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Der Podcast verschriftlicht:

Jan Vontobel: Wir haben viele Fragen bekommen zum Thema Schutzmasken – wie wirksam sind sie im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus? Wir haben schon Indizien diskutiert: Dass es hilfreich sein könnte, wenn alle Schutzmasken tragen. Jetzt hat sich dazu gestern auch der BAG-Mann Daniel Koch geäussert, der meinte: «Die Schutzmasken in der Bevölkerung – da gibt es keinen Beweis, es gibt auch keine Studien, die wirklich belegen, dass die einen erhöhten Schutzeffekt erzeugen». Beat Glogger, hat Daniel Koch Recht?

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Beat Glogger: Diese Frage ist auch in den besten Publikationen in der Wissenschaft – Science, the Lancet – noch nicht klar beantwortet. Science hat am 28. März publiziert, dass es keine Beweise gäbe, dass Masken etwas nützen, aber auch keine, dass das Maskentragen nichts bringt oder kontraproduktiv wäre. Im schlimmsten Fall sind sie einfach wirkungslos, aber sie haben auch keine negativen Folgen.

Aber es ist schon interessant zu sehen, wie diese ganze Diskussion begonnen hat. Das war nämlich mit einem Tweet von Jerome Adams, ein Beamter des amerikanischen Gesundheitsministeriums, der am 29. Februar einen Tweet abgesetzt hatte. «STOP BUYING MASKS», gerade so, alles in Grossbuchstaben. Danach haben das amerikanischen CDC (Center for Disease Control) sowie auch die Weltgesundheitsorganisation WHO dazu aufgerufen, keine Masken zu kaufen. Im krassen Gegensatz dazu haben wir das chinesische Center for Disease Control, das den Landleuten empfiehlt, Masken zu tragen. Das sieht man dann auch auf den Strassen: In Asien tragen alle Masken, in Europa fast niemand.

Sind die Maskenträger nun Angsthasen? Sind die WHO und das BAG zu risikobereit? Auf Grund der Studienlage kann man weder noch behaupten.

Jan Vontobel: Aber kann es zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt einen Beweis geben? Man kennt die Krankheit noch nicht lange. Und wir haben keine Studien mit vergleichbaren Gruppen, die zum Beispiel während einem Monat Masken tragen und Kontrollgruppen, die keine tragen. Einen Beweis kann man doch im Moment fast nicht erbringen.

Beat Glogger: Tatsächlich, ein knallharter Beweis ist im Moment kaum möglich. Wir sehen es aber in der Medizin oft, dass man Dinge macht, obwohl der formelle Beweis noch aussteht. Wenn man jetzt auf einem der gestrandeten Kreuzfahrtschiffe der Hälfte der Passagiere Masken gegeben hätte, der anderen nicht, dann hätte man ein Experiment, das Hinweise liefert.

Jan Vontobel: Aber es wäre doch eigentlich logisch zu denken, dass Masken etwas nützen. Covid-19 ist ja eine Tröpfcheninfektion. Wenn wir sprechen, husten, oder niesen, sprühen solche Tröpfchen aus unserem Mund. Trage ich eine Maske, verhindere ich das. Sprich: Das Maskentragen müsste theoretisch also etwas nützen.

Beat Glogger: Das ist sicherlich eine plausible Erklärung. Lancet hat kürzlich eine Studie publiziert, in der die Reichweite der Tröpfchen und der kleinen Partikel, den Aerosols, untersucht wurden. In beiden kann es Viren haben. Husten oder Niesen können die Viren auf ungefähr 70 bis 80 Zentimeter, maximal einen Meter verbreiten, bei den Aerosolen ist nicht einmal klar, ob sie Viren übertragen. Um die nächste Umgebung zu schützen, nützen die Gesichtsmasken wahrscheinlich etwas. Deswegen tragen auch die Zahnärzte Masken, um ihre Patienten zu schützen. Aber im Wald spazieren, oder in der Stadt herumlaufen mit Maske – das mache ich persönlich auch nicht.

Jan Vontobel: (…). Sowohl die WHO als auch das BAG sagen, dass Infizierte Masken tragen sollten, wenn sie in die Öffentlichkeit müssen. Das Problem beim Covid-19 ist aber, dass das Virus aber auch weitergegeben werden kann, wenn man noch gar keine Symptome hat. Dann ist doch diese Formulierung des BAG ein bisschen eigenartig, weil man ja in den ersten Tagen gar nicht weiss, ob man das Virus in sich trägt.

Beat Glogger: Genau. Wir wissen in den ersten Tagen schlicht nicht, ob wir infiziert sind oder nicht, da sind wir machtlos. Aber da müssen wir zurück zu Jerome Addams gehen. Warum sagte er überhaupt «Stop Buying Masks»? Die ehrliche Antwort ist schlicht: Weil es zu wenige hat. Eine Maske kann man nur einmal brauchen, dann ist sie weg. Und wenn nun alle Gesunde jederzeit eine Maske tragen, haben wir nicht genug. Die ehrliche Empfehlung ist: Verschwendet keine Masken, überlässt die Masken den Infizierten und dem Gesundheitspersonal.

Jan Vontobel: Vielleich sollte man das dann auch gleich so kommunizieren … aber wir haben noch andere Fragen zu klären. Gibt es Faktoren, die die schnelle Ausbreitung des Virus begünstigen? Wir sehen ja, dass sich Covid-19 in Italien, in Spanien, und auch in den USA, besonders schnell verbreitet hat. Luftreinheit und Feinstaub werden oft als Erklärungsansätze für genannt – was sagt die Wissenschaft dazu?

Beat Glogger: Luftreinheit und Feinstaubbelastung sind rein logisch Faktoren in dieser Verbreitung. Die Luftreinheit wird in der Schweiz regelmässig gemessen, zum Beispiel mit der Erfassung von PM10, von Partikeln, die leicht in die Lunge gelangen. Wenn ich nun die Schweizer Karte der Luftreinheit anschaue, ist das Tessin in Bezug auf Feinstaub übermässig belastet. Je weiter man gegen Chiasso geht, wo sich der Autoverkehr konzentriert, ist die Belastung am grössten. Bergamo hat doppelt so viel Feinstaub wie Chiasso, Wuhan sogar sechsmal so viel. Das scheint zwar kongruent mit den Covid-19 Ausbrüchen und der erhöhten Sterblichkeit in diesen Regionen zu sein. Aber die Luftreinheit erklärt nicht alles.
Es spielen sicher noch viele andere Faktoren, das Alter zum Beispiel, spielt auch eine Rolle. Sonst hätten wir an den Ufern des Genfersees nicht so viele Fälle. Wuhan hat mittlerweile eine tiefere Sterblichkeitsrate als Bergamo.

Jan Vontobel: Es ist auch schwierig, diese Faktoren zu messen, weil die Situation noch im Flux ist, oder? Bestätigen kann man den Einfluss der Luftreinheit mit diesen Daten noch nicht?

Beat Glogger: Die Indizien sind schon da, auch wenn die Datenlage nicht ganz einfach ist. Rein lungentechnisch ist die Feinstaubbelastung ein Faktor, aber sicherlich nicht der einzige, der die Auswirkung des Virus erklärt.

Wir haben gedacht, wir vergleichen das noch mit der Frage des Rauchens, mit dieser lokalen Luftverschmutzung direkt in der Lunge. Da gibt es ein paar kleine Studien, die eine leicht erhöhte Anfälligkeit für Raucher anführen, einen schweren Verlauf von Covid-19 zu bekommen. Auch gibt es ganz viele Studien, die beweisen, dass Raucher eine grössere Anfälligkeit für Grippe und auch für andere Lungenkrankheiten haben. Es wäre also eine Riesensensation, wenn Rauchen keinen Effekt auf den Verlauf von Covid-19 hätte. Wie hoch dieser Effekt ist, können wir aber nicht genau sagen.

Jan Vontobel: Weiter wird häufig diskutiert, welchen Einfluss das Wetter auf die Verbreitung des Virus hat. Verschwindet das Virus von alleine, wenn die Temperaturen steigen?

Beat Glogger: Vor allem zwei Studien konnten harte, epidemiologische Daten liefern zum Verhältnis von Temperatur und Ansteckung. Und es scheint, dass sich das Virus bei einer Temperatur von fünf Grad Celsius am schnellsten verbreitet. Ist es wärmer oder auch kälter stecken sich weniger Leute an. Es gibt offenbar eine optimale Temperatur für die Ansteckung.

