Das musst du wissen

  • Wer eine neue Sprache lernen will, setzt am besten auf intensive Lernblöcke – idealerweise im jeweiligen Land.
  • Die beiden Hauptpfeiler beim Sprachenlernen sind Input – etwa Filme in der Zielsprache – und Interaktion.
  • Beruhigend: Einmal gelernt, sind Sprachkenntnisse nie ganz verloren.
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Mit den ersten Hitzetagen und Badi-Besuchen kommt die Lust auf die Sommerferien. Hast auch du bald ein paar Wochen frei und möchtest wieder mal verreisen? Ein fernes Land entdecken, in eine neue Kultur eintauchen? Und dabei – am liebsten spielend – eine fremde Sprache lernen? Wie wäre es mit finnisch, portugiesisch oder griechisch? Oder ganz klassisch: Un po’ italianità?

Simone PfenningerAndreas Kolarik

Simone Pfenninger ist Professorin für Zweitspracherwerb und Psycholinguistik im Fachbereich Anglistik und Amerikanistik an der Universität Salzburg in Österreich.

Bevor du jetzt nach Ausreden suchst wie «dafür bin ich zu alt oder zu wenig begabt», lass dir sagen: Beides ist falsch. Denn zum Sprachenlernen kursieren in der Bevölkerung sehr viele Halbwahrheiten. Der gängigste Irrglaube: Nur in jungen Jahren lernt man zügig eine neue Sprache. «Es gibt kein optimales Alter, um sich eine Zweitsprache anzueignen», bekräftigt die Anglistin und Psycholinguistin Simone Pfenninger, die an den Universitäten Salzburg und Zürich doziert und zum Thema Zweitspracherwerb forscht. Entsprechend sei ein fortgeschrittenes Alter kein Hindernis, um eine neue Sprache zu lernen. Ebenso wenig gibt es eine fixe Altersgrenze, ab der wir uns schwer damit tun, sprachlich zu neuen Ufern aufzubrechen. Zwar gibt es Faktoren, die ältere Menschen ein wenig einschränken: Zum Beispiel geht unser Hörvermögen bei über der Hälfte aller Personen von Mitte vierzig bis neunzig zurück. Und das Hörvermögen ist für das Sprachenlernen ein wichtiger Schlüssel. Dennoch lassen sich solche Alterungseffekte laut der Sprachexpertin Simone Pfenninger gut kompensieren – zum Beispiel mit der Motivation.

Es braucht einen Anreiz

Damit wären wir schon beim ersten Tipp. Wichtig für gute Erfolgschancen ist ein individueller Anreiz – die Relevanz, warum wir eine bestimmte Sprache lernen oder in eine neue Kultur eintauchen wollen. «Es hilft, wenn man sich mit der Zielsprache identifizieren kann», sagt Simone Pfenninger. Wenn jemand zum Beispiel im Erwachsenenalter mit einem neuen Partner zusammenkommt, der eine andere Sprache spricht, ist das ein sehr grosser Motivator. «Auch lernen viele Erwachsene fremde Sprachen, wenn ihre Kinder ins Ausland ziehen», veranschaulicht die Linguistin. «Dann haben sie vielleicht Enkelkinder, die eine andere Muttersprache haben.» Solche Umstände steigern die persönliche Motivation, eine neue Sprache zu lernen – und die Chance, darin schneller sattelfest zu werden.

Weiter können wir uns eine kognitive Reserve zulegen, damit es uns auch mit zunehmendem Alter nicht schwerfällt, sprachlich den Horizont zu erweitern, sagt Simone Pfenninger. Gedächtnistrainings, Musizieren, Weiterbildungen oder eine bereits vorhandene Mehrsprachigkeit helfen dabei, altersbedingte Schädigungen des Gehirns und damit funktionelle Einbussen zu bewältigen.

Wann sind Kinder wirklich im Vorteil?

Doch woher kommt die verbreitete Meinung, Kinder würden Fremdsprachen spielend lernen, während uns Erwachsenen dies schwerer fällt? Ganz aus der Luft gegriffen ist das nämlich nicht. Doch: «Kinder lernen eine Sprache nicht schneller, aber sie lernen unter Umständen besser», präzisiert Simone Pfenninger. Dies vor allem, wenn sie die Zweitsprache von klein auf innerhalb der Zielkultur lernen, also in dem entsprechenden Land aufwachsen. Zieht also eine Familie mit kleinen Kindern ins Ausland, und die Sprache wird im Alltag regelmässig genutzt, haben Kinder und Jugendliche viel bessere Voraussetzungen, auf lange Sicht ein hohes zweitsprachliches Niveau zu erreichen. Grund sind laut Simone Pfenninger vor allem die idealen Rahmenbedingungen: zum Beispiel, dass sie die Schule besuchen müssen. «Dort sind sie differenziertem Input ausgesetzt», erklärt die Sprachforscherin. «Und sie haben Kontakt mit mehreren Sprechern der Zielsprache in ganz unterschiedlichen Kontexten – auch in spielerischen Situationen.» Auch hätten Kinder in der Regel eine positive Einstellung zur Zielsprache und weniger Hemmungen, diese zu sprechen. «Sie bringen eine grosse Motivation mit und haben die Unterstützung ihrer Eltern, um die neue Sprache zu lernen. Und Kinder haben Zeit und Energie – mehr als wir Erwachsenen.»

