Das musst du wissen

  • Im Botanischen Garten in Bern haben Forschende eine Blumenuhr angelegt.
  • Die Idee geht auf den schwedischen Botaniker Carl von Linné zurück.
  • Dafür, dass Blumen ihre Blüten zur immer gleich Zeit öffnen und schliessen, sorgt ihre innere Uhr.
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Es ist kurz nach Mittag. Die Sonne steht hell am wolkenlosen Himmel. Perfekte Bedingungen für Enzian, Mittagsblume, Dolden-Milchstern und Wiesen-Bocksbart, die Mitte Mai im Botanischen Garten der Universität Bern blühen. Das Besondere an diesen Pflanzen ist, dass sie ihre Blüten gezielt dann öffnen, wenn die Wahrscheinlichkeit bestäubt zu werden am höchsten ist. Also genau jetzt, wo es sonnig und trocken ist. Wenn hingegen Nacht ist oder es regnet und deswegen keine Insekten herumschwirren, schliessen sie die Blüten wieder, oder öffnen sie erst gar nicht. So schützen sie ihre Samen, Pollen und den Nektar vor Frost und davor, verdünnt oder weggewaschen zu werden.

Längst nicht alle Pflanzen machen das so, viele blühen einfach so lange, bis sie verblüht sind. Denn das tägliche Öffnen und Schliessen zu den immer gleichen Tageszeiten kostet die Pflanzen viel Energie. «Es gibt rund 350 000 Pflanzenarten, bei rund 180 haben wir in der Literatur Informationen zu Blütenbewegungen gefunden», erzählt Katja Rembold, Pflanzenökologin am Botanischen Garten. Viele dieser Arten kannte bereits der schwedische Botaniker Carl von Linné (1707–1778). 1751 hat er eine Liste von Pflanzen in seinem Werk «Philosophia Botanica» veröffentlicht, mit denen er eine Blumenuhr entwarf. Verwirklicht habe er sie aber nie, sagt Katja Rembold – was er damit wollte, ist hingegen klar dokumentiert: Er sammelte Pflanzen, die zu verschiedenen Zeiten ihre Blüten öffnen oder schliessen. So konnte der Botaniker verlässlich die Uhrzeit ablesen. «Es heisst, das Linnés Blumenuhr auf fünf Minuten genau gewesen sein soll», sagt Rembold, «aber das halte ich für ein Gerücht.» Auch ihr Kollege Sylvain Aubry, Forscher am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie der Universität Zürich, pflichtet dem bei.

Die beiden müssen es wissen, denn sie haben selber eine Blumenuhr gebaut. Immer wieder habe er während seiner Zeit als Postdoktorand in Grossbritannien davon gehört, erzählt Aubry, und sich gefragt, ob das denn überhaupt möglich sei. So entstand die Idee, es wirklich einmal auszuprobieren. Aus ihrer Liste an 180 Arten, bei denen Blütenbewegungen beschrieben sind, wählten sie 56 aus, die sie vielversprechend fanden. Dann begannen sie zu experimentieren: Denn oftmals waren keine genauen Blühzeiten angegeben, oder verschiedene Quellen widersprachen sich. Zudem musste die Blumenuhr auch auf das Mikroklima in Bern angestimmt sein, da Tageslänge, Temperatur oder auch mechanische Faktoren wie Regen den Tageszyklus der Blüten beeinflussen können. Bestanden haben den Test der Forschenden am Ende 23 Arten.

Jeweils acht bis zehn dieser Arten sind aktuell zusammen als Blumenuhr im Botanischen Garten zu sehen. Den ganzen Sommer über wechseln sie, weil kaum eine Art über die ganze Zeit hinweg blüht. Doch wie genau ist die Blumenuhr nun tatsächlich? «Man kann Tag und Nacht und auch Vormittag und Nachmittag erkennen», sagt Katja Rembold. Alles, was darüber hinausgehe, sei schwierig. Denn was es nicht gebe, sind Pflanzen, die nur eine Stunde am Tag blühen, es seien immer Zeiträume. Und so sind auch die Beete angelegt: Der Enzian etwa blüht von neun Uhr morgens bis sieben Uhr abends, die Acker-Lichtnelke von fünf Uhr abends bis zehn Uhr morgens – also vor allem in der Nacht. Und an diese Zeitfenster halten sich die Pflanzen, wenn das Wetter mitspielt, äusserst genau.

