«Die Universität bezahlt mich, damit ich die Vergangenheit erforsche», sagt Michael Cook lächelnd, als er zu der Zukunft des Islams befragt wird. Der Islamwissenschaftler kann mit seinem selbstironischen Humor die englischen Wurzeln nicht verleugnen.

Der Professor für Orientalistik der amerikanischen Princeton Universität steht auf der Bühne des Yehudi Menuhin Forums in Bern. Er berichtet über seinen Werdegang, seine wichtigsten Studien und Publikationen. Beinahe zufällig hätte er sich für die islamische Geschichte interessiert: «In einer Weise zu denken, die eigenständig ist, ein Werk zu schaffen, dessen Originalität nicht zur Erwartung des Fachgebietes passt, ist für Wissenschaftler ein hohes Risiko.»

Filmwissenschaftler Jacques Aumont und Islamwissenschaftler Michael Cook.Eric Schmid

Filmwissenschaftler Jacques Aumont und Islamwissenschaftler Michael Cook.

Es ist Donnerstag, der 14. November, und die Akademien der Wissenschaften Schweiz organisieren ein Forum, an dem die Balzan Preisträger 2019 einem öffentlichen Publikum beweisen, dass sie zu den begabtesten Köpfen des 21. Jahrhunderts gehören. Die 470 Plätze im neoklassizistischen Saal des Yehudi Menuhin Forums sind gut besetzt.

Ein medizinisches Netzwerk für Lebensqualität

Lungenkrankheiten befallen Menschen in jedem Lebensalter – vom Neugeborenen bis zum Greis. Vier Vorstandsmitglieder des Deutschen Zentrums für Lungenforschung DLZ haben den Balzan Preis 2019 gewonnen. Die Deutschen zeigen auf, wie genetische Risiken, Allergien, Altern, aber auch der Lebensstil auf die Lungen wirken. Mit Erkenntnissen der Grundlagenforschung aus verschiedenen Disziplinen entstehen neue Therapien.

Betroffene und ihre Familien sind Teil des Genesungsprozesses, entsprechend werden auch sie geschult. Zudem fliessen die Erkenntnisse des Netzwerkes in die Nachwuchsförderung – immer mit Blick auf eine verbesserte Lebensqualität für Kranke. Das Engagement des Teams mit Erika von Mutius, Klaus F. Rabe, Tobias Welte und Werner Seeger soll weiteren medizinischen Fachbereichen als Vorbild dienen.

Von der Physik bis zur Ökonomie

«Meine Arbeit in den letzten Jahren war an der Schnittstelle verschiedener Bereiche», berichtet Luigi Ambrosio. «Optimale Transport Theorie und ihre vielfältigen Anwendungen», so der Titel seiner Ausführungen. Der italienische Mathematiker bietet eine intellektuelle Herausforderung für das Publikum. Mit einem historischen Ausblick bis ins Jahr 1781 zeigt er beispielsweise wie sich schon damals der französische Mathematiker Gaspard Mong Gedanken zum Thema «optimaler Transport mit minimaler Arbeit» machte.

Luigi Ambrosio erforscht von der Physik bis zur Ökonomie, von der Strömungslehre bis zur Meteorologie, die vielfältige Anwendung von partiellen Differentialgleichungen. Damit bereichert er die moderne Mathematik mit neuen Konzepten und findet neue Lösungen für alte Probleme.

Wie im Film

«Das Kino bringt uns auch heute noch Werke, die neue Ideen erfinden, wie auch neue visuelle und formale Ereignisse aller Art», sagt Jacques Aumont. Der französische Filmwissenschafter lehrte an der Pariser Universität Sorbonne, Berkeley, Iowa City, Madison, Montreal und Weimar. «Die Chance meiner persönlichen Entwicklung ergab sich, dass ich mit einem technischen Abschluss im Bereich des Kinos meine ersten Schritte als Kritiker machte», erzählt Aumont. Kurzum, dank seiner Filmkritiken wurde die akademische Welt auf ihn aufmerksam. Das Kino, wie auch Literatur, Poesie oder Malerei sei eine Frage der Interpretation, bemerkt Jacques Aumont zu seiner Rolle als «Gründer von wissenschaftlichen Studien im Kino».

