Das musst du wissen

  • Die Schweizer Wissenschaftsorganisationen empfehlen alle ein «Nein» zur Selbstbestimmungsinitiative der SVP.
  • Der Grund: Durch die Abschottung drohen die Schweizer Forschenden Mitspracherecht bei EU-Projekten zu verlieren.
  • Schon bei der Masseneinwanderungsinitiative 2014 waren die Auswirkungen drastisch.

Am 25. November stimmt die Schweiz über die Selbstbestimmungsinitiative ab. Und die Haltung der Wissenschaft ist klar. Folgende Organisationen empfehlen, ein «Nein» in die Urne zu legen:

  • Der Schweizerische Nationalfonds SNF
  • Die Dachorganisation der Schweizer Hochschulen Swissuniversities
  • Die Akademien der Wissenschaften Schweiz
  • Die Akademischen Stiftungen der Romandie, die Association de Genève des Fondations Académiques (A.G.F.A.)

Welches sind die Argumente der Wissenschaft? Und warum werden ihre Organisationen erst jetzt politisch? Das fragen wir Thierry Courvoisier, Präsident des Zusammenschlusses der Wissenschaftsakademien aller europäischen Länder.

Thierry Courvoisier

Thierry Courvoisier ist Astrophysiker an der Universität Genf, Präsident des European Academies Science Advisory Councils EASCA und für die Stellungnahme der A.G.F.A mitverantwortlich.

Herr Courvoisier, Sie haben früher wiederholt gesagt, es sei nicht gut, «wenn Wissenschaftler in der Sprache der Politik reden». Was hat Sie dazu bewogen, nun doch politisch mitzureden und eine klare Abstimmungsempfehlung herauszugeben?
Die Wissenschaft hat grundsätzlich die Aufgabe, den Entscheidungsträgern in der Politik Wissen zu vermitteln. Sie ist aber auch dafür verantwortlich zu sagen, welche Bedingungen sie braucht. Und über diese Bedingungen soll nun die Bevölkerung mitentscheiden. Deshalb sind wir zum Schluss gekommen, dass wir uns jetzt äussern müssen.

Wieso sagen Sie «Nein» zur Selbstbestimmungsinitiative?
Schweizer Wissenschaftler sind international sehr aktiv in Gremien, in Komitees und Organisationen. So gestalten sie die Wissenschaftslandschaft in Europa und auf der Welt mit. Diese Mitbestimmung ist sehr wichtig, und wir werden sie nicht mehr haben, wenn wir uns von dieser Welt abgrenzen. Denn was die Initiative wirklich fordert, ist, dass jede internationale Vereinbarung durch eine Abstimmung infrage gestellt werden kann. So werden solche internationalen Vereinbarungen klar schwächer gewichtet und das ist eine Art uns abzutrennen.

Was hätte denn ein «Ja» für konkrete Folgen für Schweizer Unis, Schweizer Forschende?
Ich glaube, dass wir keine Mitbestimmungsrechte in europäischen Forschungsprogrammen mehr hätten, zum Bespiel in dem laufenden «Horizon 2020» oder dem Nachfolgeprogramm «Horizon Europe». Das ist ja teilweise auch schon nach der Masseneinwanderungsinitiative 2014 passiert.

Ausschnitte aus dem Interview

Damals haben Sie sich nicht zur Abstimmung geäussert. War das im Nachhinein ein Fehler?
Vielleicht. Wir hatten damals natürlich schon eine Meinung, entschieden uns aber dagegen, damit an die Öffentlichkeit gehen. Die Konsequenzen für die Wissenschaft waren dann drastisch. Wir wurden teilweise von «Horizon 2020» ausgeschlossen und durften keine Verantwortung für Projekte mehr übernehmen. Und wir konnten viel weniger Forschungsprojekte in der Schweiz durchführen als noch vor 2014. Deshalb wollten wir dieses Mal explizit Stellung nehmen.

Solche Forschungsprogramme mögen für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wichtig sein, aber was hat die Bevölkerung davon?
Wissenschaft trägt zur Bildung bei und das ist etwas Zentrales. Wenn die Schweiz jetzt gut funktioniert, dann liegt das daran, dass wir eine sehr gute Bildung haben. Und die ist in unserer Wissenschaft verankert.

Die Selbstbestimmungsinitiative will ja eigentlich Schweizer Interessen schützen. Nun klingt es aber so, als ob sie genau das Gegenteil bewirken würde.
Ja, denn wenn wir nicht mitbestimmen auf diesen internationalen Ebenen, dann sind wir den Bedingungen, die die anderen beschliessen, völlig ausgeliefert. Dann werden wir zu Opfern. Jetzt haben wir die Möglichkeit, mitzugestalten, und diese Möglichkeit nehmen wir Schweizer Forschenden auch stark wahr. Das einfach fallen zu lassen wäre wirklich sehr, sehr schade.

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