Peter Brang schreitet langsam vorwärts. Er sieht sich um und späht durch die Stämme. Es ist mehr als ein Jahr her, dass er das letzte Mal hier war, und an diesem warmen Frühlingstag ist es nicht leicht, seinen Weg durch den Busch zu finden. «Das ist es», sagt der Experte für Walddynamik und zeigt auf ein Drahtgeflecht, das an Holzpfählen befestigt ist. Es ist der Zaun seines Freiluftlabors.
Die grossen Lärchen, die das Gebiet einst bewaldeten, wurden abgeholzt. Es gibt nur noch einige verstreute Stümpfe. An ihrer Stelle wurden Libanon-Zedern (Cedrus libani) gepflanzt, ein aus dem Nahen Osten stammendes, immergrünes Nadelgewächs. Manche Bäume werden bis zu drei Meter hoch, andere reichen bis zu den Knien. Einer ist völlig vertrocknet.
Wir befinden uns auf dem Gebiet von Mutrux, einer kleinen Gemeinde im Kanton Waadt in der Westschweiz. Hier wurden 2012 auf einer Fläche von etwa drei Hektar sechs exotische Baumarten aus der Türkei, Bulgarien und den Vereinigten Staaten gepflanzt.
Die eingeführten Arten sind sehr widerstandsfähig gegen Trockenheit und Hitzewellen. Brang, Forscher an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), will untersuchen, wie gut die Bäume in einer neuen Umgebung wachsen. «Wir wollen wissen, welche Baumarten die für die Schweiz wichtigen Bäume, die aufgrund des Klimawandels leiden, ersetzen können», sagt er.
Mit der globalen Erwärmung werden trockene und heisse Perioden im Sommer intensiver und häufiger, was eine Belastung für Baumarten darstellt, die sich in einem gemässigteren Klima entwickelt haben. Der Wald wird nicht verschwinden, aber es besteht die Gefahr, dass er seine für den Mensch nützlichen Funktionen nicht mehr erfüllen kann, wie etwa den Schutz vor Naturgefahren oder die Holzproduktion, sagt Brang.
Laut Robert Jenni, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Umwelt, der uns auf der Tour begleitet, besteht die Strategie der Schweiz nicht darin, einheimische Arten zu ersetzen. Sondern den Wald punktuell mit exotischen Arten anzureichern. «Der Wald ist ein sehr resilientes Ökosystem. Wir wollen denjenigen Arten die grösstmögliche Chance geben, die bereits auf natürliche Weise wachsen und eine gewisse Anpassungsfähigkeit besitzen», sagt Jenni.
Ein türkischer Tannenbaum zu Weihnachten?
Wir begeben uns zum angrenzenden Grundstück, auf dem türkische Tannen (Abies bornmuelleriana) gepflanzt wurden, eine Nadelholzart, die in den Bergen der Nordtürkei wächst. Sie verträgt lange Trockenperioden und kann Temperaturen bis zu -18 Grad Celsius standhalten, was sie zu einem guten Ersatz für die Fichte oder die Tanne macht, die in der Schweiz zu den häufigsten Baumarten gehören. «Eines Tages werden wir sie vielleicht als Weihnachtsbaum bei uns zu Hause finden», sagt Brang.
Laut dem Experten wurden die in Mutrux eingeführten Arten aufgrund ökologischer und wirtschaftlicher Kriterien ausgewählt. Sie stammen aus Regionen, die einem Erwärmungsszenario von zwei Grad Celsius entsprechen, also aus Orten mit klimatischen Bedingungen, wie sie in der Schweiz in Zukunft wahrscheinlich herrschen werden. Zudem handelt es sich um nicht-invasive Arten, die sich bisher als resistent gegen Krankheitserreger erwiesen haben.
Das «Glück» der Dürre 2018
Das Versuchsgebiet in Mutrux ist Teil eines internationalen Projekts, das von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Deutschland koordiniert wird. Beteiligt sind auch deutsche und österreichische Forschungsinstitute und Universitäten, es umfasst insgesamt fünf Standorte. An allen Standorten wurden die gleichen Arten gepflanzt; in der Schweiz wurde eine zusätzliche Art gepflanzt. «Es gibt nicht viele Experimente dieser Art auf internationaler Ebene. In der Regel werden verschiedene Provenienzen einer einzigen Art getestet», sagt Brang.
Der Vorteil eines Netzes von Anpflanzungsgrundstücken besteht darin, dass die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen an mindestens einem Standort höher ist. Für die Forschung sind vor allem Dürreperioden und langanhaltende Kälteperioden interessant. Der aussergewöhnlich heisse und niederschlagsarme Sommer 2018 war in diesem Sinne «ein Glücksfall», sagt Brang. «Wer mit Waldbewirtschaftung zu tun hat, wird mir nicht zustimmen, aber ich hoffe auf weitere solche Ereignisse.»
Der Sommer 2018 hat mehrere europäische Länder betroffen und war in der Schweiz der drittheisseste seit Beginn der Messungen im Jahr 1864. Die hohen Temperaturen, die zwischen Ende Juli und Mitte August im Flachland 34 Grad Celsius erreichten, verursachten etwa 200 Todesfälle mehr als in einem normalen Jahr. In vielen Alpengebieten war das Wasser knapp und die Armee musste die Wasserversorgung mit Helikoptern sicherstellen. Die Dürre verursachte schwere Einbussen bei der Gras- und Futterernte, und das Absenken des Rheinpegels während eines ungewöhnlich langen Zeitraums beeinträchtigte den Warentransport auf dem Fluss.
