Das musst du wissen

  • Schweizer Banken werden international dafür kritisiert, dass sie Aktien von umweltbelastenden Unternehmen anbieten.
  • Der ehemalige SNB-Vizepräsident kontert: Man muss auch jene Banken beurteilen, die sich um Korrekturen bemühen.
  • Er erklärt: Zu unterscheiden sei etwa der Besitz von Aktien von direkten Geldflüssen.

Der Schweizer Finanzplatz wird in einem Bericht, der kürzlich von rund dreissig NGOs veröffentlicht wurde, für seine Investitionen in fossile Energien kritisiert. Nun reagiert der Ökonom Jean-Pierre Danthine, ehemaliger Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und langjähriger Professor an der ETH Lausanne, darauf. 

Er hat im Dezember 2021 eine Studie mitunterzeichnet, die gegen den Strom schwimmt: Der Ausschluss fossiler Vermögenswerte, eine der weltweit häufigsten nachhaltigen Anlagepraktiken, sei in Wirklichkeit kontraproduktiv. Ein Gespräch mit ihm und Florence Hugard, Mitunterzeichnerin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Enterprise for Society in Lausanne, das Danthine als Direktor führt.

Das Portal Heidi.news hat einen Artikel über den kritischen Bericht der NGOs publiziert mit dem Titel «Schweizer Banken füllen die Taschen der Kohleindustrie». Dies hat Sie irritiert – warum?

Jean-Pierre Danthine: Wenn man schon Banken-Bashing betreibt, wozu der Titel des Artikels ermutigen soll, dann sollte man dies aus guten Gründen tun. Der Beitrag unterscheidet nicht zwischen Banken, die sich wirklich um die Verbesserung ihrer Praktiken bemühen, und solchen, die einfach nur auf der Welle reiten. Gute Praktiken sollten gelobt werden, ohne dabei naiv zu sein. Es gibt wahrscheinlich einen Teil «Greenwashing», aber wenn man sich nicht bemüht, die guten von den schlechten Schülern zu unterscheiden, zerstört man das Vertrauen in das Finanzsystem, obwohl dieses eine entscheidende Rolle bei der Förderung des Energiewandels zu spielen hat.

Glauben Sie, dass die NGO-Koalition, die den Bericht unterzeichnet hat, eine rigorose Bewertungsmethode angewandt hat?

Florence Hugard: Die verwendeten Kriterien scheinen mir vernünftig zu sein. Es ist jedoch wichtig, zu unterscheiden: zwischen dem Besitz von Vermögenswerten, insbesondere von Aktien, und den direkten Geldflüssen an ein Unternehmen, zum Beispiel über einen Kredit. Eine Aktie ist ein einfacher Eigentumstitel. Ausser zum Zeitpunkt ihrer Ausgabe ist sie kein direkter Geldfluss.

Jean-Pierre Danthine: Wenn man Aktien an umweltbelastenden Unternehmen besitzt und etwas bewirken will, ist es oft besser, Eigentümer zu bleiben und seine Aktionärsrechte auszuüben, indem man sich an Sammelklagen beteiligt, um die Unternehmensstrategie von innen heraus zu ändern.

Die Schweizer Banken haben in Sachen Klima jedoch nicht den Ruf, die tugendhaftesten zu sein…

Jean-Pierre Danthine: Sie sind zwar nicht die besten Schüler, aber auch nicht die schlechtesten. In der ShareAction-Rangliste 2021, in der amerikanische und europäische Vermögensverwalter nach ihrem Engagement für Umwelt und Gesellschaft (ESG) bewertet werden, belegte die Pictet-Gruppe Platz 13 von 65, die Credit Suisse Platz 19 und die UBS Platz 22. Ich würde es vorziehen, wenn Klimaaktivisten sich die Verpflichtungen der Banken ansehen und prüfen würden, ob die Versprechen eingehalten oder gebrochen wurden, und ihnen gegebenenfalls vorwerfen würden, nicht ehrgeizig genug gewesen zu sein. Heute haben die meisten Banken eine ESG-Investitionsstrategie (Anm. d. Red.: die ökologische, soziale und Governance-Kriterien berücksichtigt).

Sie bedauern auch, dass die SNB, in der Sie Ihre Karriere gemacht haben, im besagten Artikel wegen ihrer fossilen Vermögenswerte erwähnt wird. Aber müssen die Zentralbanken nicht auch eine Rolle beim Klimaschutz spielen?

Jean-Pierre Danthine: Die SNB hat immer noch fossile Aktien, aber sie gewährt den betroffenen Industrieunternehmen keine direkten Kredite. Die eigentliche Frage ist, ob die Zentralbanken nicht etwas tun sollten, um den Klimawandel zu finanzieren. Sollten sie ihren Status nutzen, um in Organisationen wie Climate Action 100+, Einfluss zu nehmen, in denen sich verantwortungsbewusste Investoren zusammengeschlossen haben? In diesem Punkt muss die Diskussion über das Mandat der SNB und die Rolle, die sie spielen sollte, auch politisch geführt werden. In einem Bericht von E4S-Kollegen im August 2021 wurde untersucht, was die SNB tun könnte, um ihre Investitionen grüner zu gestalten.

