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Unsere Gesellschaft hat einen Exzellenzfimmel. Gut ist schon lange nicht mehr gut genug. Diese Tendenz ist im Akademischen besonders ausgeprägt. Exzellenzförderung, Exzellenzstrategien, Exzellenzboni: Wer oder was nicht exzellent ist, ist nicht der Rede wert. Unbeachtlich, unerheblich und irgendwie peinlich. Per definitionem betrifft das die grosse Mehrheit. Aber ist doch super, könnte man meinen. Wir brauchen doch den Wettbewerb, und je mehr wir aussieben, desto mehr Qualität bleibt übrig. Wir wollen die Top Shots, die Top Talents oder im Minimum die High Potentials. Wo kämen wir hin, wenn wir Mittelmass fördern würden?

Nikola Biller-Andorno

Nikola Biller-Andorno ist Professorin für Biomedizinische Ethik und Vizedekanin Innovation und Digitalisierung an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich.

Der Elefant im Raum ist die Frage, wer Exzellenz definiert und im konkreten Fall feststellt. Eine Aufgabe für die Exzellenten, sollte man meinen. Und genau da liegt das Problem. Denn gerade diejenigen von uns, die «es geschafft haben», neigen dazu, diejenigen für besonders gut zu halten, die ihnen selbst ähnlich sind. Damit besteht aber Gefahr, dass bestehende Standards perpetuiert werden, auch wenn neue Herausforderungen ein anderes Profil der Auszuwählenden erfordern. Exzellenz trägt so zur Homogenisierung des Denkens bei.

Einheitsbrei verhindern

Das ist allerdings das Letzte, was wir brauchen können, besonders im akademischen Bereich. Immer mehr vom Gleichen führt geradewegs ins Mittelmass. Es braucht Leute mit ungewöhnlichen Ideen und dem Mut, diese zu verfolgen; es braucht Menschen, die Erfahrungen aus anderen Disziplinen, Berufen und Lebensbereichen in kreativer Weise fruchtbar machen. Denn Exzellenz ist kein Selbstzweck, sondern an eine als wissenschaftlich, künstlerisch oder gesellschaftlich wertvolle Leistung gekoppelt – ein bemerkenswertes Kunstwerk, eine neuartige Methodik, eine findige technische Lösung, eine treffende Analyse können das Ergebnis exzellenter Leistungen sein. Hierfür ist es in der Regel erforderlich, sich über den Status quo, über das bekannte Terrain hinauszuwagen.

Innovationen sind nicht planbar, doch man kann sie durch geeignete Rahmenbedingungen ermöglichen und ihre Wahrscheinlichkeit erhöhen. Es mangelt nicht an Ratgebern und Leadership-Kursen, die aufzeigen, wie eine Innovationskultur in Unternehmen oder anderen Settings gefördert werden kann. Eine Einsicht, die sich inzwischen herumgesprochen hat: Diversität ist keine Bedrohung für Exzellenz, im Gegenteil. Wie die Verhaltensökonomin Iris Bohnet und viele andere in den letzten Jahren aufgezeigt haben: Diversität, zum Beispiel von Verwaltungsräten, führt zu einer besseren Performance.

Diversität bitte!

Es scheint plausibel, dass besonders bei komplexen Herausforderungen eine Pluralität von Perspektiven von Vorteil ist. Das Stichwort, dass sich heutzutage viele Firmen und Universitäten auf die Fahnen schreiben, lautet «Excellence through Diversity» – etwa die EPFL. So hat sich auch der Schweizerische Nationalfonds in seinem aktuellen Mehrjahresprogramm als Priorität vorgenommen, Exzellenz durch Vielfalt auszubauen. Manche Einrichtungen gehen noch einen Schritt weiter und sprechen von «Inclusive Excellence» als einem Ansatz, der bewusst über Nichtdiskriminierung hinausgeht und das reiche Spektrum unterschiedlicher Formen von Exzellenz fördern möchte.

Damit sollte es eigentlich keinen Zielkonflikt zwischen Exzellenz und Diversität geben, zum Beispiel wenn es darum geht, eine Person zu rekrutieren, an deren Leistungsfähigkeit und Beitrag hohe Erwartungen geknüpft werden. Das Erkennen von Chancen stellt allerdings hohe Anforderungen an das evaluierende Gremium: Mit einer simplen Bewertung von Kandidierenden anhand einmal aufgestellter Kriterien –wie etwa die an der Universität gängigen Zitationszahlen oder die Höhe der eingeworbenen Drittmittel – ist es nicht getan. Gefragt sind die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Neugier hinsichtlich der eigenen impliziten Biases, die jeder von uns mitbringt und die aber einer fairen, offenen und zielführenden Evaluation im Weg stehen können.

Diversität zu fördern, ist schwieriger als gedacht

Allerdings kann man Diversität nicht auf einmal herzaubern. Gerade Bereiche, die bislang sehr streng normiert waren, werden einige Zeit brauchen, um ihr Feld an Bewerbenden zu diversifizieren. Es wird auch eine Herausforderung sein, diejenigen zu gewinnen, die zwar hervorragend sind, aber eher zum Selbstzweifel neigen. Dies trifft auf manche Gruppen in besonderem Masse zu. So hat eine weltweit im Rahmen der PISA-Befragung durchgeführte Studie mit 500 000 15-jährigen Schülerinnen und Schülern ergeben, dass 61 Prozent der befragten Mädchen, aber nur 47 Prozent der Jungen folgender Aussage zustimmten: «Wenn ich versage, habe ich Angst, dass ich vielleicht nicht genug Talent habe.» Interessanterweise waren die Geschlechterunterschiede umso grösser, je leistungsfähiger die Teilnehmenden waren. Zugleich arbeiteten Mädchen weniger gerne in Situationen, in denen es um Wettbewerb mit anderen geht. Mit einem solchen Mindset haben es Mädchen schwerer, in einem kompetitiven, an eng gesteckten Exzellenzstandards orientierten Umfeld zu bestehen.

Exzellenz durch Diversität ist also harte Arbeit. Implizite Biases müssen in den Blick genommen, wenig repräsentierte Gruppen aktiv ermutigt und umworben werden.

Doch wer wirklich an der Spitze sein will, darf den Aufwand nicht scheuen.

Klartext

Sechs hochkarätige Forscherinnen und Forscher schreiben im «Klartext» pointiert und faktenbasiert ihre Meinung zu einem selbst gewählten wissenschaftlichen Thema. Das wissenschaftliche Sextett setzt sich zusammen aus Dominique de Quervain, Neurowissenschaftler (Uni Basel), Sophie Mützel, Soziologin (Uni Luzern), Martin Röösli, Umweltepidemiologe (Swiss TPH), Monika Bütler, Ökonomin (Uni St. Gallen), Klimaforscher Reto Knutti (ETH Zürich) sowie Nikola Biller-Andorno, Professorin für Biomedizinische Ethik (Universität Zürich).
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