In der Schweiz war es Eugen Bleuler, Professor und Leiter der Zürcher Universitätsklinik «Burghölzli», der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert der Freudschen Psychoanalyse zum Durchbruch verhalf. Angeregt dazu wurde er von seinem Assistenten Carl Gustav Jung, der von 1910 bis 1914 als erster Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung waltete. Der spätere Mystiker unter den Psychiatern entwickelte sich inhaltlich aber in eine andere Richtung als die Freudianer, weshalb man sich bereits nach wenigen Jahren wieder trennte.

Zürich war um diese Zeit eine Hochburg für neue Ideen und Anwendungen in Psychologie und Psychiatrie. In der Klinik Burghölzli waren junge, innovative Ärzte am Werk, die methodisch experimentierten und die Seelenheilkunde dynamisch weiterentwickelten. Viele von ihnen arbeiteten mit der von Sigmund Freud entwickelten Psychoanalyse, die ihnen neue psychiatrische Wege eröffnete und der Methode einen bedeutenden Aufschwung bescherte.

1919 wurde die Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse (SGPsa) gegründet, und das heutige Freud-Institut war das erste Ausbildungszentrum dieser Gesellschaft. Der langjährige Präsident Philipp Sarasin manövrierte die bewegte neue Gesellschaft in ruhigeres Fahrwasser, bis nach der Zeit der 68er wieder Unruhe in die Gesellschaft kam.

Unruhe im Institut

Mit der Ruhe im Institut – und in der Wissenschaft allgemein – war es mit dem Beginn der Studentenunruhen vorbei. Demokratie, Mitbestimmung und totale Gleichheit wurden gefordert. Am Freud-Institut wollten die jungen Psychiaterinnen und Psychiater sowie Psychologinnen und Psychologen in Ausbildung bis hinauf in die Leitung gleichberechtigt beteiligt werden, sie forderten die Abschaffung von Prüfungen und wollten bei der Gestaltung der Ausbildung mitreden.

«Jeder wollte selbst bestimmen, wann er psychoanalytisch arbeiten könne.»Susanne Richter, Präsidentin des Freud-Instituts Zürich

«Ein Knackpunkt war die Selbstdeklaration, d.h. dass jeder selbst bestimmen könne, wann er fertig ausgebildet sei und psychoanalytisch arbeiten könne», erzählt Susanne Richter, derzeitige Präsidentin des Zürcher Freud-Instituts. Der Konflikt wogte heftig und dauerte so lange, bis die Institutsleitung 1977 beschloss, die Türschlösser auszuwechseln, sodass die bewegten Studentinnen und Studenten sich notgedrungen eine andere Bleibe für ihre psychoanalytische Tätigkeit suchen mussten.

Nachhaltige Therapiemethode

Unter Psychoanalyse versteht man – ganz kurz gesagt – das auf Freuds Theorien über die Psychodynamik des Unbewussten gegründete Beschreibungs- und Erklärungsmodell der menschlichen Psyche. Die Psychoanalyse wird bis heute weiterentwickelt und verändert.

Für Susanne Richter, die selbst mit dieser Methode arbeitet, ist Psychoanalyse nicht nur eine Methode, sondern gar eine Berufung. «Es ist eigentlich die Erforschung des Wissens, ein Prozess, der für mich nie endet. Klar, als Therapiemethode ist die Psychoanalyse teuer, weil sie lange dauert. Dafür ist sie auch nachhaltig. Diverse Studien haben gezeigt, dass Patienten mit dieser Methode längerfristig geholfen werden kann, weil sie zu tiefergehenden innerstrukturellen Veränderungen führt», so Richter.

Heute seien für viele Patientinnen und Patienten kurze Verhaltenstherapien die erste Wahl. Dabei wird ein ‹besseres, gesünderes› Verhalten in wenigen Sitzungen gelernt. «Das ist kostengünstiger, aber oft weniger nachhaltig. Der Mensch ändert sich grundsätzlich nur sehr langsam und beschwerlich und braucht dazu Zeit», erklärt Susanne Richter.

Eine Therapie für alle

Doch inwieweit sind die von Sigmund Freud entwickelten Theorien heute noch gültig? «Grundsätzlich sind seine Erkenntnisse für uns heute noch gültig. Doch das Wissen von der menschlichen Psyche ist heute natürlich viel grösser als zu Freuds Zeit. Das heisst, wir wissen heute beispielsweise viel mehr über psychische Erkrankungen und gehen entsprechend differenzierter damit um. Traumdeutung hingegen wird heute nicht mehr auf die genau gleiche Art praktiziert, wie Freud das tat. Aber wichtige Prozesse in Therapien, wie etwa Übertragung und Gegenübertragung, die Freud erstmals festgestellt hatte, gelten noch heute und sind Bestandteile von Psychoanalysen und Psychotherapien», so Richter.

«Wichtig ist, dass es menschlich passt.»Susanne Richter

Bei der Übertragung projiziert der Patient Gefühle auf den Arzt, die zwar wichtig sind, aber eigentlich nicht an den Arzt als Person gerichtet sind. Dieser analysiert diese Projektionen, schaut, was dabei in ihm vor sich geht und was er daraus für den Patienten verstehen kann – das ist dann die Gegenübertragung.

Und für wen ist laut Susanne Richter eine Psychoanalyse geeignet? «Grundsätzlich für alle Patientinnen und Patienten, die sich mit dieser Methode wohlfühlen – und mit ihrer Therapeutin oder ihrem Therapeuten. Es muss menschlich passen, sonst geht es nicht. Und man muss bereit sein für regelmässige Sitzungen, am besten ein, zwei- oder mehrmals pro Woche.»

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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