Sommer 2003: Eine lange, intensive Hitzewelle trifft Europa. In der Schweiz, im Bündner Ort Grono, erreicht die Temperatur ein Allzeithoch von 41,3 Grad Celsius. Die Hitzewelle kostet 70 000 Menschen auf dem Kontinent das Leben, darunter rund tausend in der Schweiz.
Heute wissen wir, dass etwa ein Drittel der Todesfälle durch die globale Erwärmung verursacht wurden, für die wir alle verantwortlich sind: Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie, die von der Universität Bern und der London School of Hygiene & Tropical Medicine koordiniert und am 31. Mai in Nature Climate Change veröffentlicht wurde.

«Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen hitzebedingten Todesfällen und dem vom Menschen verursachten Klimawandel. Eine Hitzewelle ist wie Umweltverschmutzung: eine stille Killerin», sagt Ana Vicedo-Cabrera, Hauptautorin der Studie und Mitarbeiterin am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern. Die Analyse berücksichtigte Daten, die zwischen 1991 und 2018 an 732 Standorten in 43 Ländern erhoben wurden, und ist die bisher grösste ihrer Art.

Methodik der Studie

Die Analyse wurde mit einer „Erkennungs- und Zuordnungsmethode“ durchgeführt. In der Praxis untersuchten die Forschenden vergangene Wetterbedingungen, indem sie diese unter verschiedenen Szenarien simulierten, mit und ohne vom Menschen verursachten Emissionen. Dadurch war es möglich, die menschlich verschuldete Erwärmung und deren gesundheitliche Auswirkungen von möglicherweise natürlichen Trends zu trennen.

Mehr Todesfälle in einkommensschwachen Ländern

Die Ergebnisse zeigen, dass alle Kontinente von diesem Problem betroffen sind. Weltweit liegt der Anteil der hitzebedingten Todesfälle, die auf die globale Erwärmung zurückzuführen sind, bei 37 Prozent. Das sind schätzungsweise 100 000 Todesfälle pro Jahr. Die höchsten Werte sind in Mittel- und Südamerika sowie Südostasien zu verzeichnen.

«Menschen, die in Ländern mit niedrigem Einkommen leben, sind am meisten betroffen. Ein Grund ist natürlich die Temperatur, aber es gibt auch eine grössere Hitzeanfälligkeit der Bevölkerung», sagt Vicedo-Cabrera. Die schlechte Qualität der Infrastruktur und des Gesundheitswesens, der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung und die demografische Struktur könnten einen Einfluss haben.

Die Forscherin weist darauf hin, dass selbst in einem Land mit gemässigtem Klima wie der Schweiz etwa jeder dritte Todesfall im Zusammenhang mit Hitzewellen auf die Klimakrise zurückzuführen sei. «Hitze ist in der Schweiz ein nicht zu unterschätzender Sterblichkeitsfaktor», warnt Vicedo-Cabrera. Sie erinnert daran, dass die Temperatur in der Eidgenossenschaft stärker gestiegen ist als im globalen Durchschnitt.

Frauen gefährdeter als Männer

Die Sterblichkeit ist nicht nur auf den Anstieg der Temperaturen im Sommer zurückzuführen, der an den betrachteten Standorten 1,5 Grad Celsius betrug. Auch die Dauer von Hitzewellen, die Temperatur in der Nacht und die Luftfeuchtigkeit können einen Einfluss haben.

Gefährdet seien Menschen, die anstrengende Arbeiten im Freien verrichten, zum Beispiel auf Feldern. Aber nicht nur dort, sagt Vicedo-Cabrera: «Die Hitze kann wie ein ‹Zunder› wirken und den Gesundheitszustand älterer und chronisch kranker Menschen verschlechtern, zum Beispiel von Menschen mit Herzkreislauf- oder Atemweg-Problemen.»

Laut Studien, die von der Weltgesundheitsorganisation zitiert werden, sind Frauen durch Hitze stärker gefährdet als Männer. Diese Realität hat den Schweizer Verein Klimaseniorinnen veranlasst, die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu verklagen. Die Bundesbehörden, so der Verband, würden das Recht auf Leben und Gesundheit der älteren Frauen verletzen, weil sie nicht genug täten, um Emissionen zu reduzieren.

Der EGMR hat die Beschwerde für zulässig erklärt und forderte Ende März die Schweiz auf, zu der Beschwerde der älteren Frauen Stellung zu nehmen. Die Frist dafür sei der 16. Juli, sagt Anne Mahrer, Co-Präsidentin des Vereins.

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Mehr Todesfälle durch Hitze

Wegen des Klimawandels werden die Hitzewellen länger, intensiver und häufiger werden. «Wir erwarten, dass der Anteil der hitzebedingten Todesfälle weiter steigen wird, wenn wir nichts gegen den Klimawandel unternehmen», so Vicedo-Cabrera. Sie schliesst eine Zunahme der Migrationsbewegungen aufgrund extremer Hitze nicht aus.

Die Forscherin der Universität Bern sagt, dass sowohl Massnahmen zur Abschwächung als auch zur Anpassung an den Klimawandel notwendig seien. «Wir brauchen ehrgeizige Ziele zur Reduzierung der Emissionen, sowohl national als auch global. Es ist wichtig, dass sich die Städte anpassen, um den Effekt der städtischen Hitzeinseln zu reduzieren», sagt sie.

Hitzewellen-Warnsystem

Um mit den steigenden Temperaturen fertigzuwerden, hat die Schweiz ihr 2005 eingeführtes Hitzewellen-Warnsystem aktualisiert. Laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz gehören Hitzewellen zu den grössten Bedrohungen für die Schweiz.

Was ist «extreme Hitze»?

In der Schweiz spricht man von einer Hitzewelle, wenn die Temperaturen mehrere Tage lang über dreissig Grad Celsius liegen und nachts nicht unter zwanzig Grad Celsius fallen.

Seit dem 1. Juni basieren die Hitzewarnungen von Meteo Schweiz auf der Tages-Durchschnittstemperatur – die auch die Nachtwerte einbezieht – und nicht mehr auf dem in den USA entwickelten und in Grad Fahrenheit aufgezeichneten Hitzeindex. Die Schweizer Bevölkerung wird auch über eine App alarmiert.

Das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie erklärt, dass «die durchschnittliche Tagestemperatur stark mit den Auswirkungen erhöhter Temperaturen auf den Menschen korreliert, besonders mit der Sterblichkeit». Selbst ein einziger Tag mit hohen Temperaturen kann demnach gefährlich für den menschlichen Körper sein.

Dieser Text erschien zuerst bei swissinfo und wurde von Christian Raaflaub aus dem Italienischen übertragen.
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