Das musst du wissen

  • In der Schweiz leiden rund 375'000 Kinder und Jugendliche an einer sogenannt «seltenen Krankheit».
  • Oft ist eine lebenslange Therapie nötig und es ist schwierig, Kindern zu erklären, was dabei in ihrem Körper abläuft.
  • Neu helfen dabei kindgerechte Illustrationen, die ein Ärzteteam am Zürcher Kinderspital entwickelt hat.

«Dein Körper besteht aus ganz vielen Zellen und überall gibt es Enzyme. Das sind Arbeiter im Körper. Und bei dir ist eines davon krank und macht nicht, was es eigentlich sollte. Es lässt giftige Bausteine einfach rumliegen. Das schadet deinem Körper. Deshalb brauchst du das Medikament. Es räumt alles weg, was das kranke Enzym rumliegen lässt.» So oder so ähnlich erklärt die Psychologin Nina Zeltner ihren oftmals sehr jungen Patienten auf kindergerechte Art, was bei deren Stoffwechsel falsch läuft. Hierbei helfen ihr heute spezielle Illustrationen, an deren Entwicklung sie selber beteiligt war. Zeltner arbeitet am Universitäts-Kinderspital Zürich. Gemeinsam mit den auf Stoffwechselkrankheiten spezialisierten Ärzten betreut sie dort Kinder und Jugendliche, die unter einer seltenen angeborenen Stoffwechselkrankheit leiden.

Mithilfe dieser und anderer Illustrationen erklärt Psychologin Nina Zeltner den Kindern am Kinderspital Zürich ihre seltenen Krankheiten. zVg

Mithilfe dieser und anderer Illustrationen erklärt Psychologin Nina Zeltner den Kindern am Kinderspital Zürich ihre seltenen Krankheiten.

Die verschiedenen Zeichnungen sind frei kombinierbar und lassen sich daher für zahlreiche Stoffwechselkrankheiten passend zusammensetzen. zVg

Die verschiedenen Zeichnungen sind frei kombinierbar und lassen sich daher für zahlreiche Stoffwechselkrankheiten passend zusammensetzen.

Von sogenannt «seltenen Krankheiten» spricht man, wenn weniger als fünf von 10’000 Menschen betroffen sind. Doch diese Bezeichnung trügt. Obwohl nur wenige Menschen dieselbe Diagnose teilen, sind diese Krankheiten alles andere als selten, kennt die Medizin heute doch über 7000 davon. Weltweit sind rund 350 Millionen Menschen betroffen – fast so viele, wie an Diabetes erkrankt sind. In der Schweiz leidet rund eine halbe Million Menschen an einer seltenen Krankheit, wobei 75 Prozent der Betroffenen Kinder und Jugendliche sind.

Gut ein Siebtel, also etwa 1000 der seltenen Krankheiten sind angeborene Stoffwechselkrankheiten. Bei Menschen mit diesen Krankheiten laufen bestimmte Schritte im Stoffwechsel, also im Auf-, Um- und Abbau von Nährstoffen, nicht richtig ab. Ursache für die zum Teil lebensgefährlichen Störungen sind Enzymdefekte, die aufgrund eines fehlerhaften Gens entstehen. Durch die Defekte kann es beispielsweise vorkommen, dass bestimmte Bausteine, die mit der Nahrung aufgenommen werden, nicht ordnungsgemäss abgebaut werden. Sie sammeln sich im Körper an und vergiften ihn. Bleiben diese sogenannten «Stoffwechselkrankheiten vom Vergiftungstyp» unbehandelt, können sie innert kurzer Zeit zu schwerwiegenden Hirnschäden oder gar zum Tod führen.

Lebenslange Therapie

Fortschritte in Diagnose und Therapie dieser Stoffwechselkrankheiten vom Vergiftungstyp haben in den letzten Jahren erfreulicherweise zu einer steigenden Zahl an Langzeitüberlebenden geführt. Oft ist aber eine lebenslange Therapie nötig, die den Betroffenen und deren Familien einiges abverlangt. Beistand erhalten sie am Kinderspital Zürich – auf der Abteilung für Stoffwechselkrankheiten. Dort kümmert sich ein Team aus Ärzten und Ernährungsberatern zusammen mit der Psychologin Nina Zeltner um die jungen Patienten. «Viele erhalten die Diagnose im Säuglings- oder Kleinkindalter», sagt Zeltner. «Das Diagnosegespräch findet in den meisten Fällen also nur mit den Eltern statt. Oft wird später verpasst, den Kindern und Jugendlichen ihre Krankheit nochmals neu zu erklären.» Gerade in Übergangsphasen, wenn die Kinder in den Kindergarten oder die Schule kommen und auch im Jugendalter, sei dies aber besonders wichtig, weil dann oft Fragen aus dem neuen Umfeld auftauchen. Bei Stoffwechselkrankheiten vom Vergiftungstyp müssen die Patienten meist ein striktes Diätregime einhalten, um zu kontrollieren, welche Stoffe in ihren Körper gelangen. Da tauche im Kindergarten schon mal die Frage auf, wieso der andere so ein komisches Znüni dabeihat.

Können die Kinder erklären, wieso ihr Znüni anders ist, hilft das schon viel. «Dazu müssen sie aber erst einmal selber verstehen, was sie haben», sagt die Psychologin. «Bisher gab es nur wenig Material, das half, den Kindern ihre seltenen Krankheiten altersgerecht aufzuzeigen. Wir fanden es oft schon schwierig, die komplexen Stoffwechselvorgänge den Eltern zu erklären.» Diesen Missstand müssen wir beseitigen, fand Martina Huemer, Projektleiterin und Oberärztin am Kinderspital. Zusammen mit Nina Zeltner, einem internationalen Team von Stoffwechselexperten, einer Grafikerin und Spezialisten für einfache Sprache entwickelte Huemer Illustrationen, mit denen die Funktion von Enzymen beim Stoffwechsel und die damit im Zusammenhang stehenden Störungen kindergerecht erklärt werden können. «Durch die Materialien bekommen wir eine gemeinsame Sprache mit unseren Patienten und deren Familien», erklärt Zeltner.

Verstehen ist das A und O

Ein gutes Verständnis für die Krankheit hilft den Betroffenen zum einen, besser mit Stigmatisierungen im sozialen Umfeld klar zu kommen, weil das «anders sein» erklärbar wird. Zum anderen motiviert es, die Therapie einzuhalten – insbesondere wenn es sich dabei um eine spezielle Diät handelt. «Gerade im Jugendalter, wenn viele ausbrechen und Grenzen testen, ist es wichtig, dass sie ihren Spielraum kennen, der halt leider begrenzt ist. Um das besser akzeptieren zu können, hoffen wir, helfen unsere Zeichnungen.» Die Abbildungen nützen aber nicht nur den kleinen Patienten, sie helfen auch Eltern, Lehrern und anderen Betreuungspersonen, auch Schulfreunden und Geschwistern, die Krankheit des anderen und manchmal eben auch dessen Sonderbehandlung besser zu verstehen.

Ob eine Schulung mit eben jenen Illustrationen das Krankheitsverständnis verbessert, hat das Projektteam bereits an 111 Kindern im Alter zwischen sieben und 15 Jahren getestet. Mit Erfolg: Sowohl bei gesunden als auch kranken Kindern haben sich die Kenntnisse über Stoffwechselkrankheiten erweitert. «Ausserdem hat es den Kindern enorm viel Spass gemacht – für uns ein wichtiges Ergebnis.»

Weitere Informationen zu den Illustrationen und wo man sie bestellen kann, gibt es hier.
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