Das musst du wissen

  • Bei der langfristigen Lagerung von Atommüll nehmen schwedische Forscher eine Pionierrolle ein.
  • Die dort entwickelte Methode kommt im ersten Tiefenlager für hochaktive Abfälle in Finnland zum Einsatz.
  • In der Schweiz ist ein solches Lager erst auf 2060 geplant – doch Kritikern geht selbst das zu schnell.

Es ist dunkel, feucht und kühl. Ich stehe in einem tropfenden Tunnel 450 Meter unter der Erdoberfläche – genauso wie die radioaktiven Abfälle, die eines Tages in der Tiefe verscharrt werden sollen. Hier, im Felslabor Äspö in Schweden, suchen Forscher nach der besten Methode, Atommüll für mindestens 100 000 Jahre von unserem Lebensraum fernzuhalten.

«Wir machen öffentliche Führungen, um den Leuten die Angst zu nehmen», sagt Eva Häll von der Entsorgungsgesellschaft SKB. Diesmal ist eine Gruppe von Journalisten aus der Schweiz zu Gast. Das Gebäude an der Oberfläche erweckt den Anschein eines Landhauses. Es ist umgeben von praktisch unberührter Natur mit Seen und Wäldern.

Forschung für das erste Hochaktiv-Endlager

Man händigt mir eine Sauerstoffmaske und einen taschenbuchgrossen Sender aus – für den Fall, dass ich im unterirdischen Labyrinth verloren gehen sollte. Danach geht es mit dem Lift mit fünf Metern pro Sekunden in die Tiefe.

SKB
Das Labor befindet sich ganz in der Nähe des Kernkraftwerks Oskarshamn.
SKB
Das unscheinbare Äspo-Felslabor aus der Vogelperspektive.
SKB
Im Felslabor Äspö windet sich ein 3600 Meter langer Tunnel in die Tiefe, wo die Bedingungen für die Atommüll-Lagerung getestet werden.
SKB
Die Methode aus Schweden kommt in Finnland erstmals zum Einsatz. Nächstes Jahr soll dort das erste Endlager für hochaktive Abfälle betriebsbereit sein.
Roman Rey
Ein Fahrzeug, das ohne Menschenhand die mit Atommüll gefüllten Zylinder in die Schächte bringt.
Roman Rey
Ein zu Testzwecken mit dem Tongemisch Bentonit aufgefüllter Schacht.
Roman Rey
higgs-Journalist Roman Rey im Gang des Felslabors Äspö.
SKB
In solchen Kupferkanistern soll der Atommüll gelagert werden: Einer wiegt mit Füllmaterial 25 Tonnen und ist fünf Meter lang.
SKB/Senad Kahramehmedovic
In bis zu 460 Metern Tiefe wird experimentiert. Hier wird ein neuer Schacht vermessen.

Es gäbe noch einen anderen Weg: Der 3,6 Kilometer lange Tunnel, der sich mit einem 14-Prozent-Gefälle bis 460 Meter in den Erdboden windet. Links und rechts tauchen Schächte auf. Einige sind zu Testzwecken gefüllt mit Bentonit, einem tonhaltigen Füllmaterial.

Die Idee eines Tiefenlagers, wo hochaktive Materialien gelagert werden, bis sie nicht mehr gefährlich strahlen, hat sich weltweit durchgesetzt. Die Forscher des Labors Äspö nehmen dabei eine Pionierrolle ein: Ihre Methode wird im finnischen Onkalo, dem weltweit ersten Endlager für hochaktive Abfälle, zum Einsatz kommen. Es soll nächstes Jahr seinen Betrieb aufnehmen.

Skandinavien ist der Schweiz voraus

Bei der Methode schützen Kupferkanister, Bentonit und schliesslich das Granitgestein die Biosphäre vor dem verscharrten Atommüll. «So haben wir eine dreifache Barriere», sagt SKB-Sprecherin Eva Häll. Man wolle die Materialien mindestens 470 Meter tief unterbringen, um sie auch vor geologischen Veränderungen zu schützen – bei einer Eiszeit etwa kommt das Gestein in Bewegung.

Die Schweiz blickt aufmerksam nach Skandinavien. Oder soll man sagen neidisch? Denn die Schweden und Finnen sind uns weit voraus. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) rechnet damit, im Jahr 2050 ein Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle zu haben, rund zehn Jahre später eines für hochaktive Abfälle.

Standortsuche in der Schweiz

Die Schweiz braucht zwei Tiefenlager: Eines für hochaktiven und eines für schwach- und mittelaktiven Atommüll. Seit vielen Jahren sucht die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) nach einem geeigneten Standort. Aktuell hat sie die Suche auf drei Gebiete eingegrenzt: Zürich Nordost, Jura Ost und Nördlich Lägern.

