Das musst du wissen

  • Im Bergbau entsteht viel scheinbar nutzloser und sperriger Abfall.
  • Wie sich diese grossen Mengen an Gestein recyceln lassen, dazu haben Forschende nun Ideen.
  • Konkret wollen sie die Abfälle zu Quarzsand aufbereiten. Damit könnte sich ein Kreislauf schliessen.

Bergbauabfälle sind sperrig, umweltschädlich und werden als nutzloser Abfall angesehen. Doch was wäre, wenn man sie zu einer Ressource macht, die genauso nützlich ist wie Sand, den wir für das Herstellen von Beton in unseren Gebäuden und Häusern brauchen? Das ist die Idee des «Erz-Sandes», die auf ein Team aus schweizerischen und australischen Forschern zurückgeht. Ihre Arbeit, die im April 2022 veröffentlicht wurde, basiert auf dem Pionierbeispiel einer Eisenerzmine in Brasilien. Sie zielt darauf ab, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen.

Warum wir darüber sprechen. Der Bergbau ist eine riesige Maschine, die jedes Jahr Milliarden von Tonnen aus dem Boden holt und damit Milliarden von Dollar verdient. Die Verschmutzung der Umwelt, die damit einhergeht, stellt ein ernstes Problem dar. Dieser Beitrag soll zeigen, dass eine Umwandlung von Bergbauabfällen nicht nur möglich, sondern auch rentabel ist. Es scheint eine Win-Win-Situation zwischen Industrie und Ökologie zu sein.

Sperrige Abfälle. Das Ereignis wurde als «brasilianisches Fukushima» bezeichnet: Im November 2015 brach der Fundao-Staudamm im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais zusammen. Er hielt eine astronomische Menge an Rückständen aus der Mariana-Eisenerzmine zurück. Sechzig Millionen Kubikmeter Eisenschlamm ergossen sich über den Fluss, eine ockerfarbene Welle, die alles mit sich riss. Das Dorf unterhalb wurde zerstört, es gab etwa zwanzig Tote, 600 zerstörte Häuser und eine Verschmutzung über Hunderte von Kilometern.

Drei Jahre später brach der Brumadinho-Bergwerksdamm in einer Entfernung von etwa hundert Kilometern. Mehr als 270 Menschen starben.

Diese beiden Unfälle verdeutlichen eine zentrale Herausforderung des Bergbaus: die Verwaltung riesiger Mengen an Erde und Gestein, die nach dem Abbau der wertvollen Erze wie Eisen, Kupfer, Gold oder Kobalt nicht mehr benötigt werden. Pascal Peduzzi, Direktor von GRID-Geneva, einem Forschungszentrum, das von der Universität Genf und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gemeinsam betrieben wird, sagt dazu:

«In einem Kubikmeter Gestein befinden sich höchstens ein paar Kilogramm nützliches Erz. Der Rest wird als Abfall betrachtet. Das ist ein riesiges Volumen – es nimmt Platz weg und ausserdem müssen die Halden stabilisiert werden.»

Die Katastrophen in Fundao und Brumadinho sind nach wie vor aussergewöhnlich. Normalerweise besteht das Hauptproblem darin, dass sich in den im Freien gelagerten Bergbauabfällen Schwermetalle wie Cadmium, Blei und Arsen befinden. Ausserdem giftige Substanzen, die für den Erzabbau benötigt werden, wie Zyanid – für Gold – oder Schwefelsäure – für Kupfer.

Die Gefahr einer Umweltverschmutzung ist dann gross. Yannick Menard, Leiter der Abteilung Abfall und Rohstoffe des bureau de recherches géologiques et minières (BRGM), dem staatlichen französische Referenzinstitut im Bereich der Geowissenschaften für Rohstoffe und geologische Risiken, erklärt:

«Diese Bergbauabfälle können Sulfide enthalten, die unter dem Einfluss von Regenfällen und natürlicher bakterieller Wirkung säurehaltige und mit umweltschädlichen Metallen belastete Auslaugungswässer erzeugen. Wenn sie nicht behandelt werden, kann es zu einer Verschmutzung des Grundwassers, der Flüsse und Ströme über mehrere Dutzend Kilometer hinweg kommen.»

Sand, der immer knapper wird. Pascal Peduzzi ist so etwas wie der Genfer «Mister Sand», der 2014 einen viel beachteten Bericht über Sand verfasst hatte, in dem er auf die zunehmende Knappheit des Sandes und die Auswirkungen des Sandabbaus auf die Umwelt hinwies.

  • Sand wird aus Flüssen, Küsten, See- oder Meeresböden gewonnen. Dies schwächt die Ökosysteme und die Strände – und drängt damit den Tourismus zurück.
  • Sand kommt zum Einsatz, um Baubeton, Glas, Asphalt und Silikonchips herzustellen. Ohne Sand gibt es keine Häuser, Strassen oder Computer.

Je seltener oder schwerer zugänglich die Sandquellen werden, desto mehr explodiert sein Marktwert. In den USA wird er mittlerweile für rund zehn US-Dollar pro Kubikmeter gehandelt und sein Wert steigt mit den Jahren immer weiter an.

So kommt es, dass Sandräuber die Strände von Jamaika bis Marokko abklappern, um nachts an das neue «graue Gold» zu gelangen. Sanddiebe – ein Beruf mit Zukunft. Heidi.news berichtete ausführlich über die Betonkriege in der Waadt.

Wie das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) in einem Ende April veröffentlichten, aufsehenerregenden Bericht zusammenfasst, muss Sand nun als wertvolle, knappe und strategische Ressource betrachtet werden.

Vom Minenarbeiter zum Sandhändler. Auf der einen Seite: Sperrmüll und gefährliche Abfälle. Auf der anderen Seite Sand, der immer schwieriger zu beschaffen ist. Wäre es nicht an der Zeit, die beiden Themen miteinander zu verbinden, um eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen?

Pascal Peduzzi und seine Kollegen von den Universitäten Queensland und Genf schlagen dies in einem weiteren Forschungsbericht vom April 2022 zum Thema «Erz-Sand» vor. Pascal Peduzzi:

«Sobald wir fünfzig Milliarden Tonnen Sand und Kies pro Jahr verbrauchen, müssen wir Lösungen finden. Man kann recyceln – in den Industrieländern wird das viel getan, in den Entwicklungsländern nicht. Und wir haben uns gefragt, welche Industrie solche Mengen erzeugt. Das ist der Bergbau, der zwischen dreissig und sechzig Milliarden Tonnen Rückstände pro Jahr produziert.»

Die Forscher untersuchten einen Pionierfall, das Quartz-Projekt des brasilianischen Bergbaugiganten Vale.

  • Es war das Unternehmen Vale, das die Minen der Katastrophen Fundao im Jahr 2015 und Brumadinho im Jahr 2019 betrieb – mit Milliarden Dollar Entschädigung.
  • Der Anreiz, mit den Rückständen besser umzugehen, ist also klar. Zumal die Regierung von Minas Gerais darauf reagiert hat, indem sie die Gesetze zur Sicherheit der Abraumhalden verschärfte.

Im Rahmen des 2013 begonnenen Quartz-Projekts arbeitet Vale daran, die Rückstände aus seiner Eisenerzmine Brucutu im brasilianischen Minas Gerais in Sand umzuwandeln.

  • Das aus dem Boden gewonnene Gestein ist reich an Silikat, was es zu einer perfekten Ressource macht, um Quarzsand herzustellen. Dieser ist in der Industrie am nützlichsten.
  • Der Sand wird aus zerkleinertem und zermahlenem Gestein in den verschiedenen Phasen des Erzabbauprozesses hergestellt, dann sortiert und durch verschiedene Verfahren getrennt.

Die Schweizer und australischen Forscher, die von Vale eine unabhängige Studie finanziert bekamen und 2021 Zugang zur Brucutu-Mine erhielten, wollten die Qualität des gewonnenen Sandes überprüfen. Pascal Peduzzi:

«Die Analyse des Sandes an der Universität von Queensland ergab, dass er erstens sauber ist und einen sehr geringen Schadstoffgehalt aufweist. Zweitens ist er sehr feinkörnig, lässt sich aber mit etwas dickeren Körnern zu hochwertigem Beton verarbeiten. Und drittens kann er zu Silikatsand verarbeitet werden, mit dem sich sogar Glas herstellen lässt.»

Sand für Beton wird vor Ort für etwa sechs US-Dollar gehandelt, während Sand für Glas 35 US-Dollar pro Tonne kostet. In jedem Fall ist der Weiterverkauf des Sandes an die umliegenden Industrien – typischerweise in einem Umkreis von fünfzig Kilometern – eine rentable wirtschaftliche Möglichkeit.

Pascal Peduzzi:

«Eine Ressource, die wir bisher nicht genutzt haben, wird plötzlich zu einer Einnahmequelle. Vale hat seine Arbeitsweise auf Koproduktion umgestellt: Neben Eisenerz haben sie bereits eine Million Tonnen Erz-Sand verkauft. Die Herausforderung für sie besteht nun darin, zu sehen, ob sie durch weniger feines Mahlen, wodurch weniger Erz gewonnen wird, mehr Sand verkaufen können.»

Das bedeutet, dass eine Tonne Erz-Sand, die in Brucutu hergestellt wird, weniger als ein Gramm CO₂ verursacht. Das sind fünf- bis zehnmal weniger Treibhausgasemissionen als Sand, der aus dem Boden oder aus Flussbetten gewonnen wird.

Von dieser Methode der lokalen Herstellung von «Erz-Sand» könnten auch andere Länder profitieren – darunter China, Indien, Mexiko, Indonesien, Südafrika, die Türkei oder die USA.

  • Dutzende von Ländern könnten ihren Sandbedarf durch den Bergbau decken, und zwar oft in beträchtlichem Umfang: Südafrika um 45 Prozent, China um 24 Prozent – ein grosser Sandverbraucher.
  • Wenn man davon ausgeht, dass der Transport per Lastwagen oder Zug in einem Umkreis von hundert Kilometern um die Minenstandorte erfolgt, könnte die Hälfte des weltweiten Bedarfs durch «Erz-Sand» gedeckt werden.

Das alles erfordert Studien, die auf jeden Standort zugeschnitten sind. Aber die Industrie hat ein grosses Interesse daran, mitzuziehen, meint Pascal Peduzzi. Wie er sagt, haben ihn bereits die Verantwortlichen von zwei Minen in Indien und Europa zwecks Gutachten kontaktiert:

«Jedes Mal, wenn man die Nutzung einer Mine mit einem Material in Betracht ziehen will, muss man eine sehr gründliche chemische Analyse durchführen. Eisen ist nicht giftig, deshalb ist es interessant. Übrigens wird Eisen für Stahlbeton verwendet. Interessant wäre es, wenn man dies in anderen Abbaugebieten sehen würde. An manchen Orten wird es wegen des Bleis, des Arsens oder der radioaktiven Elemente in den Rückständen nicht möglich sein. Aber in den meisten Fällen, so meine Intuition, wird es klappen.»

Die potenziellen Absatzmärkte liegen auf der Hand: Beton und Glas für den Bau, aber auch Strassenaufschüttungen und die Herstellung von Möbeln aus recyceltem Beton. Eine Kreislaufwirtschaft, die nur darauf wartet, den Kreis zu schliessen.

Ein Run auf das graue Gold? Es ist nur ein kleiner Schritt, bis die Industrie auf den Zug aufspringen wird. Wenn die Bergbauunternehmen auf einem Haufen grauen Gold sitzen, worauf warten sie dann, um zu handeln? «Die Macht der Gewohnheit und die gesetzlichen Standards», analysiert Pascal Peduzzi, der an die ökologischen Herausforderungen erinnert:

«Der Abbau von Sand hat bereits in fast allen grossen Flüssen Asiens und in Afrika zu Problemen geführt. Mit dem Wachstum der Städte und der Landflucht wird es in allen Ländern der Welt zu einer verschärften Nachfrage nach Sand kommen. Und wenn diese nicht antizipiert wird, droht eine Zunahme des wilden Abbaus an Stränden und in Flüssen, was zu einer Zerstörung der Ökosysteme führt.»

Die Bergbauabfälle «werden bislang nur sehr wenig verwertet», bestätigt der französische Forscher Yannick Menard. «Aber es ist möglich, dass es in den nächsten zehn Jahren zu einem Goldrausch bei Bergbauabfällen kommt.

«Die Industrie ist zunehmend an der Verwertung von Bergbauabfällen interessiert», fährt er fort. «Ich denke, sie sind von dieser Notwendigkeit überzeugt, sowohl aus ökologischer Sicht als auch im Hinblick auf die Versorgung mit mineralischen Rohstoffen. Es geht darum, langfristige Belastungen der Umwelt und deren Auswirkungen – finanziell und auch, was das Image betrifft – zu vermeiden. Wenn wir diese Quelle der Umweltverschmutzung ein für alle Mal beseitigen und sie darüber hinaus zu einem Vorkommen an Wertstoffen machen können, ist das ein Gewinn für uns.»

Der Bergbau ist in der Schweiz eher unbedeutend. Aber in der Schweiz befindet sich auch der Hauptsitz eines der weltweit größten Unternehmen der Branche: Glencore, das sich auf den Abbau und Handel mit Rohstoffen spezialisiert hat. Auf Anfrage von Heidi.news konnte das Unternehmen (135 000 Beschäftigte, 200 Milliarden Umsatz) keine nützlichen Rückmeldungen geben:

«Wir haben von dieser Studie nichts gehört und sind nicht in der Lage, eine Stellungnahme zu ihrer kommerziellen oder wirtschaftlichen Tragfähigkeit abzugeben», heisst es.

Bis das Modell der Forschenden auch hierzulande Fuss fasst, dürfte es also noch eine Weile dauern.

Dieser Text erschien zuerst bei Heidi.news. Er wurde von unserer Autorin Ramona Nock aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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