Peter Mosimann

Die Preisträger Luigi Ambrosio, Erika von Mutius, Klaus F. Rabe, Werner Seeger, Jacques Aumont und Michael Cook (v.l.n.r.).

Feierlichkeiten im Bundeshaus

Am nächsten Tag, dem 15. November, versammeln sich eine Preisträgerin und vier Preisträger im Nationalratssaal des Bundeshauses. Der Balzan Preis ist eine beispielhafte Kooperation zwischen der Schweiz und Italien.

Eugenio Balzan war ein italienischer Journalist und Verleger, der sich in Zeiten des Faschismus in die Schweiz absetzte. Sein Erbe hat seine einzige Tochter 1956 in eine Preisstiftung einfliessen lassen. Die Stiftung ist international ausgerichtet mit zwei Niederlassungen, eine nach italienischem, die andere nach Schweizer Recht. Das Geld wird vom Stiftungsrat «Fonds» in Zürich verwaltet. Balzans Erbe lässt es zu, dass jährlich drei Millionen Schweizer Franken ausbezahlt werden – pro Preisgebiet 750’000.

Um die Wahl der jährlich wechselnden Preisgebiete kümmert sich die Stiftung in Mailand. Für sie recherchiert eine internationale Kommission nach herausragenden Persönlichkeiten in der Wissenschaft.

«Nur wo sich die Freiheit des Denkens und Handelns entfalten kann, können Wissenschaft und Wirtschaft das leisten, was wir alle von ihnen mit gutem Grund erwarten: schöpferische Kreativität, Eröffnung neuer Horizonte…», sagt Gisèle Girgis-Musy, Präsidentin des Stiftungsrats «Fonds» Zürich. An der Zeremonie der Preisübergabe ist die amtshöchste Schweizerin Marina Carobbio Guscetti anwesend. Die Nationalratspräsidentin wird nur 48 Stunden später in den Tessiner Ständerat gewählt. Eine Premiere – noch nie hatten die Tessiner eine Frau in der kleinen Kammer.

Viel Ehre für Mensch und Wissenschaft

«Ich bin stolz, wenn ich mich vergleiche, demütig, wenn ich mich betrachte», der Filmwissenschaftler Jacques Aumont zitiert bei seiner Danksagung im Bundeshaus aus einem Film des französisch-schweizerischen Regisseurs und Drehbuchautors Jean-Luc Godard.

Der italienische Mathematiker Luigi Ambrosio schildert seine Emotionen, als er am Morgen des 9. Septembers die Nachricht von der Stiftung bekam.
Der Preis gebe ihm persönlich und der Islamwissenschaft eine willkommene Ehre, erklärt Michael Cook: «Der Islam ist in der heutigen Welt von enormer Bedeutung – weitaus mehr, als wir vor einem halben Jahrhundert dachten. Und doch ist die Islamwissenschaft keine Disziplin mit einer klaren institutionellen Struktur in der akademischen Welt.»

Einen Teil des Preisgeldes für junge Wissenschaftler zu investieren, das sei eine gute Vorgabe der Stiftung, meint Erika von Mutius vom Deutschen Zentrum für Lungenforschung: «Wir werden es für die Erforschung der potentiell gravierenden Folgen des Rauches von E-Zigaretten verwenden.» Nach der Zeremonie im Nationalratsaal mit viel Emotionen, Lobreden und feierlichen Klängen von barocker Musik flaniert die Festgesellschaft in die Galerie des Alpes zum Cocktail.

Wer mit dem Balzan Preis 2020 geehrt wird, ist an diesem Abend noch offen – mit der einen Gewissheit, dass die nächste Preisfeier in Rom sein wird, dank der schweizerisch- italienischen Zusammenarbeit.

Akademien der Wissenschaften Schweiz

Die wissenschaftlichen Akademien der Schweiz setzen sich gezielt für einen engagierten Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein und beraten Politik und Gesellschaft in wissenschaftsbasierten, gesellschaftsrelevanten Fragen. Sie vertreten die Wissenschaften institutionen- und fachübergreifend. In der wissenschaftlichen Gemeinschaft verankert haben sie Zugang zu Expertise und Exzellenz und bringen Fachwissen in zentrale politische Fragestellungen ein.
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