Das musst du wissen

  • Vieles deutet darauf hin, dass die Covid-Infektionen ein neues Allzeit-Hoch erreicht haben.
  • Dafür ist unter anderem die neue Untervariante von Omikron namens BA.2 verantwortlich, die sich immer mehr durchsetzt.
  • Auch wenn es besser aussieht als zu früheren Zeitpunkten: Zahlreiche Fragen zur weiteren Entwicklung bleiben noch offen.

Diesen Diamant-Beitrag schenken wir dir, weil er uns am Herzen liegt. ❤️

Dieser Beitrag enthält wichtige Inhalte, die wir einem möglichst breiten Publikum unentgeltlich zur Verfügung stellen wollen. Zu weiteren relevanten Inhalten erhältst du Zugang mit einer Membership. So hilfst du uns auch, weitere exzellente Geschichten zu schreiben, und machst es möglich, dass higgs als erstes unabhängiges Magazin für Wissen werbefrei bleibt. Werde jetzt Member – den ersten Monat schenken wir dir.

Member werden

Den Text vorlesen lassen:

Eine neue Welle des Coronavirus hat die Schweiz getroffen. Vieles deutet darauf hin, dass es die bislang höchste Welle ist. Wie ist sie zu erklären? Welche Gefahren drohen und wie geht es nun weiter? Ein Überblick über die wichtigsten Punkte.

Wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt

Die neue Welle lässt sich unschwer an den Zahlen ablesen: Im Vergleich zum Tiefwert von Mitte Februar hat sich die Zahl der täglich registrierten Fälle in etwa verdoppelt: In den letzten Tagen wurden durchschnittlich knapp 30 000 Fälle täglich gemeldet. Und seit die Zertifikatspflicht abgeschafft wurde, ist die Zahl der Fälle wohl noch stärker gestiegen, als es die Zahlen suggerieren: «Ein Rückgang der Testaktivität bei gleichzeitigem Anstieg des Anteils positiver Tests bedeutet, dass ein Grossteil des Infektionsgeschehens unerkannt bleibt», erklärt das Bundesamt für Gesundheit BAG auf Anfrage. Derzeit ist fast jeder zweite Covid-Test in der Schweiz positiv. Es sei daher davon auszugehen, dass sich gegenwärtig täglich bis zu 100 000 Personen mit Sars-CoV-2 anstecken, so das BAG. Ein weiteres Indiz dafür, dass das Coronavirus stärker zirkuliert als je zuvor, liefern die Messungen des Wasserforschungsinstituts Eawag: An fünf von sechs Stationen erreichte die Konzentration von Sars-Cov-2 im Abwasser zuletzt Allzeit-Rekordwerte.

Eawag

Zwei Messmethoden für die Verbreitung des Coronavirus: Blau sind die vom BAG registrierten Infektionen in einer Region dargestellt, violett die Konzentration der Viren im Abwasser.

Eine neue Untervariante von Delta

Doch woher kommt die neue Welle? Das BAG sieht zwei Gründe – der erste liegt wohl auf der Hand: Mit dem Abbau der Massnahmen ist die Wahrscheinlichkeit von Ansteckungen gestiegen. Der zweite Grund ist eine neue Mutation.Denn inzwischen gibt es von der dominanten Omikron-Variante verschiedene Untervarianten. Hier setzt sich gerade jene mit dem Namen BA.2 immer weiter durch – ihr Anteil macht mittlerweile über fünfzig Prozent aus. Dies zeigen die Daten der Genomdatenbank Nextstrain, die detailliert über Varianten Buch führt.

Screenshot Nextstrain

Der Anteil verschiedener Varianten am Infektionsgeschehen in der Schweiz: In der Nextstrain-Nomenklatur entspricht BA.1 der Variante 21K. Inzwischen beträgt der Anteil von 21L (BA.2) 61 Prozent.

Doch wie beeinflusst BA.2 das Infektionsgeschehen? Aus ersten Preprint-Studien aus England und Dänemark geht hervor, dass sie ansteckender ist. Die Reproduktionszahl, also die Anzahl Personen, die im Schnitt von einer infizierten Person angesteckt werden, liegt um bis zu fünfzig Prozent höher als bei BA.1, schätzt die Schweizer Covid-19 Science Task Force. Die gute Nachricht ist aber: Die WHO kommt bislang zum Schluss, dass BA.2 ähnlich milde Verläufe verursacht wie BA.1. Zudem sei die Kreuzimmunität zwischen den zwei Untervarianten hoch – eine Infektion mit der einen Variante schützt also vor der Infektion mit der anderen.

Was wissen wir über «Deltakron»?

Mittlerweile wurden unabhängig voneinander mehrere Mischformen von Delta und Omikron entdeckt – in den Medien als «Deltakron» bezeichnet. Die Fachwelt zeigt sich darüber bislang jedoch nicht besorgt: Es handle sich dabei um einen natürlichen Prozess. Von den miteinander kombinierten Viren gehe bislang keine grössere Gefahr aus, erklärte beispielsweise der Virologe Richard Neher in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Es sei aber durchaus möglich, dass so eine Variante den Pandemieverlauf in der Zukunft beeinflussen könnte, so Neher.