Ihre Studie vom Dezember 2021 warnte vor den kontraproduktiven Auswirkungen von Desinvestitionen. Gibt es keine Bedingungen, unter denen es sich positiv auf das Klima auswirken kann?

Jean-Pierre Danthine: Man muss viele Investoren zusammenbringen, um eine Chance zu haben, dass es wirklich funktioniert. Wenn Investoren eine Aktie massenhaft ausschliessen, kann der Aktienkurs kurzfristig sinken. Das ist zwar der gewünschte Effekt, aber er bringt anderen Investoren einen Vorteil, die es mit den Umweltauswirkungen nicht so genau nehmen. Die Stimmrechte dieser Unternehmen sind in den Händen engagierter Investoren besser aufgehoben. Anstatt direkt zu verkaufen, wäre es effektiver, mit dem Verkauf zu drohen, um interne Strategieänderungen anzuregen. Und erst dann zu verkaufen, wenn dies nicht funktioniert. Anstatt den CO2-Fussabdruck eines Unternehmens statisch zu betrachten, ist es ausserdem besser, seine Entwicklung über einen längeren Zeitraum anzuschauen. 

Jean-Pierre Danthine und Florence Hugard: Desinvestitionen auf den Primärmärkten  wo Unternehmen direkt finanziert werden  scheinen am effektivsten zu sein. Dies allerdings nur für Unternehmen, die für ihre Investitionen tatsächlich auf das Kapital des Investors angewiesen sind. In einigen Fällen könnte der Stigmatisierungseffekt potenziell wirksam sein, aber die Unternehmen können darauf mit einer Vielzahl von Massnahmen reagieren, die nichts anderes als «Greenwashing» sind. Die Studien sind eher pessimistisch, was die Auswirkungen einer Stigmatisierung betrifft. Zudem sollte man auch auf die Folgen von Aktienverkäufen achten, wenn man desinvestiert. In den USA gibt es derzeit eine Bewegung, bei der viele Unternehmen die Börse verlassen und auf private Märkte gehen. Auf diesen privaten Märkten gibt es jedoch keine Transparenz und keine Möglichkeit mehr, die Strategien zu beeinflussen.

Können Sie ein konkretes Beispiel für ein Unternehmen nennen, in dem verantwortungsbewusste Investoren den Übergang von innen heraus fördern können?

Jean-Pierre Danthine und Florence Hugard: Nehmen wir den deutschen Energiekonzern RWE, der im Artikel von Heidi.news im Zusammenhang mit einem Pictet-Fonds, der diese Aktie hält, erwähnt wird. Die Frage ist, ob die Bank über diesen Fonds an der Energiewende des Energieversorgers beteiligt ist. RWE hat den Betrieb von Kohlekraftwerken im Vereinigten Königreich und in Deutschland eingestellt. Die letzten beiden Kraftwerke in den Niederlanden werden derzeit auf Biomasse umgestellt, die auch keine perfekte Energie ist, da sie mehr COpro Energieeinheit ausstösst und zur Entwaldung beiträgt. Die Klimaziele von RWE wurden jedenfalls von einer unabhängigen Organisation überprüft und sind demnach im Einklang mit dem Pariser Abkommen.

Die Studie, die Sie im Dezember 2021 unterzeichnet haben, spricht auch von einem «Momentum»-Effekt zugunsten der guten Klimaschützer, der nicht ewig anhalten kann. Ist dieser Wendepunkt erreicht angesichts der Tatsache, dass die Preise für fossile Energieträger wie Gas und Öl in den letzten Monaten explodiert sind?

Jean-Pierre Danthine: Unsere Studie hat tatsächlich gezeigt, dass es einen Preis haben könnte, ein langfristig verantwortungsbewusster Anleger zu sein. In den Jahren 2019 und 2020 gab es eine regelrechte Begeisterung für ESG-Anlageportfolios, die sich gut entwickelten, weil sie mehr GAFAM-Anlagen (Anm. d. Red.: solche der fünf grossen amerikanischen Technologie-Giganten Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft, kurz GAFAM) und weniger Ölanlagen enthielten. Mit dem Wiederanstieg der Kurse in den Jahren 2020 und 2021 waren die Ergebnisse umgekehrt. Was das Gas betrifft, so plant Bundesrätin Simonetta Sommaruga seit kurzem den Bau von zwei bis drei Reservekraftwerken. Sollen die Betreiber und ihre Geldgeber bestraft werden, obwohl sie nur die Energiestrategie des Bundes umsetzen?

Glauben Sie, dass die Klimaaktivisten zu viel von den Banken verlangen?

Jean-Pierre Danthine: Einige Aktivisten würden am liebsten schon morgen alle kohlenstoffproduzierenden Aktivitäten beenden (Anm. d. Red.: wie Extinction Rebellion, die ab 2025 Kohlenstoffneutralität will). Aber was geschieht dann mit all den Menschen, die derzeit in diesen Branchen arbeiten? Werden sie alle von heute auf morgen arbeitslos? Wenn die Schweizer Banken plötzlich keine Hypotheken für schlecht isolierte Gebäude mehr finanzieren würden, würde dies eine Panik in der Bevölkerung auslösen. Der Übergang kann nicht auf einen Schlag erfolgen, sondern muss bereits im Vorfeld durch Sozialpläne und flankierende Massnahmen vorbereitet werden.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
Alle Beiträge anzeigen
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende