Das musst du wissen

  • Geschätzt ein Drittel des Mikroplastiks im Meer besteht aus den Fasern von Zigarettenfiltern.
  • Zigarettenstummel verrotten erst nach etwa 10 Jahren.
  • Die Inhaltsstoffe aus einer Kippe verschmutzen schon beim kleinsten Regenguss viele Liter Oberflächen- und Grundwasser.

Liegengelassene Zigarettenkippen sind eine der unschönen Begleiterscheinungen der Zivilisation. Die kleinen braunen Stummel mit dem weissen Kunststofffiltern sammeln sich an Bushaltestellen, um Parkbänke und bei grösseren Outdoor-Veranstaltungen. Ansprechend findet das wohl niemand. Vor allem aber sind die Stummel ganz schön umweltschädlich.

Geschätzt ein Drittel des Mikroplastiks im Meer besteht laut Umweltorganisationen aus den Fasern von Zigarettenfiltern, die erst nach ungefähr zehn Jahren verrottet sind. Die giftigen Inhaltsstoffe aus einer Kippe verschmutzen schon beim kleinsten Regenguss viele Liter Oberflächen- und Grundwasser. Bisher blieb das meist unbeachtet, seit einiger Zeit jedoch tut sich etwas.

Das fängt damit an, dass es gesellschaftlich immer weniger akzeptiert ist, die Kippe auf dem Boden auszutreten. Immer mehr Raucher tragen Taschen-Aschenbecher bei sich und entsorgen die aufgerauchten Stummel in der nächsten Mülltonne. Nicht nur aus Sorge um die Umwelt, sondern auch in Rücksicht auf das eigene Portemonnaie. Denn Kippen achtlos wegzuwerfen, kann teuer werden.

Kantone und Gemeinden haben zunehmend genug vom Wegräumen unschöner Kippenhaufen. In Basel, wo seit Mai 2018 eine Busse von 80 Franken für Zigaretten-Littering fällig wird, wurden bis zum September 2018 bereits 42 Raucher dabei erwischt. In Lausanne kostet es schon 150 Franken, die Zigarette einfach wegzuschnippen. Und richtig teuer kann es seit Oktober 2019 im Aargau werden, nämlich bis zu 300 Franken.

Die meisten Leute unterschätzen, wie viele Kippen sich tatsächlich in der Umwelt wiederfinden. Nach Schätzungen der WHO landen weltweit zwei Drittel aller gerauchten Zigaretten auf dem Boden. Wer schon einmal an einem «Clean-Up» teilgenommen hat, weiss, welche Unmengen Zigarettenstummel sich in Naherholungsgebieten finden.

Clean-Up

Bei einem «Clean-Up» treffen sich Freiwillige, um öffentliche Orte wie Parks, Strände, See- oder Flussufer von Müll zu säubern, meist auf Initiative von Anwohnern oder lokalen Organisationen. Auch im Wasser wird geputzt, beispielsweise von den Abfalltauchern Schweiz. Eines der grössten und bekanntesten Clean-Ups wurde auf Initiative eines Anwalts an Bombays Versova Beach durchgeführt. Anwohner befreiten den völlig vermüllten Strand binnen zwei Jahren komplett von Müll. 2018 schlüpften dort erstmals wieder Schildkröten.

Um das Problem zu bekämpfen, werden Raucher in der EU ab 2021 Umweltwarnungen auf ihren Zigarettenschachteln finden. Das hat das EU-Parlament zusammen mit dem Verbot von Einmalartikeln aus Plastik festgelegt. So soll Littering reduziert werden.

Manchen ist das noch nicht genug. Der deutsche Prozessmanager Stephan von Orlow hat in Deutschland eine Petition gestartet, in der er ein «Kippenpfand» von 20 Cent pro Zigarette fordert. Das sind etwa vier Euro pro Schachtel. Von Orlow verlangt, dass Zigarettenstummel zurückgenommen und recycelt werden, was nach seiner Einschätzung Littering drastisch reduzieren dürfte. Fast 65 000 Menschen hat sein Konzept bisher überzeugt. Der deutsche Zigarettenverband winkte bereits ab. Schliesslich ginge es nur um das Fehlverhalten einzelner Konsumenten, eine Recycling-Struktur sei zu aufwendig.

Aus Kippen werden Parkbänke

Die Recycling-Idee jedenfalls ist erprobt. Das Unternehmen «Terracycle», betreibt seit 2012 freiwillige Recyclingprogramme in mehreren Ländern. Zigarettenstummel werden gesammelt, getrocknet und von Papier, Asche und Tabakresten getrennt. Der weisse Filter, der aus Zellulose-Azetat besteht, wird unter Zusatz von anderen Kunststoffen wie Polypropylen wieder zu Kunststoffprodukten verarbeitet. Asche, Papier und Tabak, die etwa die Hälfte des Kippenmülls ausmachen, werden kompostiert.

Die Recyclingprogramme ernten auch Kritik: Ein Teil der schädlichen Stoffe aus der Kippe werde dabei nicht abgebaut, sondern sei auch im Kompost und im recycelten Kunststoff zu finden, kritisierten Prüfer, die das Verfahren im Auftrag der EU evaluiert haben. Das betrifft vor allem Schwermetalle wie Cadmium und Quecksilber. Das recycelte Plastik, das an der Oberfläche ebenfalls Giftstoffe abgeben kann, darf deshalb nicht mit Lebensmitteln in Berührung kommen. Die Gutachter kritisierten zudem den Energieverbrauch des Recyclingprozesses sowie Abfälle, die dabei entstehen. Trotz dieser Mengel bewerten sie die Recyclingwirkung mit «gut» bis «sehr gut».

Recycling auf freiwilliger Basis

Eine andere Methode, die Zigarettenstummel samt Asche und Papier zu recyclen, hat der Kölner Unternehmer Mario Merella gefunden. 2018 hat er den Verein «Tobacycle» gegründet. Tobaycle baut auf einem freiwilligen Sammelsystem auf, an dem Gastronomieunternehmen, Firmen und Private teilnehmen. An grösseren Sammelstellen wie Unternehmen oder Kiosken holt ein Kurier die Kippen regelmässig ab. Über fünf Tonnen Stummel hat der Kölner Verein schon gesammelt.

Die getrockneten Kippen werden gemahlen und mit Recyclingplastik aus dem deutschen «Gelben Sack» vermischt. Es entsteht ein Kunststoffgranulat, dass im Spritzguss wieder zu «Taschenbechern», verarbeitet wird. Die Becher bestehen allerdings nur zu fünf Prozent aus dem recycelten Zigarettenabfall. Die Giftstoffe in den Kippen werden im neuen Produkt so verkapselt, sodass sie nicht mehr in die Umwelt gelangen können, wie Tobacycle mitteilt.

«Tobacycle» forscht aber weiter: Auch an Kompostierung oder Biogasverwertung der organischen Zigarettenbestandteile hat Merella gedacht. Viele Gifte liessen sich durch Bioabbau eventuell komplett entfernen. «Unser Ziel ist kein Produkt, sondern in erster Linie, zu verhindern, dass die Giftstoffe aus der Kippe in die Umwelt gelangen», sagt der Unternehmer.

Er hofft, noch mehr Partner und Sponsoren zu finden, die sich an der Forschung beteiligen. Dafür braucht er ironischerweise zunächst eines: mehr Zigarettenstummel. Denn für Partnerbetriebe wird das Konzept erst ab einer grösseren Menge interessant. In der Schweiz gibt es nach Auskunft von «Recycling Schweiz» aber noch keine Organisation, die Kippenrecycling betreibt.

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