Das musst du wissen
- Über Mund, Nase und Haut nehmen kleine Kinder Schadstoffe auf.
- Mit bestimmten Weichmachern aus Plastik sind Jüngere bis zu fünfmal stärker belastet als Erwachsene.
- Die Risiken liegen vielfach im Dunkeln. Blei gefährdet das Gehirn der Kinder aber nachweislich.
Man kann staunen: Gerade erst geboren, haben Kinder schon mehr von etlichen Schadstoffen im Blut oder Urin als Erwachsene. Bei Weichmachern ist das etwa so. Und bei Mikroplastik offenbar auch, wie eine kürzlich erschienene Studie deutlich machte.
Kinder, Säuglinge und sogar Neugeborene hatten demnach im Schnitt 14-Mal so viel Mikroplastik im Stuhl wie Erwachsene, wie amerikanische Forschende berichteten. Sie untersuchten 19 Personen – und zwar deren Stuhl – auf PET, den Klassiker unter den Flaschenkunststoffen für Getränke, und auf Polycarbonat, das Material von Fahrradhelmen und auch manchem Kindergeschirr. Die Resultate zeigten: Jeden Tag nahmen die Kleinen bis zu rund neunzig Mikrogramm der beiden Kunststoffe je Kilogramm Körpergewicht auf. Die Erwachsenen kamen in der Studie auf sechs Mikrogramm je Kilo.
Gleiches Bild auch bei Weichmachern
Wieso sind Kinder so belastet, obwohl sie vergleichsweise kurz auf der Welt leben und mit weniger Plastikartikeln in Kontakt gekommen sind wie ihre Eltern? «Kinder sind generell bei vielen Schadstoffen höher belastet als Erwachsene», sagt die Toxikologin Marike Kolossa-Gehring vom Umweltbundesamt in Dessau. Gerade bei Inhaltsstoffen aus Plastik, konkret den Weichmachern, die Kunststoffe biegsam und elastisch machen, konnte Kolossa-Gehring dies mit ihrer eigenen Forschung zeigen. So deckte sie etwa an über zweitausend Urinproben von Kindern und Jugendlichen aus Deutschland aus, dass die Drei- bis Fünfjährigen in etwa zwei bis zweieinhalb Mal höher mit dem Weichmacher DEHTP – das in vielen Alltagsprodukten steckt –, belastet sind als die Jugendlichen. «Ein ähnliches Muster fanden wir bei anderen Weichmachern», sagt die Toxikologin.
Science-Check ✓
Studie: Metabolites of the substitute plasticiser Di-(2-ethylhexyl) terephthalate (DEHTP) in urine of children and adolescents investigated in the German Environmental Survey GerES V, 2014–2017KommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie untersuchte Urinproben von mehr als zweitausend Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Der Datensatz ist relativ gross und für die untersuchte Altersgruppe der 3- bis 17-Jährigen repräsentativ, was die Resultate zuverlässig macht. Untersucht wurden übliche Weichmacher. Die Resultate lassen sich nicht Beobachtungsstudie.Mehr Infos zu dieser Studie...Über Mund, Nase und Haut in den Körper
Für die Expertin ist die hohe Belastung der Jüngsten nicht überraschend. Die meisten Schadstoffe gelangen über die Nahrung in unseren Körper. Die Lebensmittel sind damit belastet, weil sie Umweltgifte aus dem Boden, der Luft oder dem Wasser aufnehmen, die der Mensch freigesetzt hat. Und die Kinder essen bezogen auf ihr Körpergewicht mehr als Erwachsene, weil sie wachsen. Nehmen damit also sehr viele dieser Stoffe auf.
Ungünstig wirkt sich auf Säuglinge und Heranwachsende auch aus, dass sie gerne Gegenstände in den Mund nehmen. Sie lutschen am Spielzeug und kauen noch lange auf Stiften. Dieses sogenannte «Mouthing» ist entwicklungsphysiologisch normal. Aber es bringt eine zusätzliche Portion Schadstoffe in die kleinen Körper. «Kinder spielen ausserdem in Bodennähe. Dort befindet sich vornehmlich der unsichtbare Hausstaub, der in geschlossenen Räumen viele Schadstoffe, etwa Weichmacher, bindet», erklärt der Toxikologe Holger Koch vom Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung an der Ruhr-Universität Bochum. Die Kleinsten atmen dadurch mehr giftige Substanzen ein, nicht zuletzt auch, weil sie schneller atmen als Erwachsene.
Schadstoffe aus der Muttermilch
Leicht nachzuweisen ist für die Experten auch, wenn ein Säugling gestillt wurde. Dann hat er bei einer Reihe von langlebigen Schadstoffen deutlich höhere Spiegel im Blut. «Die Mutter entsorgt einen Teil ihrer Schadstoffe mit der Muttermilch in ihr Kind», bedauert Kolossa-Gehring. Ungeachtet dessen ist die Muttermilch unstreitig und in anderer Hinsicht die gesündeste Nahrung für die Neugeborenen. Sie bekommen dann beispielsweise weniger Allergien und Asthma. Fraglich und bis dato nicht untersucht ist aber, ob es beispielsweise ratsam wäre, nach einem Jahr abzustillen, um den Schadstofftransfer von der Mutter in das Kind zu stoppen, gibt Kolossa-Gehring zu bedenken.
Folgen meist unbekannt
Doch wie gefährlich sind diese Schadstoffe? Bei vielen Substanzen wissen Toxikologen nicht genau, was sie im Körper von Kindern anrichten, vor allem in der Mischung mit anderen Schadstoffen. Eine Ausnahme stellt Blei dar: Auch heute noch sind Kinder so hoch mit dem Schwermetall belastet, dass ihr Gehirn darunter leidet. Nehmen Kinder täglich 0,3 Mikrogramm davon pro Kilogramm Körpergewicht auf, sinke ihr Intelligenzquotient im Schnitt um einen halben Punkt. Kleinkinder verleiben sich aber täglich bis zu 3,3 Mikrogramm pro Kilo Körpergewicht über Essen und Trinken ein. Es wäre also dringend nötig, die Belastung mit dem Schwermetall weiter zu senken.
Nichtsdestotrotz gibt es bei einigen Schadstoffen durchaus einen u-förmigen Verlauf: Als Kleinkinder sind wir hoch belastet. Dann fällt die Fracht bezogen auf das Körpergewicht etwas ab, je mehr Gewicht wir haben und umso mehr sich die Schadstoffe gewissermassen auf die Körpermasse verteilen. Mit dem Alter steigt die Fracht dann wieder. Das ist beispielsweise bei dem giftigen Schwermetall Blei so und auch bei Dioxinen, die aus den Abgasen von Verbrennungsanlagen stammen. Je länger wir auf der Erde zubringen, desto mehr bunkert der Körper also von diesen Umweltgiften.