Das musst du wissen

  • Menschen mit bestimmten Eigenschaften sind eher dazu prädestiniert, auf dem Chefsessel Platz zu nehmen als andere.
  • Diese Merkmale müssen aber nicht zwingend schon alle von Anfang an vorhanden sein.
  • Und: Fünf Jahre nach der Beförderung sind bereits nicht mehr alle positiven Charakterzüge gleich ausgeprägt.
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Liebäugelst du mit einer Chefposition? Und fragst dich: Was muss ich dafür eigentlich mitbringen? Sicherlich die fachlichen Kompetenzen – doch darüber hinaus spielt auch deine Persönlichkeit eine wichtige Rolle. Dazu eine beruhigende Nachricht vorweg: Zum Chefsein ist niemand geboren. Wer Ambitionen hegt, ein Team zu leiten, wächst charakterlich Stück für Stück in die neue Rolle hinein – und zwar schon lange, bevor er oder sie auf dem Chefsessel Platz nimmt. Das haben zwei Psychologinnen aus Potsdam und Berlin in einer kürzlich erschienen Studie herausgefunden und im Fachmagazin Journal of Personality publiziert.

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Studie: Longitudinal bidirectional associations between personality and becoming a leaderKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie stützt sich auf einen grossen Datensatz, der mehrere Jahrzehnte umfasst, was sie aussagekräftig macht. Dennoch gibt es einige Einschränkungen: So wurde die Gruppe der Befragten regelmässig mit neuen Teilnehmern besetzt, was bedeutet, dass nur einige Personen an der gesamten, langfristigen Studie (seit 1984) teilgenommen haben. Weiter wurden nicht alle Persönlichkeitsmerkmale im Jahresrhythmus erfasst. Auch könnten sich Führungskräfte und Nicht-Führungskräfte hinsichtlich soziodemografischer, beruflicher und anderer individueller Faktoren voneinander unterscheiden. Nicht zuletzt wurde die Persönlichkeit anhand von Selbstauskünften beurteilt. Diese subjektiven Wahrnehmungen spiegeln jedoch nicht unbedingt ihr objektives Verhalten bei der Arbeit wider, und andere Beurteilungsmethoden könnten zu anderen Ergebnissen führen.Mehr Infos zu dieser Studie...

In ihrer Untersuchung werteten die Forscherinnen Daten von rund 2700 angehenden Führungskräften und über 33 000 Berufstätigen ohne Führungsposition in Deutschland aus. Sie wollten wissen: Ab wann zeigen sich charakterliche Unterschiede? Wie verändert sich die Persönlichkeit eines Menschen, der eine Chefposition anstrebt, und wie sieht dies ein paar Jahre später aus, wenn jemand in diese Rolle hineingewachsen ist? Dazu beantworteten die Teilnehmenden Fragen, die Rückschlüsse auf ihren Charakter zuliessen. Im Fokus standen die zentralen Charakterzüge, die eine Persönlichkeit ausmachen – in der Psychologie spricht man von den sogenannten «Big Five»: Offenheit für Erfahrungen, Extraversion, emotionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Diese und weitere Merkmale beurteilten die Forscherinnen fünf Jahre vor bis fünf Jahre nach der Übernahme einer Führungsposition. Dasselbe taten sie bei Angestellten, die keine leitende Funktion hatten.

Extrovertiert und gewissenhaft

Die Ergebnisse: Wer ein Team leiten oder eine Firma führen will, unterscheidet sich deutlich von Berufstätigen, die später nicht in der Chefetage anzutreffen sind. Und dies zeigt sich schon Jahre vor dem Karrieresprung. Konkret werden Personen, die das Chefbüro anpeilen extrovertierter, offener, emotional stabiler und, gewissenhafter. Auch sind sie eher bereit, Risiken einzugehen als Menschen, die keinerlei Ambitionen auf einen Chefposten haben. Ausserdem glauben angehende Führungskräfte stärker daran, das eigene Leben beeinflussen zu können und schenken anderen mehr Vertrauen. Für die Forscherinnen sind dies allesamt Merkmale, die mit Erfolg zusammenhängen. Sie schliessen daraus: Mit der passenden Persönlichkeit ist die Übernahme einer Führungsposition wahrscheinlicher.

Doch nicht alle diese Eigenschaften sind später in der Chefetage auch von langer Dauer. Besonders ausgeprägt zeigt sich dies dabei, wie extrovertiert jemand ist. Dieser Charakterzug geht bei neu ernannten Führungskräften offenbar kurz darauf wieder zurück, während sie ganz allmählich auch weniger risikofreudig werden. Auch zeigen sich Chefinnen und Direktoren schrittweise weniger gewissenhaft. Die Erklärung dafür? Mit zunehmender Erfahrung in der neuen Rolle könnten sie eine höhere Fehlertoleranz entwickeln und dadurch gelassener und weniger pflichtbewusst werden, vermuten die Studienautorinnen. Und wegen der hohen Arbeitsbelastung und der grösseren Verantwortung müssen sich neue Führungskräfte vermehrt auf ihre Kernaufgaben im Büro konzentrieren und haben ergo weniger Zeit und Energie, um Kontakte zu Familie und Freunden zu knüpfen – ein Grund, warum sie weniger extrovertiert werden. Weniger risikobereit zeigen sie sich womöglich, weil ihr Fokus neu vor allem auf dem Erhalt ihrer Führungsrolle liegt, vermuten die Forscherinnen. Was hingegen zunimmt bei neu ernannten Chefinnen und Leitern ist das Selbstwertgefühl. Dies könnte auf Erfolge, Einkommen, Status und Prestige im Laufe der Zeit zurückzuführen sein.

Chefinnen müssen sich erst behaupten

Weiter wollten die Psychologinnen wissen: Gibt es bei diesen Entwicklungen Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Ja, so die Kurz-Antwort. So zeigt die Studie, dass weibliche Vorgesetzte nach Antritt ihrer neuen Stelle weniger umgänglich sind als Männer. Frauen müssten sich möglicherweise erst an ihre neue Rolle gewöhnen, schlussfolgern die Forscherinnen. Im Vergleich zu Männern neigen Frauen als Führungskräfte offenbar auch zu weniger Selbstvertrauen, und werden überdies als Chefinnen negativer wahrgenommen und bewertet als ihre männlichen Pendants. Und: Das mit dem extrovertiert sein in der Zeit vor dem Chefposten ist offenbar vor allem ein Männerding.

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Praxis? Hilfreich könnten sie in der langfristigen Karriereplanung sein, schreiben die Forscherinnen. So könnten Personalverantwortliche versuchen, diesen charakterlichen Veränderungsprozess von angehenden Führungskräften bewusst mitzugestalten – indem man die Personen in Projekte einbindet, die wichtige Eigenschaften für die Chefetage gezielt fördern. Oder dass ambitionierte Personen sich solche bewusst suchen. Damit das Chefsignet vor der Tür nicht nur ein Wunschtraum bleibt.

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