Das musst du wissen

  • Virtuelle Meetings erschöpfen uns. Das liegt jedoch nicht nur an der Anzahl und Dauer der Videocalls.
  • Schuld ist auch eine eingeschaltete Kamera, wie Forschende aus den USA belegen.
  • Besonders betroffen sind Frauen und frisch angestellte Mitarbeitende.
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Allein vor dem Bildschirm statt zusammen am Sitzungstisch, der Blick in die Kamera statt ins Gesicht des Gegenübers: Wir alle mussten uns im Zuge der Corona-Pandemie an virtuelle Meetings gewöhnen. Und wir wissen, dass diese oft erschöpfend und energieraubend sind. Doch warum eigentlich? Bisherige Studien zeigen, dass dies an der hohen Anzahl und der langen Dauer der Videocalls liegen könnte – aber nicht nur. Denn in der Zeit nach dem Lockdown nahmen viele Menschen zwar häufiger an virtuellen Meetings teil als vor der Pandemie, doch die Dauer dieser Sitzungen war tendenziell kürzer. Dies liess Forschende vermuten: Ausschlaggebend müssen weitere Details sein. Ein zentraler Aspekt dabei ist offenbar die Videokamera. Ist diese eingeschaltet, ermüdet uns ein Zoom-Meeting viel rascher. Dies das Ergebnis einer US-amerikanischen Studie, die kürzlich im Fachmagazin Journal of Applied Psychology publiziert wurde. 

Science-Check ✓

Studie: The Fatiguing Effects of Camera Use in Virtual Meetings: A Within-Person Field ExperimentKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie stützt sich auf einen eher kleinen Datensatz. Als Einschränkung lässt sich festhalten: Hier wurde untersucht, wie sich die Erschöpfung einige Stunden nach dem Meeting auswirkt. Jedoch könnte dies auch noch am Folgetag die Leistung beeinflussen. Nicht erfasst wurde zudem die Zahl der anderen Gesprächsteilnehmer, die ebenfalls auf der Kamera zu sehen waren. Auch das könnte Auswirkungen auf die Selbstdarstellung und die Müdigkeit haben. Nicht zuletzt basieren die Ergebnisse auf Selbsteinschätzungen der Teilnehmenden. Wie engagiert sich die Mitarbeitenden zeigten oder wie häufig sie sich äusserten, dazu gab es keine objektiven Messungen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Ein mehrwöchiges Experiment

Für ihrer Untersuchung machten die Forschenden ein vierwöchiges Experiment mit rund hundert Angestellten einer grossen Firma aus dem Gesundheitssektor. Ihre Kernfrage war: Hat das Ein- und Ausschalten der Videokamera bei virtuellen Meetings einen Einfluss darauf, wie sehr uns diese ermüden? Zudem wollten sie wissen, ob laufende Kameras eine Rolle dabei spielen, wie stark sich Personen während eines Videocalls sprachlich beteiligen und wie engagiert sie daran teilnehmen. Unter anderem stellten sie die Hypothese auf, dass die eigene Videopräsenz insbesondere Frauen und neue Mitarbeitende ermüdet.

Um ihre Annahmen zu testen, sollten die Teilnehmenden der Studie im Homeoffice ihre Videokamera während den Online-Besprechungen immer entweder ein- oder ausschalten. Nach der Halbzeit von zwei Wochen wechselten sie ihre Einstellungen. Abends füllten alle einen kurzen Fragebogen zu ihrem Arbeitstag aus. Sie beurteilten, wie erschöpft sie sich bei ein- oder ausgeschalteter Kamera gefühlt hatten und wie sehr sie sich am Meeting einbringen konnten beziehungsweise mit welchem Engagement sie teilgenommen hatten. Was sie nicht wussten: Ihre Kameras waren manipuliert – tatsächlich war die Kamera jeweils gegenteilig zu ihrer Annahme eingestellt. Dies, um die Selbsteinschätzung nicht zu beeinflussen.

Ein grösserer Druck bei eingeschalteter Kamera

Die Ergebnisse: Wer sich beim Videocall einer laufenden Kamera ausgesetzt fühlt, ist danach eher erschöpft. Vermutlich erzeuge die Kamera einen höheren Druck, kompetent zu wirken und eine möglichst perfekte und professionelle Seite von sich zu zeigen, interpretieren die Forschenden. Denn wer ständig das eigene Bild am Screen sehe, habe ein grösseres Bedürfnis nach Selbstdarstellung und tendiere dazu, die eigene Erscheinung stärker und kritischer zu bewerten. Beides beansprucht Energie und Aufmerksamkeit, die in der Folge für das Meeting fehlen, was uns auslaugt. Auch schenken wir dem Gegenüber am Bildschirm gerne mal ein höfliches Lächeln – entgegen unserem inneren Befinden. Weil auch dies anstrengend ist, schlägt sich letztlich alles zusammen negativ in der Leistung nieder. Im Experiment zeigte sich dies darin, dass die Teilnehmenden weniger aktiv und engagiert am Videocall teilnahmen und sich seltener einbrachten.

Frauen und «Neulinge» leiden stärker

Besonders erschöpft von virtuellen Meetings mit vermeintlich eingeschalteten Kameras zeigten sich im Experiment Frauen sowie Mitarbeitende, die noch nicht so lange in der Firma arbeiteten. Hier bestehe offenbar ein grösserer Druck, Kompetenz zu zeigen, schlussfolgern die Forschenden. Insbesondere neuere Mitarbeitende hätten möglicherweise das Bedürfnis, sich selbst als möglichst qualifiziert zu präsentieren, um den Status eines wenig erfahrenen Neulings abzulegen, der ihnen implizit zugeschrieben wird.

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Praxis? Die Verfassenden der Studie empfehlen Arbeitgebern und Chefinnen, es ihren Angestellten zu überlassen, ob sie die Kamera an ihrem Computer während einer virtuellen Konferenz ein- oder ausschalten möchten. Eine strikte Vorgabe, die Kamera müsse angestellt sein, sei für das Wohlbefinden und damit auch für die Leistung der Angestellten nicht förderlich. Seien wir also verständnisvoll, wenn im nächsten Videocall statt dem Konterfei unserer Arbeitskolleginnen und -kollegen ein schwarzer Screen aufploppt – wissend: es ist nur zu ihrem Besten.

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