Gemeinsam ist den drei Gebieten das Wirtsgestein: der Opalinuston. Dieser wurde nach einer Prüfung als das einzig geeignete Gestein für Tiefenlager festgelegt. Das ist der entscheidenden Unterschiede zu den Bedingungen in Schweden, wo man nur Granit zur Verfügung hat.

Seit April durchbohrt die Nagra bei Bülach (Nördlich Lägern) das Gestein – die Bohrung dauert laut Nagra-Sprecher Patrick Studer noch bis im Oktober. Im August beginnt die zweite Bohrung in Trüllikon (Zürich Nordost). Bis 2022 will man einen Standort gefunden haben.

Ein Grund könnte sein die grössere Akzeptanz sein: Tatsächlich sind in den betroffenen Gemeinden laut aktuellen Befragungen mehr als 80 Prozent der Anwohner für ein Tiefenlager. Als 2009 das Areal des Atomkraftwerks Forsmark in Südschweden für ein Endlager auserkoren wurde, freute sich die Lokalbevölkerung. Läuft alles nach Plan, ist die Anlage 2025 betriebsbereit.

Zweifel an Sicherheit

Die Schweiz ist zwar ein Nachzügler, dem Geologen Marcos Buser geht es aber immer noch zu schnell. Buser war bis 2012 Mitglied in der Expertenkommission für das Schweizer Endlagerkonzept und beschäftigt sich seit 40 Jahren mit dem Thema. «Es gibt noch zu viele offene Fragen», sagt er. Mit dem aktuellen Wissensstand könne die Sicherheit eines Tiefenlagers nicht garantiert werden.

«Die Techniken müssen unter realen Bedingungen gründlich experimentell geprüft werden», fordert Buser. Er schlägt ein zentrales Lager vor, wo die Bedingungen möglichst genau rekonstruiert und getestet werden könnten – und das über einen Zeitraum von 100 bis 200 Jahren. Zum Beispiel, wie sich Strahlung auf das Gestein und auf das Bentonit auswirkt, mit dem die Schächte aufgefüllt werden sollen. Die Nagra plant zwar ein solches Pilotlager, dieses soll jedoch erst kurz vor dem Hauptlager in Betrieb genommen werden und dann parallel dazu laufen.

Und Busers Kritik geht noch tiefer: Er fordert eine unabhängige Nagra. Diese ist heute im Besitz der AKW-Betreiber. «Die Nuklearwirtschaft hat ganz klare Interessen und nimmt Einfluss auf die Nagra», sagt Buser. «Das darf bei einem wissenschaftlichen Programm für Langzeitsicherheit nicht sein.»

Diese Nähe zur Atomlobby wird auch bei dem Besuch in Schweden deutlich: Die Informationsreise, zu der mehrere Journalisten eingeladen waren, wurde von der Nagra bezahlt und zusammen mit dem Nuklearforum, das die Interessen der Atombranche vertritt, organisiert.

Die Nagra weist Busers Vorwurf der Einflussnahme zurück: «Über unser Forschungsprogramm entscheiden das Eidgenössische Nuklearinspektorat (Ensi) und der Bundesrat, nicht die Nuklearwirtschaft».

«Vielen Dank, keine Kontamination»

Wenige Kilometer vom Felslabor Äspö entfernt befindet sich Clab, das zentrale unterirdische Zwischenlager für verbrauchte Brennstäbe. Nach einem gründlichen Sicherheitscheck und nach unzähligen Drehtüren und Schleusen stehen wir vor einem Bassin, in dem die strahlenden Elemente in acht Metern Tiefe lagern. 6700 Tonnen sind es in der ganzen Anlage.

SKB

Das Nasslager in Oskarshamn: In acht Metern Tiefe lagern hochaktive abgebrannte Brennstäbe.

Plötzlich ertönt ein Alarm. Eine Sirene, gefolgt von einer Frauenstimme aus dem Lautsprecher, die uns auffordert: «Begeben Sie sich zum nächsten Sammelpunkt». Die Sicherheitsangestellte, die uns auf Schritt und Tritt begleitet, lacht verlegen: «Es ist nur eine Übung».

Ich bin erleichtert – und spüre doch das Adrenalin. Nach einer Minute ist der Spuk vorbei. «Übungen gibt es regelmässig», sagt Eva Häll. «Einen Ernstfall gab es hier noch nie.»

Dennoch bleibt ein leichtes Unbehagen. Ich fühle mich, als hätte ich gerade das gesamte Gefühlsspektrum der Endlager-Diskussion durchlebt.

Erst das Felslabor, das Sicherheit und Kompetenz ausstrahlt. Und dann das leise Aber, das sich während des Alarms meldet: Was, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert? Die Experten etwas übersehen? Etwas schiefgeht?

Beim Verlassen der Anlage müssen wir alle einen gründlichen Scan über uns ergehen lassen. Mir entgleitet ein Seufzer, als die Maschine freundlich sagt: «Vielen Dank, keine Kontamination.»

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