Genesis 2.0

Worum geht es im Film?

Genesis 2.0 ist ein Dokumentarfilm des Schweizer Regisseurs Christian Frei und des russischen Filmemachers Maxim Arbugaev, der am 20. Januar 2018 am Sundance Film Festival seine Premiere feierte und vorletzte Woche in den Deutschschweizer Kinos angelaufen ist. Der Film dokumentiert den gefährlichen Alltag der Sammler von Mammutstosszähnen auf einer abgelegenen Inselgruppe in Sibirien. Gleichzeitig versuchen Klonforscher aus dem schockgefrorenen genetischen Material das längst ausgestorbene Wollhaarmammut wieder zum Leben zu erwecken.

Das mystische Bild auf dem Filmplakat verspricht eine Dokumentation über Elfenbeinjäger im hohen sibirischen Norden. Mutige Männer verbringen mehrere Monate im Jahr fern von ihren Familien, um den auftauenden Tundraboden nach Stosszähnen von Mammuts zu durchkämmen. Weil der Boden wegen der Klimaerwärmung immer mehr auftaut, finden die Jäger immer mehr dieser Mammutzähne, die zehntausend und mehr Jahre alt sind. Man könnte dieses Elfenbein auch als «gutes Elfenbein» bezeichnen, weil dafür keine Elefanten abgeschlachtet werden müssen. Aha, denkt man: Die Klimaerwärmung hat also auch ihr Gutes. Aber nein, darum geht es in diesem Film nicht. Die Elfenbeinjäger setzen ihr Leben aufs Spiel und werden am Schluss von chinesischen Händlern übelst übers Ohr gehauen. Aber auch darum geht es in dem Film nicht.

Genesis 2.0 Trailer

Die Jagd auf das weisse Gold im entferntesten Winkel Sibiriens ist eröffnet.

Es geht um Wissenschaft. Und zwar um böse Wissenschaft. Es geht um den durchgeknallten Forscher, der sich zu Gott aufschwingt, mehr noch: sich über Gott stellt. Die typische Figur des «Mad Scientist» also, wie sie Hunderte von Science-Fiction-Büchern und Filmen bevölkert. Nur ist die Figur hier real. Und gleich in doppelter Ausführung.

Zum einen in der Person von Hwang Woo-suk, ein südkoreanischer Genetiker, der 2005 des Betrugs überführt worden war. Zum anderen mit George Church, ein amerikanischer Genetiker, der mit seinem weissen Haar und dem ebenso weissen wallenden Bart aussieht wie ein Prophet. Wenn er an einer Konferenz auftaucht, scharen sich die anderen Wissenschaftler um ihn wie um einen – das habe ich schon gesagt – Propheten und wollen ihm ihre Forschung zeigen. Und zum Schluss noch ein Autogramm und ein Selfie von und mit ihrem Idol. Ok, auch das gibt es in der Wissenschaft. Aber sehr selten.

Churchs Forschungsgebiet ist die Synthetische Biologie. Hier versuchen Wissenschaftler mittels genetischer und nanotechnologischer Methoden kleine Biomaschinen zu entwickeln. Also zum Beispiel Bakterien, die leuchten, wenn sie ein bestimmtes Gift entdecken.

Nuklearbiologe George Church.Frenetic Films

Nuklearbiologe George Church.

In diesem Zusammenhang fällt auch der Satz, um den es in dem Film geht. «Die Forscher kreieren Lebewesen, die die Welt noch nie gesehen hat.» Klingt schon mal dramatisch. Gefährlich. Der Mann, der aussieht wie Gott, führt sich auf wie Gott. Aber was hat das hier mit Gott zu tun? Es geht um Biologie und vielleicht auch um Evolution.

Aha, Hwang Woo-suk sagt im Film: Das Werk Gottes sei nicht perfekt. Aber mittels seiner Methoden könne man Gott helfen, perfekt zu werden. Das lassen wir mal so stehen. Denn Hwang Woo-suk ist kein wirklicher Repräsentant der Wissenschaft. Er verdient heute übrigens sein Geld mit dem Klonen verstorbener Hunde. Kunden bezahlen 100’000 Dollar, damit das Institut aus einer Zelle des verstorbenen Lieblings zwei identische Welpen kreiert. Warum zwei? Habe ich nicht begriffen. Aber die Hundeliebhaber freuts. Und ich würde gerne die Welpen genetisch untersuchen, ob sie wirklich Klone des verstorbenen Tieres sind. Denn wie gesagt: Hwang Woo-suk ist ein verurteilter Wissenschaftsbetrüger.

Hwang Woo-suk.Frenetic Films

Hwang Woo-suk.

