Sie überfliegen Kampfzonen und halten Gräueltaten mit der Kamera fest. Sie überwachen die Bewegungen herannahender Truppen und lenken Mörser exakt auf ihre Ziele: Kleine kommerzielle Drohnen spielen eine Schlüsselrolle in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Jede und jeder kann sie kaufen und ohne spezielle Ausbildung fliegen, zu einem relativ geringen Preis von 2000 Franken.
Dabei handelt es sich meist um Quadrocopter (Drohnen mit vier Rotoren), die weniger als ein Kilogramm wiegen und mit hochauflösenden Kameras und einem leistungsstarken Zoomobjektiv ausgestattet sind.
Die ukrainischen Streitkräfte haben seit Beginn des Kriegs Tausende von ihnen gekauft, und die Technologie hat ihnen einen unerwarteten Vorteil verschafft. Aber auch die russische Armee hat solche eingesetzt.
Die chinesische Firma DJI stellt die meisten solcher Drohnen her. Sie erklärte wiederholt, dass ihre Produkte nicht für militärische Zwecke bestimmt seien und deren Verkauf in Russland und in der Ukraine vorübergehend ausgesetzt worden sei.
Bei den Quadrocoptern der nächsten Generation ist allerdings nicht China, sondern die Schweiz Spitzenreiterin. Die Schweizer Drohnenindustrie ist weltweit führend, was die Marktgrösse pro Kopf betrifft.
Es wird erwartet, dass sie sich in den nächsten fünf Jahren weiter vergrössern wird, und zwar von 521 Millionen auf 879 Millionen Franken. Dies dank der Exporte, namentlich nach Europa und in die USA.
Zürich und Lausanne sind mit ihren Universitäten und Eidgenössischen Technischen Hochschulen zu internationalen Forschungszentren für Drohnentechnologie geworden.
Gleichgewicht zwischen ziviler und militärischer Nutzung
Davide Scaramuzza, Professor für Robotik an der Universität Zürich, hat in den letzten 13 Jahren Quadrocopter entwickelt, die autonom fliegen können, ohne GPS oder Fernsteuerung durch einen Menschen.
Seine Gruppe ist weltweit führend bei der Entwicklung dieser kleinen Drohnen, die mit Hilfe von Bildsensoren schwer zugängliche Gebiete kartieren und Wälder, Höhlen oder eingestürzte Gebäude auf der Suche nach Überlebenden erkunden können.
Genau aus diesem Grund stösst die Technologie zunehmend auf das Interesse des Militärs. Im Jahr 2021 setzte die libysche Armee autonome Quadrocopter-Drohnen ein, die mit Sprengstoff ausgerüstet waren, um nach menschlichen Zielen zu suchen und diese anzugreifen. Der Vorfall wurde von den Vereinten Nationen verurteilt.
Scaramuzza ist nicht überrascht, dass die Ergebnisse der Forschung seiner Gruppe militärische Anwendungen haben könnten. «Die gesamte Robotik kann zur Verteidigung eingesetzt werden, aber auch umgekehrt», sagt er.
Der Robotik-Professor verweist auf die Tatsache, dass viele Erfindungen, die unser tägliches Leben verbessert haben, wie das Internet und GPS, das Ergebnis militärischer Forschung sind. Sogar die Erfindung des Mikrowellenofens geht auf ein Bauteil zurück, das während des Zweiten Weltkriegs im militärischen Radar verwendet wurde.
Für die Entwicklung seiner hochmodernen Drohnen erhielt Scaramuzza Fördermittel von der DARPA, der Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums. Scaramuzza betrachtet diese Zuschüsse als «Innovationsbeschleuniger», denn ohne sie würde der technologische Fortschritt zwar immer noch stattfinden, aber in einem langsameren Tempo.
Und er stellt klar, dass seine DARPA-finanzierten Projekte zwischen 2015 und 2018 nicht klassifiziert gewesen seien und daher nicht die Bereitstellung von Militärsoftware beinhalteten. «Die Ergebnisse sind transparent und öffentlich zugänglich. Die ganze Welt kann davon profitieren», sagt er.