Wie häufig Omikron zu Long Covid bleibt weiterhin unklar. Das Universitätsspital Zürich beobachte einen leichten Anstieg der Anmeldungen seit dem Aufkommen der Omikron-Variante, erklärt Christian Clarenbach, Leitender Arzt in der Klinik für Pneumologie. Dies erlaube jedoch noch keine verlässlichen Aussagen zum Long-Covid-Risiko. Auch im Inselspital kann man die Häufigkeit von Long Covid nach einer Omikron-Erkrankung noch nicht beurteilen.

Konsequenzen für das Gesundheitssystem

Die neue Welle ist also höher denn je, doch was sind die Auswirkungen in den Krankenhäusern? Die Zahl der Covid-Erkrankten sei hoch und steige aktuell leicht an, erklärt ein Sprecher des Berner Inselspitals auf Anfrage. Viele der Personen seien aber wegen einem anderen Leiden hospitalisiert worden. Die Betreuung und Isolation der Covid-Positiven bedeute allerdings einen signifikanten Mehraufwand. Auch die Task Force beobachtet einen erneuten Anstieg der Hospitalisierungen. Ein ernster Engpass auf den Intensivstationen, wie es ihn in früheren Wellen gab, ist jedoch weiterhin nicht absehbar: Derzeit funktioniere der Betrieb ohne grosse Einschränkungen, heisst es aus dem Inselspital.

In den Spitälern verläuft die neue Welle bislang also vergleichsweise milde. Trotzdem stellen die vielen Infektionen die Gesellschaft vor eine grosse Herausforderung. Zwar erklärt das BAG, dass dort, wo sich Risikopersonen aufhalten, weiterhin Schutzmassnahmen gelten. Kritische Stimmen aus der Wissenschaft weisen auf Twitter jedoch immer wieder darauf hin, dass es durch das Wegfallen der Massnahmen mittlerweile beinahe unmöglich ist, sich in alltäglichen Situationen wie dem Einkauf effizient vor einer Infektion zu schützen.

Wie häufig Omikron zu Long Covid wird, bleibt weiterhin unklar. Das Universitätsspital Zürich beobachte einen leichten Anstieg der Anmeldungen seit dem Aufkommen der Omikron-Variante, erklärt Christian Clarenbach, Leitender Arzt in der Klinik für Pneumologie. Dies erlaube jedoch noch keine verlässlichen Aussagen zum Long-Covid-Risiko. Auch im Inselspital kann man die Häufigkeit von Long Covid nach einer Omikron-Erkrankung noch nicht beurteilen.

Wie geht es weiter?

Geht man weiterhin von rund 100 000 Fällen pro Tag aus, bewegt sich die Schweiz schnell in Richtung Herdenimmunität. Dass wir erneut einen Sommer mit wenigen Fällen erleben, gilt angesichts dessen als sehr wahrscheinlich. Fraglich bleibt, was im nächsten Herbst und Winter passiert. Kritische Stimmen ermahnen die Behörden bereits jetzt, sich gut auf eine erneute Winterwelle vorzubereiten.

Auch die Task Force hat sich bereits mit der Frage nach dem kommenden Winter beschäftigt. Ihr zufolge sind zwei Szenarien denkbar, abhängig davon, wie sich die Immunität der Bevölkerung entwickelt. Denn noch ist unklar, wie lange der Schutz nach einer Erkrankung oder Impfung vor einem schweren Verlauf anhält.

Das erste Szenario geht davon aus, dass der Schutz wieder deutlich abnimmt. In diesem Fall prognostiziert die Task Force einen weiteren schwierigen Winter wie die bisherigen zwei: Kapazitätsprobleme im Gesundheitssystem, gesellschaftliche Engpässe aufgrund der zahlreichen Erkrankungen – also noch einmal das «volle Programm».

Das zweite Szenario stimmt optimistischer: Bleibt der Schutz vor schweren Verläufen hoch, dürften zwar ebenfalls saisonale Winterwellen auftreten, ohne dass diese das Gesundheitssystem aber noch einmal an die Grenzen bringt. Trotzdem: Auch in diesem Szenario könnten die Auswirkungen schwerer bleiben als die von Grippewellen. Denn auch wenn eine Krankheit endemisch – also dauerhaft in der Gesellschaft vorhanden – ist, heisst das nicht, dass sie harmlos wird. Als Vergleich zieht die Task Force Malaria herbei: Die Krankheit ist in den Tropen endemisch und verursacht jährlich 400 000 Tote. Selbst im optimistischen Szenario kann das Thema Corona also nicht mit dem Ende der aktuellen Welle ad acta gelegt werden. Für eine genauere Prognose ist es jedoch noch zu früh.

Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende