Das musst du wissen

  • Gesten spielen in der menschlichen Kommunikation eine entscheidende Rolle.
  • Auch Blinde, welche Gesten nie erlernt haben, gebrauchen sie.
  • Gesten können wir nicht nur sehen, sondern sie verraten sich auch in der Stimme.
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Am Telefon kann man dem Gegenüber problemlos auch mal den Vogel zeigen, denn er sieht es ja nicht, oder? Da solltest du dir nicht ganz so sicher sein. Denn: Gesten können wir hören – selbst wenn wir sie nicht sehen. Das haben Wissenschaftler jüngst herausgefunden und die Resultate in der Fachzeitschrift Pnas veröffentlicht. Die Forschenden haben Versuchspersonen gebeten, gleichbleibende Töne von sich zu geben und dabei das Handgelenk oder den Arm zu bewegen. Zuhörer, die nur eine Aufzeichnung des Tons hörten, konnten diese Gesten erstaunlich gut nachbilden.

Science-Check ✓

Studie: Acoustic information about upper limb movement
in voicing
KommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Probandengruppe ist relativ klein, was die Aussagekraft der Studie beschränkt. Auch handelt es sich um ein Laborsetting, in dem nur einzelne Töne gesprochen wurden und nicht ganze Sätze oder Dialoge. Ob Gesten im Alltag ebenso gut erkannt werden, ist deshalb noch nicht klar.Mehr Infos zu dieser Studie...

Das Team vom Wim Pouw aus den Niederlanden und den USA hat sich im Versuch für eine sehr einfache Gestik-Sprache-Beziehung entschieden: Sechs Versuchspersonen mussten ein gleichbleibendes «A» sprechen. Dabei sollten sie Arm oder Handgelenk in einem vorgegebenen Geschwindigkeitsbereich so bewegen, als gäben sie mit einem Taktstock den Takt an. Und dies je in drei verschiedenen Geschwindigkeiten. Das Forscherteam legte Wert darauf, dass dabei kein Metronom eingesetzt wurde. 30 Testhörer wurden dann aufgefordert, die Gesten nur durch Zuhören nachzustellen. Das gelang erstaunlich gut: Die Zuhörer konnten nicht nur die Bewegung replizieren sondern diese auch synchronisieren, trafen also den gleichen Takt. Armbewegungen wurden aber präziser nachgeahmt als Bewegungen des Handgelenks.

Der subjektive Eindruck von Blinden, die higgs gefragt hat, lässt vermuten, dass auch Blinde bemerken, wenn gestikuliert wird. Josef Camenzind vom Schweizer Blinden- und Sehbehindertenverband kann meist hören, wenn jemand gestikuliert, sagt er. Er stellt sich dabei vor, wie die Gesten aussehen könnten. «So ähnlich wie wenn ich mir ein Bild der Natur ausdenke, wenn ich Vogelstimmen höre», sagt er. Wenn er aber nicht darauf fokussiert sei, registriere er die Gestik nicht. «Wenn gesprochen wird, kann man anhand der Stimmbewegung erkennen, ob jemand gestikuliert», sagt auch die Opernsängerin Christina Lang, die fast nichts mehr sieht.

Das zeigt, dass Sprache Information über kleinste Bewegungen enthält. Die Veränderung der Stimme kommt daher, dass die Gestik auch zu unbewussten Bewegungen in jener Muskulatur führt, die fürs Sprechen und Atmen zuständig ist, vermuten die Forschenden der neusten Studie. Ein Nachweis, dass man auch komplexe Gesten hören kann, ist das allerdings noch nicht.

Auch Blinde gestikulieren

Blinde können aber die Gestik nicht nur hören, sondern benutzen sie auch selbst. Auch Menschen, die blind geboren wurden und es nirgends abschauen konnten, gestikulieren. Und das sogar dann, wenn der Zuhörer ebenfalls blind ist. Ein Teil der Gestik ist also vermutlich angeboren. Wie jemand gestikuliert, hängt ausserdem mit der Muttersprache zusammen. Englische und türkische Muttersprachler gestikulieren unterschiedlich, stellte die Psychologin Susan Goldin-Meadow von der Universität Chicago schon 2009 fest. Egal, ob es die grosse, raumgreifende Geste ist oder eine eher subtile Bewegung der Hand – ohne Gestik zu sprechen, bereitet uns grosse Mühe. Das Resultat wirkt unnatürlich, ist flach und ausdruckslos. Ausserdem spielt Gestik auch das Lernen von Sprache eine Rolle: Kleinkinder, die mehr Gesten kannten, hatten später auch einen grösseren Wortschatz, fand Goldin-Meadow ebenfalls heraus.

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Das Gleiche wie Sprechen mit anderen Mitteln sind Gesten trotzdem nicht. Dafür sind Gesten zu komplex und zu unterschiedlich. Es gibt Gesten, die jeder versteht, wie «Essen», Zeigegesten wie «da vorne», symbolische Gesten («Telefon»), sprachuntermalende Gesten und Gesten, die in anderen Kulturkreisen eine andere Bedeutung haben. Die am meisten verwendeten Gesten stellen Handlungen dar, die wir zuerst lernen müssen, wie «Aufschliessen».

Woher kommt Gestik?

Die Neurologin Hedda Lausberg forscht daran, wo Gestik generiert wird. Seit 20 Jahren führt sie Versuche mit Menschen durch, die Hirnschädigungen erlitten haben oder bei denen die Verbindung zwischen den Hirnhälften chirurgisch unterbrochen wurde. Die Professorin an der deutschen Sporthochschule Köln interessiert dabei die Aufgabenteilung des Gehirns: Sprache und Sprachmotorik entstehen, grob gesagt, in der linken Hirnhälfte, die vorwiegend abstrakte Aufgaben übernimmt. Die rechte Hirnhälfte hingegen ist stumm und für Bilder und Symbole zuständig. Dazu gibt es Überschneidungen die sowohl mathematisch-abstrakt wie auch bildlich sind, wie geometrische Probleme. Um das Ganze noch komplizierter zu machen: Bewegungen werden beim Grossteil aller Menschen gegengleich gesteuert. Die linke Gehirnhälfte steuert die rechte Hand und umgekehrt. Dafür, dass alles zusammen stimmig ist, sorgt die Kommunikation zwischen den Hirnarealen.

Lausberg stellte fest, dass Gesten vorwiegend in der stummen rechten Gehirnhälfte generiert werden – also an einem anderen Ort als gesprochene Worte. «Gesten sind primär mit nicht-sprachlichen, rechtshemisphärischen Prozessen assoziiert», sagt sie. Die Wissenschaftlerin hat eine Erklärung dafür: «Gesten beruhen unter anderem auf mentalen Bildern». Gesten entstehen also anders als Worte – und drücken so wohl teilweise andere Aspekte des Empfindens aus. Im Resultat könnten sie daher auch von der sprachlichen Aussage abweichen, so Lausberg. Sogar am Telefon.

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