Scientists for Global Responsibility (SGR) ist eine im Vereinigten Königreich ansässige Organisation, die sich für die Ethik in Wissenschaft und Technologie einsetzt. Sie ist der Ansicht, dass der heutige Technologieaustausch zwischen dem militärischen und dem zivilen Bereich zumeist einseitig ist.
Das Militär profitiere am meisten davon, und nicht umgekehrt. «Es kostet viel Arbeit und Geld, militärische Technologie für zivile Zwecke umzuwandeln», sagt Umweltwissenschaftler Stuart Parkinson, Geschäftsführer von SGR.
DARPA subventioniert Projekte der Grundlagen- und angewandten Forschung, die keinen unmittelbaren militärischen Nutzen haben, mit dem Ziel, Erkenntnisse über innovative, finanziell riskante, aber potenziell revolutionäre Ideen zu gewinnen.
Im Jahr 2021 entfallen 15 Prozent der Mittel der US-Behörde auf die Grundlagenforschung und 39 Prozent auf die angewandte Forschung. Dies verschafft DARPA jedoch einen langfristigen Vorteil, wenn es darum geht, Forschungsergebnisse in konkrete Produkte umzusetzen.
So nutzt die Behörde beispielsweise bereits die ursprünglich im Rahmen von Forschungswettbewerben entwickelte Technologie für selbstfahrende Autos, um militärische Fahrzeuge zu verbessern.
«Im Prinzip kann jede Technologie missbraucht werden», sagt Marco Hutter, Professor für Robotik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Seine Gruppe hat einen vierbeinigen Roboter namens «ANYmal» entwickelt, der autonome Roboterinspektionen sowie Such- und Rettungsaktionen in Katastrophengebieten durchführen soll.
Die DARPA hat mehrere dieser Roboter im Rahmen eines mehrjährigen Robotik-Wettbewerbs gegeneinander antreten lassen, den Hutter und sein Team 2021 gewonnen haben – und damit auch einen Teil des Preisgelds von zwei Millionen Dollar.
Die Roboterhunde werden von der «ANYbotics» AG vermarktet, einem ETH-Spinoff-Unternehmen mit Sitz in Zürich, das Hutter mitgegründet hat. Obwohl «ANYbotics» den bewaffneten militärischen Einsatz seiner Maschinen vertraglich untersagt, hat das US-Unternehmen Ghost Robotics im vergangenen Jahr einen ähnlichen Roboter auf den Markt gebracht, der mit einem Scharfschützengewehr bewaffnet ist.
Vorbeugen, nicht heilen
Die doppelte Verwendung (Dual Use) – und der potenzielle Missbrauch – neuer Technologien ist schwer zu verhindern. Eines der Probleme besteht darin, dass es keine klaren Vorschriften gibt, welche die Entwicklung und Ausfuhr von Dual-Use-Technologien einschränken.
Während es mehrere internationale Organisationen gibt, die Atom- und Chemiewaffen kontrollieren und verbieten, ist dies bei Innovationen im digitalen Bereich nicht der Fall, da sie weniger greifbar sind.
Ausserdem ist der militärische Wettbewerb zwischen den Ländern um die Nutzung neuer Technologien sehr ausgeprägt. Nach Ansicht der SGR erschwert dies die Umsetzung und Verbindlichkeit internationaler Verträge, welche die Verbreitung bestimmter Waffen einschränken und Leitlinien für Forschende in neuen Bereichen wie Robotik und künstliche Intelligenz (KI) festlegen.
Die Schweiz zögert zum Beispiel, die Kampagne für ein Abkommen zum Verbot von Killerrobotern zu unterstützen, weil dies zum Verbot potenziell nützlicher Systeme zur Vermeidung von Kollateralschäden und zur Rettung von Menschenleben führen könnte.
«Da die Gesetzgebung dem technologischen Fortschritt hinterherhinkt, hat die wissenschaftliche Gemeinschaft begonnen, sich selbst zu regulieren», sagt Ning Wang, Politikwissenschaftlerin und Expertin für die Ethik der neuen Technologien an der Universität Zürich.