Das Wetter könnte also einen gewissen Effekt haben, aber wie kann man diesen genau messen? Die Studien, die ich erwähnt habe, haben nur die Zeitfenster in Betracht gezogen, in denen die Regierungen noch keine Massnahmen ergriffen hatten. Sie sind also nicht verfälscht durch die Hygienemassnahmen, die von den verschiedenen Ländern eingeführt wurden.

Jan Vontobel: Macht die Temperatur also viel aus?

Beat Glogger: Nun, wir wissen einfach, was die optimalen Bedingungen für die Übertragung des Virus zwischen Menschen sind. Wenn wir zusätzlich die Luftfeuchtigkeit einbeziehen, dann zeigt sich ein messbarer Zusammenhang mit feucht-kaltem Wetter und Covid-19 Infektionen. Das erklärt auch, warum sich Covid-19 auf der Südhalbkugel, wo im Moment noch warmer Herbst ist, im Moment noch nicht so schnell verbreitet. Diese Länder kommen erst im kommenden Winter, so ab Juni und Juli, in den kritischen Bereich.

Für uns in der Nordhalbkugel bedeutet das, dass das Klima jetzt eher zu unseren Gunsten spielt: Es wird jetzt wärmer, und trockener. Aber das wird schwierig zu messen sein, weil sich die Effekte der wärmeren Temperaturen mit den Effekten von Massnahmen wie dem Lockdown und dem Social Distancing überlagern. Man wird das kaum ganz ausdividieren können.

Jan Vontobel: Eine weitere Frage: Welche Rolle spielt die Spitalhygiene in der Ausbreitung von Covid-19? Was sagt die Wissenschaft dazu?

Beat Glogger: Tatsächlich ist die Spitalhygiene von Land zu Land sehr unterschiedlich. Man misst diese an der Anzahl von Infektionen, die Patientinnen und Patienten während eines Spitalaufenthalts bekommen. In Sachen Spitalhygiene hat Italien in der Vergangenheit deutlich schlechter abgeschnitten als zum Beispiel Deutschland oder die Schweiz.

Dann gibt es eine riesige Metastudie zur Gefährdung durch mangelnde Spitalhygiene. Sie untersuchte eine halbe Millionen Patienten auf Intensivstationen in 45 Ländern. Die Studie kam zum Schluss, dass gerade für Patienten, die an Beatmungsgeräten hängen, suboptimale Spitalhygiene gravierende Konsequenzen hat. Für diese Patientinnen ist schlechte Spitalhygiene viel schlimmer als für solche, die einen Harnkatheter haben oder Bluttransfusionen brauchen.

Jan Vontobel: Eine Hörerin fragt uns, ob in Asien eine gewisse Grundimmunität gegen Covid-19 vorherrscht, da der Kontinent in den letzten Jahren schon ähnliche Epidemien wie Sars oder Mers durchgemacht hat. Hat diese Überlegung Hand und Fuss?

Beat Glogger: Von der Überlegung her ist das plausibel. Man sagt ja, dass Covid-19 mit Sars-CoV-1 verwandt ist und das könnte einen Schutz bieten. Wie gross diese allenfalls vorhandene Grundimmunität ist, können wir jedoch nicht messen. Zudem sagt man, dass die Immunität durch Sars nur etwa drei bis fünf Jahre anhält, also liegt der Ausbruch eigentlich zu weit zurück, um noch einen Immunschutz zu bieten. Obwohl konzeptionell nicht falsch, ist diese Aussage also etwas spekulativ.

Dieser Podcast wurde verschriftlicht von unserer Leserin Corinne Pernet. Falls du auch Zeit und Lust hast, eine Episode des Coronavirus-Podcasts zu transkribieren – melde dich bei uns via info@higgs.ch. Vielen Dank!

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Coronavirus-Podcast

Im Jahr 2020 produzierte higgs in Kooperation mit Radio 1 einen täglichen Podcast zur Corona-Pandemie. higgs-Gründer Beat Glogger und Radio-1-Chefredaktor Jan Vontobel analysierten das aktuelle Geschehen möglichst unaufgeregt mit Hintergrundinformationen aus der Wissenschaft. Auf Radio 1 wurde die Sendung täglich von Montag bis Freitag nach den 16-Uhr-News ausgestrahlt.
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