Das musst du wissen

  • Eine Podiumsdiskussion sollte klären, wie Politik und Wissenschaft ihr Verhältnis professionalisieren können.
  • Die Bundesbehörden müssen derzeit viel Verantwortung schultern, Wissenschaftsnetzwerke könnten für Entlastung sorgen.
  • Wissenschaft muss stärker und konsequenter eingebunden werden, wenn Gesetze erarbeitet werden.
 

«Das Verhältnis von Politik und Wissenschaft in der Schweiz war lange Zeit wie die Nachbarschaft in einem Hochhaus in einer anonymen Grossstadt: Vielleicht kennt man sich aus der Tiefgarage, sonst ignoriert man sich freundlich, aber uninteressiert.» Diese Bestandsaufnahme von  Walter Thurnherr, Bundeskanzler und selbst studierter Physiker, zeichnet ein zuweilen unterkühltes Bild vom Verhältnis von Politik und Wissenschaft: «In privater Sache befänden sich die beiden Partnerinnen längst in Therapiegesprächen.» Diese Paartherapie fand jüngst in Form einer Podiumsdiskussion der Akademie der Naturwissenschaften statt, die Stimmen aus Wissenschaft, Parlament und Behörden zusammenbringen sollte.

Denn das wechselseitige Verhältnis von Politik und Wissenschaft steht aus mehreren Gründen stärker im Fokus als bislang: Einerseits hat der Forschungsplatz Schweiz mit dem Scheitern des EU-Rahmenabkommens zu kämpfen. Und andererseits brachte die Pandemie der Gesellschaft schlagartig ein Bedürfnis nach Fakten und Wissenschaft. Doch je länger die Krise ging, desto stärker geriet die Wissenschaft unter Beschuss. «Mit welcher Heftigkeit über die Arbeit der Covid Task Force diskutiert wurde, das war neu», sagt Thurnherr.

Dass die Task Force mit fortlaufender Krise mehr kritisiert und angefeindet wurde, dafür sieht Thurnherr mehrere Gründe: Die Wissenschaft fand keinen Konsens in der Frage, wie genau die Beratung der Politik überhaupt aussehen soll: Reichen Fakten – «Urin ist ein guter Leiter» – oder braucht es Empfehlungen – «Pinkeln Sie nicht auf Starkstromkabel»? «Vonseiten der Politik war vielen allerdings auch unklar, dass die Wissenschaft nicht wie die Bundesregierung mit einer Stimme sprechen muss, sondern das neue Erkenntnisse kontrovers diskutiert werden», sagt Thurnherr. Und auch der Unterschied zwischen Szenarien und Prognosen sei nicht allen geläufig. Und schliesslich komme noch ein Fünkchen Eitelkeit auf beiden Seiten hinzu: Einigen Forschende gefiel ihre plötzliche Prominenz – womit sich hingegen manche Politikverantwortliche schlecht abfinden konnten.

Letztlich legte die Pandemie aber auch strukturelle Probleme der wissenschaftlichen Politikberatung offen. «Insgesamt sind die gesetzlichen Voraussetzungen in der Schweiz sehr unübersichtlich und sollten überprüft werden», sagt Alexandra Hofmänner. Die Wissenschaftsforscherin von der Universität Basel hat die Rolle der Wissenschaft bei den Entscheidungen zur Bewältigung der Covid-Pandemie untersucht. In ihrer Studie verweist sie beispielsweise auf das Bundesgesetz über die Förderung der Forschung und Innovation, das die Verantwortung für die Politikberatung grösstenteils der öffentlichen Verwaltung zugewiesen habe. Gerade die Pandemie habe ein Schlaglicht darauf geworfen, dass diese Konzentration Nachteile hat – wie sich in der Überlastung des Bundesamts für Gesundheit und Covid Task Force zeigte.

So herrschte auf dem Podium Einigkeit über den Umstand, dass die Effizienz der bisherigen Politikberatungsinstrumente überprüft werden muss. Besonders die Ausserparlamentarischen Kommissionen wurden hinterfragt. Die Verwaltung schätzt zwar deren Expertise. Aber gerade in Krisensituationen ist deren Auftrag unklar. So gibt es zwar die Kommission zur Pandemievorbereitung und -bewältigung, diese kam aber im Krisenfall 2020 aber gar nicht zum Einsatz – stattdessen wurde die Science Task Force gegründet. Dieser fehlte jedoch die Rechtsgrundlage, welche die Rahmenbedingungen für Kommunikation mit Behörden und der Öffentlichkeit hätte schaffen können.

«Wir müssen prüfen, wie wir die Kompetenz der Wissenschaft anders abholen können», sagte dann auch Bundeskanzler Walter Thurnherr. Was also könnte die Alternative sein? Thurnherr denkt an themenspezifische Netzwerke von Forschenden, die vom Bund ein Mandat erhalten und im Krisenfall sofort mobilisiert werden könnten. Der Zuger FDP-Ständerat Matthias Michel erwähnt in diesem Zusammenhang das Netzwerk Future, dem er auch selbst angehört. Dieses erachtet er als eine gute, wenn auch noch zu unbekannte wissenschaftliche Ansprechpartnerin für die Politik. Er findet, dass eine gebündelte Anlaufstelle für die Politik sinnvoll wäre: «Sonst ist in Anbetracht der vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse die Gefahr gross, dass man sich genau die Information rauspickt, die zur eigenen Agenda passt.» Er wünscht sich feste Formate zu Beginn der Sessionen, wie es diese bereits im Schweizerhof mit den Wirtschaftsverbänden gibt. Walter Thurnherr denkt an regelmässigere Besuche der ETH-Elite in Bundesbern.

«Netzwerke alleine reichen nicht», mahnte dann allerdings auch Klimaforscher Reto Knutti von der ETH Zürich an. Er betonte, dass die Politikberatung nicht in erster Linie Aufgabe der Politik sei und die Übersetzungsleistung von wissenschaftlichen Erkenntnissen Forschende sehr viel Zeit koste. Viel wichtiger sei also der Konsens, was genau der Auftrag dieser Netzwerke sein sollte: «Es braucht Leute, die schwerpunktmässig in der Politikberatung arbeiten», meint Knutti. Das Stichwort «Professionalisierung» fällt in diesem Zusammenhang häufig. Darauf laufen auch die Handlungsoptionen hinaus, welche die Wissenschaftsforscherin Hofmänner aus ihrer Analyse herleitet, insbesondere die Einrichtung eines ständigen nationalen Beirats zur Wissenschaftspolitik.

Denn: Wissenschaft muss konsequenter in den «Policy Cycle» von Gesetzgebungen und -anpassungen eingebaut werden. «Das alte Expertenmodell hat ausgedient», sagte auch Marcel Tanner von den Akademien der Wissenschaften deutlich. «Es reicht nicht, einen Bericht zu erstellen, dessen Empfehlungen sich dann nur teilweise umsetzen lassen. Forschende müssen kontinuierlich beteiligt sein an der Politik.» Gerade der «iterative Prozess» erweise sich als besonders fruchtbar, dass Wissenschaft also konstant am Entwickeln, stetigen Weiterentwickeln und Überarbeiten von politischen Entscheidungen beteiligt sind. Gerade der regelmässige Austausch könne fruchtbar sein. Welche Modelle in Zukunft diesen Austausch ermöglichen werden, ist noch nicht klar. Doch feststeht: Die Erfahrungen von Covid werden zu einem Neudenken der wissenschaftlichen Politikberatung führen.

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