Wang führt als Beispiel die Asilomar-Konferenz von 1975 an, auf der ethische und regulatorische Debatten über die rekombinante DNA-Technologie (mittels gentechnischer Methoden neu zusammengesetzte DNA) geführt wurden.
Das Treffen in den USA, das von einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Leben gerufen worden war, legte langfristige Leitlinien für Experimente fest, welche die öffentliche Gesundheit gefährden könnten, schuf jedoch keine verbindlichen Standards.
Es gibt auch ein grundsätzliches Problem in der Art und Weise, wie die akademische Welt funktioniert: Forschende sind verpflichtet, ihre Arbeit in wissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen und sie leicht zugänglich zu machen. Aber sobald ihre Daten und Ergebnisse veröffentlicht sind, haben sie oft keine Kontrolle mehr darüber, wie und von wem sie verwendet werden, um daraus ein Produkt zu erschaffen.
Nach Ansicht von Disc, einem Konsortium privater Unternehmen zur Förderung der Innovation im Verteidigungssektor, sollte sich die Schweiz auf die Umsetzung von Forschungsergebnissen in konkrete Produkte konzentrieren, anstatt ihr Knowhow zu verbreiten.
Hanspeter Faeh, der Leiter von Disc, argumentiert, dies würde das Land in die Lage versetzen, die Anwendung von Technologien zu kontrollieren und zu verhindern, dass Wissen missbraucht oder in Staaten «exportiert» werde, welche die Menschenrechte nicht achten.
Die Risiken des Handels
Die Regulierung moderner Innovationen und ihre Umsetzung in Produkte ist jedoch kompliziert, da sie sich aus unzähligen Technologien zusammensetzen. Drohnen zum Beispiel bestehen nicht nur aus Rotoren, Propellern und Kameras, sondern nutzen ausgeklügelte Algorithmen, um Strassen oder Menschen zu erkennen, und verfügen über eine gewisse Autonomie.
Jürgen Schmidhuber, der von vielen als «Vater der modernen künstlichen Intelligenz» bezeichnet wird, weiss, dass die von seiner Gruppe in Lugano und München entwickelten Methoden des maschinellen Lernens nicht nur von Google und Facebook, sondern auch von Militärs eingesetzt werden. Diese aktivieren damit Drohnen und versetzen sie in die Lage, ausgewählte Ziele genau zu treffen.
Doch das bereitet ihm keine schlaflosen Nächte. «Fünfundneunzig Prozent der Anwendungen dienen dazu, das Leben der Menschen zu verbessern», sagt er.
Seine Entdeckungen haben etwa den Gesundheitsbereich vorangebracht, indem sie die Erkennung von Tumoren durch Bildgebung und maschinelle Übersetzung ermöglichten.
«Die verbleibenden fünf Prozent der militärischen Anwendungen zielen jedoch auf das genaue Gegenteil ab, nämlich darauf, auf dem Schlachtfeld erfolgreich zu sein.»
Der Verteidigungssektor verfügt über beträchtliche Finanzmittel, und es sei nur natürlich, dass er diese in den Einsatz künstlicher neuronaler Netze investiere, sagt Schmidhuber, der das Institut für Künstliche Intelligenz (Idsia) in Lugano leitet.
Laut Schmidhuber ist der Missbrauch der Technologie Teil des wissenschaftlichen Fortschritts: Es gebe keine Möglichkeit, ihn aufzuhalten. Der Mensch habe zum Beispiel das Feuer domestiziert, was es unserer Zivilisation ermöglichte, sich weiterzuentwickeln, indem wir zum Beispiel Essen kochen könnten, das Feuer aber auch als Waffe einsetzen würden. «Sollen wir dann auf das Feuer verzichten?», fragt er rhetorisch.
«Die meisten Dinge, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfinden, führen zu Anwendungen, die sie sich nicht vorstellen können», sagt Schmidhuber. «Nicht einmal Einstein konnte alle Anwendungen seiner Entdeckungen vorhersehen.»