führen und zu einem Kontrollverlust nicht nur über die Hard- und Software-Infrastruktur, sondern auch über unsere Daten.»
Die Cybersecurity-Expertin befürchtet, dass ein solches Ungleichgewicht dem Anbieter die Macht geben würde, seine Bedingungen und mögliche Änderungen in der Zukunft durchzusetzen. In dieser Situation sei es dann nicht mehr möglich, die Kosten zu kontrollieren und die Nachhaltigkeit der Investitionen zu gewährleisten.
Die Aussicht, dass Schweizer Daten in der Verantwortung eines amerikanischen Unternehmens liegen, lässt Solange Gernahouti auch über den American Cloud Act nachdenken. Sie fordert die Schweizer Behörden auf, von einem solchen Anbieter Garantien zu verlangen. Dieses US-Bundesgesetz ermöglicht es, dass ein US-Unternehmen gezwungen werden kann, bestimmte digitale Daten, die sich auf seinen Servern befinden herauszugeben, auch Daten eines Drittlandes wie der Schweiz.
Nicolas Capt, ein auf Medienrecht und neue Technologien spezialisierter Rechtsanwalt, weist hingegen darauf hin, dass ein solches Verfahren immer noch den Verdacht voraussetzt, dass eine unter die amerikanische Gerichtsbarkeit fallende Straftat begangen wurde. Zudem verfüge das Cloud-Gesetz über Mechanismen, die Dienstanbieter versuchen können umzusetzen, wenn sie die erforderlichen Daten nicht liefern wollen. Er mahnt jedoch zur Vorsicht:
«Der American Cloud Act führt zweifellos zu Unsicherheit und einem parallelen Kreislauf der Zusammenarbeit, aber seine konkreten Auswirkungen und Risiken sind schwer abzuschätzen. Daher scheint es mir, dass für sensible Industrien und Sektoren logischerweise das Vorsorgeprinzip so weit wie möglich vorherrschen sollte.»
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Ein Verlust für die Schweizer IT-Branche. Was die meisten bedauern, ist die verpasste Chance, neue IT-Kompetenzen in der Schweiz aufzubauen, die ein Auftrag im Wert von mehr als 100 Millionen CHF bedeutet hätte. Thomas Jacobsen von Infomaniak sagt:
«Es zeigt, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen den Anforderungen des Bundes an die IT-Versorgung, die sich an internationalen Unternehmen mit Milliardenbeträgen und Tausenden von Mitarbeitern orientiert, und der Realität dessen, was wir heute im eigenen Land anbieten können.»
Die Cybersecurity-Expertin Solange Ghernaouti sagt dazu:
«Mit einer solchen Marktlogik ist es lokalen Akteuren nicht möglich, ein nationales digitales Ökosystem zu entwickeln und wachsen zu lassen und Schweizer Unternehmen, die im digitalen Sektor tätig sind, auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig zu machen.
Damit wird einfach riskiert, den Schweizer Digitalsektor zu vernichten und Schweizer Unternehmen daran zu hindern, sich zu entwickeln und zu existieren. Die Swiss Cloud ist eine einzigartige Gelegenheit, ein starkes digitales Ökosystem in der Schweiz zu schaffen, indem sie Schweizer Unternehmen die Möglichkeit bietet, Aufträge zu erhalten, die bisher der GAFAM – also Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft – vorbehalten waren.»
Die Verantwortlichen von Infomaniak möchten ihrerseits die Diskussion mit allen Akteuren des Marktes eröffnen. Geschäftsführer Marc Oehler sagt:
«Es ist offensichtlich, dass wir nicht alles selbst anbieten können. Das Ziel wäre, dass möglichst viele Schweizer Unternehmen davon profitieren und etwas rund um dieses Projekt auf die Beine stellen.»
Heidi.news