Der trockene Sommer vor vier Jahren hat auch Wälder und grosse Bäume, insbesondere Fichten und Buchen, in Mitleidenschaft gezogen. In zehn Prozent der Wälder Mitteleuropas verloren die Bäume vorzeitig einige oder alle Blätter, wie eine Analyse des WSL zeigt. Ostmitteldeutschland und die Tschechische Republik waren am stärksten betroffen.
Das Leiden der Fichte
Immer intensivere und wiederholte Dürreperioden trocknen die Böden aus. Die Folge ist eine erhöhte Sterblichkeit aller wichtigen Baumarten in Europa, die manchmal bis zu sechzig Prozent beträgt. Dies geht aus einer grossen Studie hervor, die 2021 veröffentlicht wurde und sich noch im Peer-Review-Verfahren befindet.
Ohne Wasser sind die Bäume anfälliger für Schädlinge und Krankheiten. Die Gefahr von Waldbränden nimmt zu, und der Wald ist nicht mehr in der Lage, seine wesentlichen Funktionen zu erfüllen. In den Bergen braucht es dichte Wälder ohne grosse Lichtungen, um die Menschen vor Lawinen, Erdrutschen und Überschwemmungen zu schützen. In den kommenden Jahrzehnten wird es laut Brang immer grössere Gebiete geben, in denen diese Bedingungen zumindest während bestimmter Zeiträume nicht mehr erfüllt sind. «Das macht mir Sorgen.»
Die Fichte, die am meisten verbreitete Baumart in der Schweiz, ist besonders gefährdet. Oft entwickelt sie flache Wurzeln, die sie daran hindern, während der Trockenperioden im Sommer in der Tiefe nach Wasser zu suchen. Geschwächte Bäume sind weniger widerstandsfähig gegen den Borkenkäfer, ein Schädling, der unter die Rinde eindringt und den Saftfluss verhindert.
Die Holzindustrie sucht nach Alternativen
Mit dem Fichtensterben riskiert die Forstwirtschaft den Verlust einer der begehrtesten Baumarten. Nadelbäume liefern zwei Drittel des Holzes, das auf dem Bau, für Möbel und bei der Energieerzeugung verwendet wird.
Laut Thomas Lädrach, Präsident des Dachverbands der Schweizer Holzindustrie, wird die Branche auch in Zukunft auf Nadelholz setzen, da Laubholz nur unter bestimmten Bedingungen beim Hausbau verwendet werden kann. Daher muss nach Alternativen zu den einheimischen Tannen gesucht werden.
Dazu gehören die Douglasien, die in den westlichen Küstenregionen Nordamerikas wachsen. Dieser Nadelbaum, der bis knapp sechzig Meter hoch werden kann, verträgt die Sommerhitze gut und hält Trockenheit besser aus als Fichten und Tannen. Die Douglasie ist in der Schweiz noch selten und wurde bisher kaum von Borkenkäfern befallen. Brang sagt, dass die Douglasie in Zukunft sehn Prozent des Schweizer Waldes ausmachen könnte.
Zedernwälder in der Schweiz?
Und dann ist da noch die Libanon-Zeder, eine der Arten, die Peter Brang auf der Versuchsfläche in Mutrux anbaut. Die Robustheit des Holzes ist ähnlich, wenn nicht sogar besser als die der einheimischen Arten. Laut der Fachzeitschrift Baublatt ist sie dank guten Bauholzeigenschaften eine Ersatzkandidatin für Fichte und Föhre.
Es ist jedoch noch zu früh, um vorherzusagen, ob diese und andere Arten sich in der Schweiz akklimatisieren und wachsen können. Eine erste Bewertung wurde 2018 durchgeführt, sechs Jahre nach Beginn des Projekts. An allen Standorten in der Schweiz, Deutschland und Österreich wurde bei einigen Arten eine hohe Sterblichkeit beobachtet. Drei von vier Zedern, deren Setzlinge aus einer Baumschule in Bayern stammten, überlebten nicht. «Offensichtlich ist die Art sehr empfindlich gegenüber Austrocknung während der Verpflanzung. Das wussten wir nicht», sagt Brang.
Die später verpflanzten Setzlinge wuchsen langsam und blieben klein. Sie haben vielleicht drei bis fünf Jahre Wachstum verloren, aber das ist laut Brang vernachlässigbar, wenn man die jahrhundertelange Lebensspanne eines Baumes bedenkt. Vor allem scheinen sie nicht übermässig unter der Dürre 2018 gelitten zu haben. «Bislang deutet nichts darauf hin, dass die hier eingeführten Arten nicht für den Anbau in unseren Breitengraden geeignet sind», sagt Brang.
Der Forstexperte will böse Überraschungen vermeiden, wie er sie mit dem Schwarzkiefer erlebte. Dreissig Jahre nach der erfolgreichen Anpflanzung in der Schweiz wurden die Blätter von Pilzen befallen, und heute ist die Art im Rückgang begriffen. «Deshalb ist es wichtig, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen», sagt Brang. «Erst in fünfzig oder hundert Jahren werden wir wissen, ob die Bäume, die wir heute gepflanzt haben, wirklich resistent sind.»