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Wenig überraschend ist der unsägliche Unsinn, den selbsternannte Experten während den Höhepunkten der Covid-Pandemie verbreiteten, nicht eingetroffen: Wir sind nicht alle gechipt und die Impfung hat die Menschheit nicht ausgerottet. Trotzdem gibt es immer noch Leute, die an diesen Fakes festhalten. So zum Beispiel konnte ich diese Woche in der Winterthurer Fussgängerzone auf dem Boden diese Inschrift lesen.

"IMPFOPFER" in grossen Buchstaben mit Kreide auf die Strasse geschriebenBeat Glogger

«Impfopfer»-Aufschrift auf einer Strasse in Winterthur.

Da war ich doch richtig froh, dass mir wieder mal jemand sagt, dass das wahre Opfer ich bin. Aber irgendwie kommen mir solche Aktionen auch etwas altmodisch vor. Wie kann man an solchen Narrativen festhalten, obschon die Realität sie längst widerlegt hat?

Andere zeigen schon etwas mehr Fantasie. Zwar mussten sie für kurze Zeit mit dem Ukraine-Krieg, den sie als Fake oder Inszenierung bezeichneten, Vorlieb nehmen. Doch – zum Glück für die Liebhaber von Verschwörungen – nun sind Affenpocken aufgetaucht. Diese schliessen im Weltbild der Schwurbler nahtlos an Covid an.

Affenpocken werden durch die Covid-Impfung ausgelöst  

Diese These verbreitet sich auf verschiedenen sozialen Netzwerken (zum Beispiel hier). Wie kommt man darauf?

Der Covid-Impfstoff von Astrazeneca ist ein so genannter Vektorimpfstoff. Das heisst, das immunologisch aktive Material wird mittels eines Virus in den menschlichen Körper gebracht. Im Fall der Astrazeneca-Impfung sind es Schimpansenviren, wie auf dem Beipackzettel ausgewiesen ist.

Schimpansen sind Affen, also kommen die Affenpocken von den Affenviren in der Covid-Impfung. Dies die Logik.

Zwar deckt sich die auf dem angeblichen Beipackzettel aufgeführte Information mit der Produktebeschreibung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), dass die Impfung auf einem Schimpansen-Adenovirus basiert. Doch die Behauptung enthält zwei fachliche Fehler: Erstens ist das Virus, das in der Impfung als Überträger verwendet wird, genetisch verändert und so weit abgeschwächt, dass es sich im Menschen nicht vermehren kann. Und zweitens handelt es sich um ein sogenanntes Adenovirus, das mit dem Affenpockenvirus nicht verwandt ist. Die Behauptung ist also falsch.

Affenpocken sind in Wirklichkeit Gürtelrose

Auf Telegram wird behauptet, die Affenpocken seien in Wahrheit Gürtelrosen und diese wiederum ebenfalls eine Nebenwirkung der Covid-Impfung.

Screenshot von 2 verschiedenen Artikeln mit demselben Bild, links geht es fälschlicherweise um Affenpocken und rechts wird es als Gürtelrose bezeichnet.Screenshot Telegram

In Telegram-Gruppen kursierte dieser Vergleich.

In der Nachricht wird der Ausschnitt einer Website der australischen Regierung zum Thema Gürtelrose gezeigt. Daneben ein englischsprachiger Artikel über Affenpocken. Behauptet wird, beide Webseiten würden dasselbe Bild benutzen. Dazu Kommentare wie: «Gürtelrose heisst jetzt Affenpocken! Sehr komisch!»

Die Deutsche Website Correctiv ist der Sache nachgegangen.

Tatsächlich haben beide Webseiten zeitweise dasselbe Bild benutzt. Das heisst jedoch nicht, dass es keine Affenpocken-Fälle gibt, oder Fälle von Gürtelrose fälschlicherweise als Affenpocken diagnostiziert werden. In Wahrheit war der Bericht auf der Webseite über Affenpocken zeitweise mit einem falschen Bild illustriert. Der Fehler ist unterdessen korrigiert. Affenpocken und Gürtelrose sind völlig andere Krankheiten und beide keine Folge der Covid-Impfung.

Affenpocken sind die nächste geplante Pandemie

Wie schon bei Covid kursiert seit einigen Tagen auf den sozialen Medien wieder der Hashtag #Plandemie, der meint, dass die Affenpocken von geplant seien. Diesmal nicht von Bill Gates, sondern direkt von den Regierungen.

Die, die solches verbreiten, stützen ihre Behauptungen auf eine Übung im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz im März 2021. Dort wurde über verschiedene Bedrohungsszenarien diskutiert: Atomattacken, Chemiewaffen oder eben auch Pandemien. In der besagten Übung wurde ein fiktives Szenario zum Ausbruch biologisch manipulierter Affenpocken durchgespielt. Auf einem Slide findet sich der fiktive Termin des Ausbruchs: 15. Mai 2022.

Screenshot eines Slides der Sicherheitskonferenz, auf dem der 15. Mai für den Ausbruch der Affenpocken gelb markiert ist.Screenshot Twitter

Gelb markiert: der fiktive Termin des Ausbruchs aus dem Übungs-Szenario.

Der erste Fall von Affenpocken wurde am 7. Mai 2022 gemeldet.

Dies reicht den Verschwörungsfans als Beweis dafür, dass die Affenpocken geplant waren. Fakt ist, dass verschiedenste Organisation immer wieder solche Planspiele üben, um eben genau darauf vorbereitet zu sein, wenn tatsächlich etwas geschieht. Würden sie das nicht tun, würde man ihnen vorwerfen, zu schlecht vorbereitet gewesen zu sein. Wie das zum Teil ja auch bei der Covid-Pandemie geschehen ist.

Dass man sich bei solchen Übungen auf möglichst realistische Szenarien stützt, ist nur logisch. Affenpocken bieten sich da an. Schon 1988 haben Forschende darauf hingewiesen, dass diese zur Gefahr werden könnten. Dies, weil die Pocken dank konsequenter Impfung ausgerottet sind, und sich darum kein Mensch mehr gegen Pocken impft.

So gesehen sind also die Affenpocken eine Folge des grossen Impferfolgs gegen die Pocken. Und das hat rein gar nichts mit Verschwörungen zu tun.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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