Das musst du wissen
- Daten von 20 000 Eingewanderten aus 22 Ländern geben Auskunft über das Vertrauen in die Polizei.
- Der Kontrast zur rechtsstaatlichen Situation im Herkunftsland beeinflusst, wie sehr Eingewanderte der Polizei vertrauen.
- Wer sich diskriminiert fühlt oder einen ethnischen Minderheit angehört, hat weniger Vertrauen in die Polizei.
Im Januar 2005 verbrannte Oury Jalloh, ein Asylbewerber aus Sierra Leone, in einer Polizeizelle in Dessau in Ostdeutschland. Bis heute kann der Verdacht, dass der Mann von den dortigen Polizeibeamten angezündet wurde, nicht ausgeräumt werden – im Gegenteil, viele Fakten und Untersuchungen sprechen für einen Mord. Jallohs Todesfall ist ein Extrembeispiel – aber er zeigt auf, wie angespannt das Verhältnis zwischen Polizei und Eingewanderten sein kann. So sind Menschen mit Migrationsgeschichte beispielsweise auch besonders oft von Polizeikontrollen betroffen. Solche Diskriminierungserfahrungen könnten sich auf das Vertrauen von Eingewanderten in die Polizei auswirken – das legt eine neue Studie nahe, die im Fachjournal Ethnic and Racial Studies veröffentlicht wurde.
Science-Check ✓
Studie: All cops are trusted? How context and time shape immigrants’ trust in the police in EuropeKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsVerwendet wurden Daten der European Social Survey (ESS). Diese ist zwar ein gutes Werkzeug, um Länder miteinander zu vergleichen und Trends zu erkennen. Doch sie erhebt nicht ausschliesslich Daten von Eingewanderten. Deshalb ist die Stichprobengrösse von Eingewanderten in einigen Ländern sehr klein. Bei der Erhebung von 2016 wurden beispielsweise in Polen nur neun Eingewanderte befragt. Zudem erreichen die ESS-Fragebögen viele Eingewanderte nicht, da sie nur in den Landessprachen erhältlich sind. Die Studie schliesst daher Länderdaten aus, wenn weniger als 50 Eingewanderte Angaben gemacht haben, da sie als nicht repräsentativ erachtet werden.Mehr Infos zu dieser Studie...Die Studie nutzte die von 2006 bis 2018 erhältlichen Daten der European Social Survey, einer Umfrage, die europaweit zweijährlich erhoben wird. Insgesamt kamen Angaben von rund 20 000 Eingewanderten aus 22 Ländern zusammen – unter anderem mit 2000 Antworten von Eingewanderten in der Schweiz. Die Eingewanderten stammen grösstenteils aus anderen Teilen Europas, aber auch aus Afrika und Asien. Für die Umfrage beantworteten sie unter anderem die Frage, wie sehr sie der Polizei auf einer Skala von 1 bis 10 vertrauen. Die Forschenden fanden heraus, dass die Antworten der Eingewanderten stark vom Faktor abhängen, wie lange sie sich bereits im Land befinden: Frisch Eingereiste haben im Schnitt ein höheres Vertrauen in die Polizei als Einheimische – liegt die Einwanderung allerdings einige oder viele Jahre zurück, sinkt das Vertrauen in die Polizei unter das Niveau von Einheimischen.
Vergleich zum Herkunftsland beeinflusst Vertrauen
Da die grossangelegte Umfrage das «Warum» dieser Angaben nicht erfragt, versuchten die Forschenden, diese Beobachtung sozialwissenschaftlich zu ergründen. Zunächst stellen sie fest, dass das hohe Vertrauen von frisch Eingewanderten auch stark damit zusammenhängt, wie vertrauenswürdig Institutionen wie die Polizei in ihrem Herkunftsland sind. Dazu verwenden sie den «Rule-Of-Law»-Index der Menschenrechtsorganisation Freedom House, der die Behörden und Justizsysteme von Ländern beurteilt. Wenn die rechtsstaatlichen Institutionen im Vergleich zum Heimatland besser sind, lässt sich ein höheres Vertrauen der Eingewanderten gegenüber der Polizei beobachten. Selbst wenn der «Rule-Of-Law»-Wert niedriger liegt als im Herkunftsland, haben frisch Eingewanderte noch ein durchschnittlich höheres Vertrauen in die Polizei als alteingesessene Eingewanderte. Bei diesen hat der Vergleich zum Herkunftsland nämlich keinen Einfluss: Das Vertrauen liegt niedriger als bei Einheimischen, selbst wenn der Rechtsstaat im Herkunftsland schlechter war.
Welche Rolle spielen Diskriminierungen?
Die Forschenden schliessen daraus, dass der Kontrast zum Herkunftsland mit der Zeit verblasst. Zudem führen sie das niedrigere Vertrauen von Eingewanderten, die bereits zwanzig Jahre im Land leben, auch auf Erfahrungen mit Diskriminierung zurück. Mit der Aufenthaltsdauer steigt die Chance, negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht zu haben,– sozialwissenschaftlich wird das «Integrationsparadox» genannt. Für diese Hypothese ziehen die Forschenden die Sektion der Umfrage hinzu, in welcher Eingewanderte Angaben darüber machen, ob sie sich zu einer diskriminierten Gruppe oder einer ethnischen Minderheit zählen. Wird einer der beiden Fragen mit «Ja» beantwortet, hat dies einen erheblichen Einfluss auf das Vertrauen in die Polizei. Eingewanderte, die bereits länger im Land leben, fühlen sich häufiger diskriminiert als frisch Eingewanderte. Eine direkte Kausalität können die Forschenden daraus allerdings nicht herleiten – denn die Frage, ob die Befragten wirklich explizit Diskriminierung durch die Polizei erlebt haben, wird in der European Social Survey nicht beantwortet.
Eine weitere Beobachtung: Gibt es in einem Land ein grosses Polizeikorps, wirkt sich das tendenziell negativ auf das Vertrauen von Eingewanderten aus – Beispiele sind Länder mit vielen Polizeikräften wie Kroatien, Griechenland und Zypern. Für die Forschenden bedeutet das: Allein die Grösse der Polizei stärkt das Vertrauen von Eingewanderten in die Institution noch nicht – sondern eine Verminderung von Diskriminierungserfahrungen. Das könnte helfen, damit frisch Eingewanderte ihr positives Bild der Polizei behalten und alteingesessene ihr Vertrauen wiederherstellen können.