Aber wo ist eigentlich das Mammut geblieben? Ah ja, auch George Church hat eine verrückte Idee. Er will die ausgestorbenen Mammuts wieder zum Leben erwecken, indem er den Kern einer lebenden Mammutzelle in das Ei eines indischen Elefanten einpflanzt und das Baby von einer Elefantenkuh austragen lässt. Ob das funktioniert: keine Ahnung. Beim Klonschaf Dolly, das vor 22 Jahren mit derselben Methode kreiert worden ist, hat man ja gesehen, dass das Tier enorme Probleme hatte, weil nämlich das Ursprungsmaterial – diese eine Zelle also – schon alt war – will heissen: Ihr genetisches Programm entsprach jenem der Mutter und eben nicht des künstlich erzeugten Nachkommens. So hatte das Klonschaf Dolly schon als Jungtier die Probleme, die seine alte Mutter hatte. Es war eine Seniorin in einem jungen Körper sozusagen. Dieselben Probleme dürften übrigens die geklonten Hunde haben, wenn sie denn echt sind.

Und schon wieder haben wir das Mammut verloren. Aber das passiert auch in dem Film dauernd.

So skandalisiert der Streifen also die Idee, das Mammut wiederzubeleben, weil auf diese Weise gerade noch Einer Gott spielt und nicht nur mit der Synthetischen Biologie «Wesen schaffen will, die die Welt noch nie gesehen hat».
Diese Aussage ist definitiv Unsinn. Denn der Mensch kreiert Wesen, die die Welt noch nie gesehen hat, seit der Mensch sich vom Jäger und Sammler zum Landwirt gewandelt hat. Jede gezüchtete Tierrasse hat «die Welt zuvor noch nie gesehen». Bevor der Mensch ihn durch Zucht geschaffen hat, gab es keinen Pudel. Keinen Chihuahua, keinen Schäferhund. Es gab auch kein Maultier, weil Pferde und Esel sich normalerweise nicht paaren. Aber diese Tiere erwähnt der Film natürlich nicht. Dafür Exoten wie den Liger, eine Chimäre aus Löwe und Tiger, und die Schiege, die von einem Schaf und einer Ziege. Alles Ausgeburten menschlicher Hybris über die Natur. Wie diese erzeugt wurden, sagt der Film aber nicht – ob durch Mischung im Reagenzglas oder durch eine forcierte Paarung der Ausgangstiere. Spielt ja auch keine Rolle. Hauptsache die Aussage sitzt: «Mit der Synthetischen Biologie kreiert der Mensch Wesen, die die Welt noch nie gesehen hat.»

Das kommt dabei heraus, wenn jemand einen Film über Wissenschaft macht, der keine Ahnung von Wissenschaft hat, sich aber zweier wissenschaftlicher Exponenten bedient, die alle Vorurteile gegenüber dem «Mad Scientist» bestätigen.

Und dann zeigt er auch noch verdammt miese Wissenschaft. Als ein Stück gefrorenes Mammut ins Labor kommt, um daraus eine Zelle für die Wiederauferstehung zu gewinnen, fummeln zwei Forscher im Stile von «die zwei Deppen von nebenan» an dem Fleischstück herum, als wäre es ein Parmaschinken. Sie tragen dabei nicht einmal einen Mundschutz. Dabei kann ein kleines Tröpfchen aus unserer Atemluft die Probe unbrauchbar machen, weil wir sie mit unserer DNA verseuchen. Aber das weiss der Regisseur nicht und nimmt den Forschern die Show ab. Auch hinterfragt der Filmer die Aussage nicht, dass man in einem gefrorenen Mammutkadaver Blut des verstorbenen Tieres entdeckt. Zwar sieht man im Film das Blut dunkelrotbraun herunterrinnen. Aber ist das wirklich Blut oder vielleicht bloss Modersaft? Der Film liefert keine Analyse.

Auf den Neusibirischen Inseln.Frenetic Films

Auf den Neusibirischen Inseln.

Und wenn es schon ein Film über Wissenschaft sein soll, sollte man da nicht die Aussage eines Sibirers hinterfragen, der vom Fluch des Elfenbeins erzählt? Elfenbein zu finden bringe Unglück, erzählen sich die Leute in Sibirien. Trotzdem suchen sie es. Die abergläubische These des Fluches wird gestützt durch die Geschichte von dem jungen Mann, der in einem Sommer besonders viele Stosszähne gefunden hatte und dann auf der Heimreise gestorben ist. Zwar sinken bei der Heimreise jedes Jahr ein bis zwei Boote, die Arbeit der Elfenbeinjäger ist lebensgefährlich. Aber der Film sagt nicht, ob nur Boote von Leuten sinken, die Elfenbein gefunden haben. Ich vermute mal, dass dem nicht so ist. Aber eben, den Aberglauben zu hinterfragen hätte auch schon wieder mit Wissenschaft zu tun. Oder zumindest mit kritischem Denken – wenn man schon über Wissenschaft berichtet.

Dabei ist der Film schön gemacht. Wunderbare Landschaftsaufnahmen, mystische Gedichte, hypnotische Klänge. Aber die haben mir nicht über den Ärger hinweggeholfen, dass einmal mehr ein Kinofilm, der vorgibt, sich mit Wissenschaft zu beschäftigen, leider nur abgedroschene Klischees bedient.

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