Zurück zu den Kniffen, die Erwachsenen helfen, eine neue Sprache zu lernen. So gilt zum Beispiel die Devise «Qualität und Intensität vor Quantität». «Es kommt nicht so sehr auf die Lerndauer an. Wie viele Jahre, Monate oder Stunden jemand lernt, ist nicht so erheblich. Viel wichtiger ist die Intensität», weiss Simone Pfenninger. Heisst: Lieber in intensiven Blöcken lernen und zum Beispiel zwei Wochen im Land der Zielsprache leben, im Idealfall bei einer Gastfamilie, als dieselbe Anzahl Lernstunden über einen langen Zeitraum verteilt im Heimatland. «Egal wie hoch die Motivation ist – Intensität übertrumpft in diesem Fall die Quantität», fasst sie zusammen. Wir sollten vom Kurzfutter-Konzept wegkommen, das wir vielleicht aus der Schulzeit kennen – also der Idee, regelmässig ein paar Stunden pro Woche pauken zu müssen. Jeden Tag ein bisschen zu üben – nach dem Grundsatz: «Übung macht den Meister», wie es etwa beim Velofahren gilt – sei hier weniger effektiv, vergleicht die Linguistin.

Unsplash / Paul Hanaoka

Kinder haben oftmals mehr Zeit, Energie und Motivation neue Sprachen zu lernen.

Auch Trash-TV kann hilfreich sein

Als weiterer Tipp für die Praxis lohnt es sich, die beiden wichtigsten Pfeiler für das Sprachenlernen zu kennen: Input und Interaktion. Beide machen laut Simone Pfenninger je die Hälfte des Spracherwerbs aus. «Je mehr davon und je vielfältiger, desto besser», sagt sie. Mit Input sind zum Beispiel Filme, Bücher oder Computerspiele in der Fremdsprache gemeint. «Was immer einem persönlich gefällt und einen unterhält.» So gesehen gebe es keinen schlechten Input. Wenn jemand gerne amerikanische Trash-TV-Shows schaue und dadurch sein Englisch aufpoliere, sei aus Spracherwerbssicht nichts dagegen einzuwenden. Der zweite Pfeiler ist die Interaktion mit anderen Personen in der Fremdsprache. «Das müssen nicht zwingend Muttersprachler sein», betont Simone Pfenninger. «Je mehr wir mit jemand anderem in der Zielsprache interagieren, desto mehr werden wir uns möglicher Lücken und Fehler bewusst», führt sie aus. Ausserdem werde man im Austausch mit dem Gegenüber mit anderen Themen und neuen Vokabeln konfrontiert. «So können die beteiligten Personen viel voneinander profitieren», fasst sie zusammen.

Und was ist mit Menschen, die das Gefühl haben, sie seien sprachlich gänzlich untalentiert? Haben manche Personen tatsächlich kognitiv bessere Voraussetzungen für das Lernen einer Fremdsprache? Zwar würden hier ganz viele Faktoren zusammenspielen, sagt Simone Pfenninger. Dennoch gibt es einen kognitiven Faktor, der zum Teil angeboren ist, der aber auch trainiert werden kann: Die Sprachwissenschaft nennt es die Sprachlerneignung. Die Fähigkeit also, eine Fremdsprachen schneller zu lernen als andere Personen. Wem dieses Talent nicht in die Wiege gelegt wurde, kann trotzdem aufatmen: «Das lässt sich gut durch Motivation oder hohe Lernintensität ausgleichen», sagt Simone Pfenninger.

