Das musst du wissen
- Zwei neue Studien untersuchen, wie das Huhn zum Haustier wurde, und wie es sich verbreitete.
- Sie zeigen, dass die bisherigen Annahmen wohl falsch waren: Das Huhn wurde später gezähmt als bisher angenommen.
- Eine besondere Bedeutung scheint dem Getreideanbau zuzukommen, der die Tiere aus dem Urwald lockte.
Sie liegen seit einigen Jahren voll im Trend: Hühner. In der Schweiz kräht und gackert es aus immer mehr Gärten, wie in verschiedenen Zeitungsartikeln zu lesen ist. Doch wie und wann kam das Huhn eigentlich von Asien nach Europa – und wie kam es zur engen Beziehung mit den Menschen? Gleich zwei neue Studien haben sich dieser Fragen angenommen – mit überraschenden Ergebnissen. So viel vorweg: Während der heutige Appetit auf Hühnerfleisch immer weiter wächst, landete das Federvieh früher keineswegs im Kochtopf und wurde sogar verehrt. Und: Das Huhn wurde viel später domestiziert und kam auch später nach Europa, als frühere Studien andeuteten.
Alles begann auf der südostasiatischen Halbinsel
Doch der Reihe nach: Die erste Studie untersuchte, wann und wie das Huhn überhaupt zum Menschen kam. Dafür haben die Archäologinnen und Paläogenetiker Hühnerskelette von mehr als 600 Fundorten aus fast neunzig Ländern neu beurteilt. Darüber hinaus schauten sie sich auch historische schriftliche und mündliche Aufzeichnungen über Hühner und die damaligen Gesellschaften an, um ein möglichst detailliertes Bild zu erhalten. Und dieses sieht etwas anders aus, als es frühere Studien zeichneten: So wurde das Huhn erst um 1500 vor Christus auf der südostasiatischen Halbinsel domestiziert. Bisher lagen die Schätzungen bei mehr als 10 000 Jahren.
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Studie: The biocultural origins and dispersal of domestic chickensKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie untersuchte Überreste, die in Datenbanken und Studien beschrieben wurden und haben diese überprüft und kritisch bewertet. Dabei haben sie ganz verschiedene Arten von Daten kombiniert: zoogeografische, morphologische, osteometrische, stratigrafische, kontextuelle, ikonografische und schriftliche Hinweise, was ihnen ein möglichst umfassendes Bild liefern sollte. Die Radiokarbon-Datierung, wie in der zweiten Studie, haben sie aber nicht benutzt, um das Alter direkt zu bestimmen. Das hier dargestellte Bild dürfte sich mit genaueren Methoden also nochmals etwas ändern.Mehr Infos zu dieser Studie...Was genau aber brachte Huhn und Mensch überhaupt zusammen? Auch dazu haben die Forschenden eine neue Theorie aufgestellt: Der Schlüssel sei der Anbau von Trockenreis und Hirse. Dieser soll die wilden Dschungelhühner – aus denen dann die Haushühner hervorgingen – in die Siedlungen gelockt haben. Denn so etwas leckeres fanden sie bei sich im Urwald wohl nicht. Auch der neue Lebensraum, der durch den Anbau von Getreide entstand, ein Mix aus kultivierten und brachliegenden Feldern, behagte den Tieren besser als das Bambusdickicht. So vermehrten sich die Vögel mehr und mehr und wurden schliesslich in die menschlichen Gemeinschaften integriert. Und von da an breiteten sie sich dann rasch nach Süden in das insulare Südostasien und nach Westen über Südasien und Mesopotamien nach Europa und Afrika aus.
Wie alt sind die Kochen wirklich?
Genau mit letzteren beiden Kontinenten beschäftigte sich auch die zweite Studie genauer. Dafür bestimmten sie das Alter von 23 Hühnerknochen mit der sogenannten Radiokarbon-Datierung (siehe Box). Auch diese Daten unterstreichen die jüngere Geschichte der Hühner als bisher vermutet: So flattern sie nicht bereits seit tausenden Jahren, sondern erst seit rund 800 vor Christus in Europa herum.
So bestimmt man das Alter von Knochen
Weiter interessierten sich die Forschenden dafür, wie sich die Beziehung zwischen Huhn und Mensch entwickelte. So nahmen sie verschiedene Skelette auch äusserlich genauer unter die Lupe. Keines zeigte Anzeichen von einer Schlachtung, und viele Tiere waren bereits einige Jahre alt. Immer wieder fanden sich die Überreste auch in gemeinsamen Gräbern mit Menschenknochen. Die Forschenden vermuten, dass die Neuankömmlinge zu dieser Anfangszeit zu selten und zu wichtig waren, um geschlachtet zu werden. Sie waren Exoten, die man sogar verehrte – das änderte sich erst während der Römerzeit. Seither sind sie aus dem Speiseplan vieler Menschen kaum mehr wegzudenken. Durch die steigenden Zahlen in privaten Gärten scheinen sie zumindest einen Teil ihres damaligen Zaubers aber wieder zurückgewonnen zu haben.