Bogenförmige BlumenbeeteFelicitas Erzinger

Die Blumenuhr zeigt Tageszeiten an.

Doch wie genau wissen die Pflanzen, wann es Zeit ist, auf- oder zuzugehen? Taktgeberin ist ihre innere Uhr. Diese sogenannte zirkadiane Uhr steuert den 24-stündigen Tag-Nacht-Rhythmus. Reguliert wird das ganze über Proteine, genauer Eiweisse, die wiederum durch Umweltfaktoren, zum Beispiel die Wellenlänge des Lichts, synchronisiert werden. So geht die Menge spezifischer Proteine im Verlaufe des Tages hoch und wieder runter und aktiviert dabei verschiedene Funktionen in den Zellen. Das Öffnen und Schliessen der Blüten ist nur eine davon. Die innere Uhr gibt auch das Signal, um Duftstoffe und Nektar zu produzieren – auch das, um die Befruchtung zu optimieren. Darüber hinaus sind auch physiologische Prozesse, wie das Wachstum der Pflanzen oder die Fotosynthese, über das «Uhrwerk» getaktet.

Dieser Rhythmus erlaubt es den Pflanzen also, wechselnde Bedingungen – hell, dunkel, warm, kalt – vorherzusehen und sich darauf vorzubereiten. Die Uhr tickt sogar noch einige Tage weiter, wenn die Pflanze ins Dunkle gestellt wird. Doch wenn nach längerer Zeit kein Lichtreiz mehr kommt, hält sie an. Und was passiert, wenn man diese Pflanzen danach einem anderen Tag-Nacht-Rhythmus aussetzt, sie zum Beispiel von der Südhalbkugel auf die Nordhalbkugel bringt? «Bezogen auf die Blütenbewegungen gibt es solche Arten, die sich neuen Zeiten anpassen, aber auch solche, die das nicht können», weiss Sylvain Aubry. Es hänge davon ab, was genau die Bewegung triggere, ein externer Faktor wie Sonnenschein oder Temperatur, oder ein eingebauter, vorprogrammierter. Ausser bei einigen Modellorganismen, die im Labor sehr genau untersucht wurden, wisse man das aber bei den meisten Pflanzen nicht so genau. Vor allem, wenn es um die gesamte innere Uhr gehe, nicht nur um die Blütenbewegungen. «Generell kann man aber sagen, dass eine gut mit der Umwelt synchronisierte Uhr die Fitness der Pflanzen erhöht», sagt Aubry. Sie können dann mehr Kohlenstoff binden und wachsen schneller.

Gerade in der Landwirtschaft sei das von Bedeutung, denn rund laufende Pflanzen geben höhere Erträge, sagt Aubry. Darum versuchen Züchter, die innere Uhr auf andere Klimazonen anzupassen. Aubry selbst steht dem etwas skeptisch gegenüber: «Für gewisse Arten könnte das gut sein, aber man muss aufpassen, dass man nicht zu viel schraubt», sagt er. Denn auch das Klima bewege sich, wobei die Klimaerwärmung viel zu schnell sei für die Züchter. Und für seine Blumenuhr? Der Pflanzenphysiologe überlegt, und sagt dann schmunzelnd: «Wir haben die über 250-jährige Liste von Linné etwas angepasst, aber nicht sehr stark.» Dass man aber in weiteren 250 Jahren noch die gleiche Liste wie heute verwenden könne, bezweifelt er.

Die Blumenuhr ist noch bis am 2. Oktober 2022 im Botanischen Garten der Universität Bern zu sehen

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