Das musst du wissen

  • Am 4. Juli 2012 verkündete das Cern in Genf die Entdeckung des Higgs-Teilchens.
  • Dies war der erste Schritt, um besser zu verstehen, wie die Masse von Teilchen entsteht.
  • Forschende können das «Gottesteilchen» immer besser charakterisieren – viele Fragen bleiben aber noch offen.

Vor zehn Jahren war es soweit: Forschende des europäischen Kernforschungszentrums Cern in Genf entdeckten das «Gottesteilchen» – das Higgs-Boson. Seither gehört es zum Standardmodell der Teilchenphysik, das alle bekannten Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen aufzeigt und damit die Welt, wie wir sie kennen, beschreibt. Das Higgs-Teilchen hat damit zu tun, wie andere Teilchen – Elektronen, Up- und Down-Quarks sowie W- and Z-Bosonen – zu ihrer Masse kommen.

So kam das higgs-Magazin zu seinem Namen

Und wie kam es eigentlich dazu, das Higgs Namensvetter unseres Online-Magazins wurde? «Viele andere Medien-Formate sind nach berühmten Physikern benannt, zum Beispiel Einstein oder Galileo», sagt Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Das habe ihm und seinem Team gefallen – «doch wir wollten eine Person, die noch lebt». So fiel die Wahl auf den Briten Peter Higgs, einen theoretischen Physiker. Erst Ende Mai 2022 feierte der Nobelpreisträger seinen 93 Geburtstag.

Bereits vor über fünfzig Jahren haben der britische Physiker Peter Higgs, und unabhängig davon auch seine Kollegen François Englert und Robert Brout, die Existenz des Bosons und des dazugehörigen Higgs-Feldes vorausgesagt. Der Nachweis aber liess auf sich warten und wurde am 4. Juli 2012 entsprechend gefeiert – als Meilenstein in der Teilchenphysik. 2013 folgte dafür dann gar der Physik-Nobelpreis. Was ist heute, ein Jahrzehnt später von diesem Glanz geblieben? Wie hat das Teilchen die Physik oder auch die Welt um uns verändert?

Erstellung eines Higgs-Portraits

Einer, der damals an der Entdeckung beteiligt war, ist Michele Weber. Der Physiker ist Direktor des Laboratoriums für Hochenergiephysik an der Universität Bern und leitet die Berner Atlas-Gruppe – Atlas ist der grösste Teilchendetektor am Large Hadron Collider (LHC), dem wiederum leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt. Weber erläutert: «Das Higgs-Boson ist immer noch die bedeutendste Entdeckung der letzten zehn Jahre, oder auch der letzten zwanzig, oder mehr.» Denn dabei gehe es um ganz fundamentale Prozesse und Mechanismen der Physik und deren Erkenntnisse erweitere den Wissenshorizont dramatisch. So waren die letzten zehn Jahre denn auch davon geprägt, mehr über Higgs zu erfahren, über seine Eigenschaften und darüber, wie es mit anderen Teilchen interagiert.

«Die Welt ist zwar noch die gleiche, wir wissen nun aber sehr viel mehr über sie.»

Die hier erzielten Fortschritte sind beachtlich, wie zwei soeben erschienene Studien aufzeigen. Dennoch steckt die experimentelle Erforschung der Higgs-Sphäre erst in den Kinderschuhen. So möchten Forschende die bereits beobachteten Wechselwirkungen noch genauer beschreiben und auch neuen, bisher unentdeckten auf die Schliche kommen. «Bessere und präzisere Messungen um das Higgs ist eines der grössten Ziele geworden in der Teilchenphysik», sagt Michele Weber. Und zwar auch in der Planung neuer Beschleuniger, wie etwa dem Future Circular Collider (FCC), der dereinst am Cern im Einsatz sein soll.

Der Teilchendetektor des Teilchenbeschleunigers sieht aus wie eine zylinderförmige Industriemaschine, die 46 Meter lang ist und einen Durchmesser von 25 Metern hat.2014 CERN

Atlas ist der grösste Teilchendetektor am Large Hadron Collider (LHC) in Genf.

Ist da noch mehr?

Wieso genau solche präziseren Messungen wichtig sind, erläutert Weber an einem Beispiel: Besonders interessant sei die Wechselwirkung des Higgs-Bosons mit dem schwersten Teilchen, dem sogenannten Top-Quark, durch welche dieses Quark seine Masse erhält. «Je genauer wir das messen können, desto besser können wir abschätzen ob in unseren Berechnungen nicht doch noch etwas fehlt, also die nächste Erweiterung des Standardmodells» sagt der Physiker. Denn in Expertenkreisen ist die Meinung verbreitet, dass das Standardmodell in seiner jetzigen Form keine vollständige Beschreibung der Natur sein kann. Das heisst: Es könnte noch weitere, bisher unentdeckte Teilchen geben. Eine, die nach genau solchen sucht, ist die junge Physikerin Lea Halser, die gemeinsam mit Weber an der Universität Bern forscht. Als sie ihr Studium begann, gab es das Higgs-Boson bereits – bei dieser letzten grossen Entdeckung war sie also nicht dabei. Ihrem Optimismus tut dies aber keinen Abbruch: «Wir arbeiten am nächsten Durchbruch und hoffen, dass es, genau wie beim Higgs, auch klappt.»

Doch nicht nur neue Teilchen gilt es aufzuspüren, auch sonst gebe es noch offene Fragen, sagt Michele Weber, etwa wieso das Higgs-Boson selbst eigentlich so leicht und nicht viel schwerer sei. Darüber hinaus könnte das Higgs-Boson ein Fenster zur Rätsels Lösung für mehrere ungeklärte Fragen in der Teilchenphysik sein, die das Standardmodell nicht erklären kann. Zum Beispiel, was dunkle Materie oder was der Ursprung der frühen Inflation, also der extrem schnellen Ausdehnung des Universums ist.

Darum bedeute es heute noch extrem viel, dass sie das Higgs 2012 gefunden haben, sagt Weber. «Die Welt ist zwar noch die gleiche, wir wissen nun aber sehr viel mehr über sie.» Und der Physiker fügt an: Die Entdeckung selber sei ein riesiges Event und eine Freude gewesen, doch es sei die langfristige Bedeutung, die diesem Event seinen Glanz gebe. Und diese habe durch die vielen weiteren Messungen und Erkenntnisse der letzten Jahre eher zu- als abgenommen. Damit war die Entdeckung nicht das Ende, sondern vielmehr der Beginn von etwas Grossem.

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