«Je mehr Sprachen man beherrscht, desto leichter lernt man neue»

Im Vorteil ist dafür jemand, der bereits mehrere Fremdsprachen in seinem Repertoire hat. «Je mehr Sprachen man beherrscht, desto leichter lernt man neue», sagt die Linguistin. «Das hat mit dem Sprachbewusstsein zu tun. Man bekommt ein Bewusstsein für Struktur und Funktion von Sprache, und auch Grammatik und Aussprache fallen einem leichter.» Zudem sind Menschen, die schon diverse Sprachen sprechen, beim Lernen einer weiteren Sprache selbstsicherer und weniger gehemmt. Ausserdem kennt man bevorzugte Lernstrategien und kann das Vorhaben gezielter angehen.

Es gibt keine schwierigen Sprachen

Je nachdem, welche Sprache du lernen willst, fragst du dich vielleicht: Gibt es Sprachen, die schwieriger sind als andere? Wieder so ein Mythos: «Eine Sprache ist nicht per se leicht oder schwierig», sagt die Sprachexpertin Pfenninger. «Weil man fragt sich dann: schwierig – für wen?» Finnisch zum Beispiel hat den Ruf, eine schwierige Sprache zu sein. Allerdings trifft dies für jemanden aus Schweden nicht unbedingt zu. Oft verwechselt werde die Einschätzung, wie leicht eine Sprache zu lernen ist, mit dem Prestige eine Sprache, gibt die Linguistin zu bedenken: «Man hört oft, Englisch sei eine einfache Sprache», macht sie ein Beispiel. Aber rein aus linguistischer Sicht stimme dies nicht unbedingt. «Jedoch hat die Sprache ein hohes soziales und wirtschaftliches Prestige, ist sehr populär, gilt unter Jugendlichen als cool und ist in der Schule oft beliebter als gewisse romanische Sprachen.»

Unsplash / Qi Xna

Wenn jemand mit einer tonalen Muttersprache aufgewachsen ist, fällt es einem leichter Sprachen zu lernen die ähnlich sind, z.B. Chinesisch.

Betrachtet man eine Sprache rein objektiv, kann man sich laut Linguisten höchstens fragen: Hat sie zum Beispiel Laute, die in keiner anderen Sprache der Welt vorkommen – wie es etwa für Isländisch zutrifft? Oder sind das Schriftsystem und die Komplexität der Grammatik gänzlich anders als in der eigenen Muttersprache? Ein Spezialfall sind ausserdem tonale Sprachen wie Chinesisch, bei denen ein einzelnes Wort je nach Betonung eine ganz andere Bedeutung haben kann. Aus dieser Perspektive könne man allenfalls sagen, es gebe schwierigere und einfachere Sprachen, räumt Simone Pfenninger ein. Sie verweist auf Rankings, die weltweit aus rund 200 Sprachen die schwierigsten kürten. Deutsch steht dabei an zehnter Stelle, also relativ weit vorne. Begründet wird dies damit, die Sprache habe wenig Ähnlichkeiten zu anderen Sprachen. An der Spitze stehen alte, sehr exotische Sprachen, die oftmals fast ausgestorben sind. Zum Beispiel das mexikanische Chalcatongo Mixtec oder das in Sibirien beheimatete Nenets. Beide sind von der Wortbildung her sehr komplex. Allzu stark generalisieren könne man solche Rankings aber nicht, sagt die Sprachexpertin.

«Use it or lose it»

Zu guter Letzt die Frage: Was können wir tun, damit wir eine neu gelernte Sprache nicht so schnell wieder vergessen? Hier lautet die Antwort ganz einfach: «use it or lose it». Also entweder du baust die Sprache regelmässig in deinen Alltag ein, oder sie wird bald in Vergessenheit geraten. Warum das so ist, erklärt Simone Pfenninger wie folgt: «Dabei handelt es sich um einen Mechanismus, um die begrenzten Ressourcen im Gehirn optimal zu nutzen.» Streng genommen sei es auch kein Verlust. «In der Linguistik sprechen wir eher von einem Zurückstellen – die Kenntnisse sind momentan ausser Reichweite.» Interessanterweise ist davor selbst die eigene Muttersprache nicht geschützt. Zieht eine Person ins Ausland und nutzt dort ihre ursprüngliche Sprache kaum noch, wird auch sie solche «Lücken» bemerken. Die ersten Anzeichen sind in der Regel, dass jemand sich in seiner Muttersprache nicht mehr so schnell an ein bestimmtes Wort erinnert. Es dauert dann jeweils ein paar Sekunden, bis er oder sie darauf zurückgreifen kann. Die Sprachkenntnisse seien jedoch nicht verloren. «Aktivieren kann man sie jederzeit», beruhigt Simone Pfenninger, «man muss sich nur genug Zeit dafür lassen.»

In diesem Sinne: Buone vacanze, ¡Buen viaje!, schöne Ferien! – und viel Spass beim Entdecken neuer sprachlicher Gefilde.

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