Das musst du wissen

  • In der Schweiz müssen schwule Männer vor dem Blutspenden ein Jahr abstinent leben, um Infektionen zu vermeiden.
  • Diese Frist sei nicht mehr zeitgemäss, findet die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats.
  • Eine Gesetzesänderung soll die Frist auf vier Monate verkürzen – oder einheitliche Regeln für alle schaffen.

Homosexuelle Männer können in der Schweiz nicht wie der Rest der Bevölkerung Blut spenden. Wenn sie Leben retten wollen, müssen Sie zuvor zwölf Monate lang abstinent sein – dürfen also keinen gleichgeschlechtlichen Sex haben.

Warum das so ist, ist fraglich. Anderswo in Europa, Nordamerika und Australien wurde diese Frist praktisch überall verkürzt oder ganz abgeschafft. In Bern fordern einige Parlamentarier und der Bundesrat schon lange eine Überprüfung dieses Kriteriums. Denn sie sind der Meinung, dass die Beurteilung so weit wie möglich auf dem individuellen Risikoprofil und nicht auf der sexuellen Orientierung basieren sollte. Nur hat sich in dieser Sache seit mehreren Jahren nichts getan.

Änderungen in Aussicht. Nun aber liegt ein Entwurf für eine Gesetzesänderung vor. Er wurde von der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats verfasst; bis vor Kurzem lief noch die Vernehmlassung. Der Entwurf will im Heilmittelgesetz verankern, dass «niemand durch Ausschlusskriterien diskriminiert werden darf, insbesondere nicht aufgrund seiner sexuellen Orientierung».

Es ist Aufgabe von Swissmedic und Blutspende SRK Schweiz, die Eignungskriterien für die Blutspende auf der Grundlage medizinischer Kriterien zu erlassen. 

Ein Mittel, um die beiden Entscheidungsinstanzen Blutspende SRK Schweiz und Swissmedic dazu zu bewegen, die Kriterien fürs Blutspenden für homosexuelle Männer neu zu bewerten. Heute ist diese Mission fast erfüllt: Es werden mehrere Änderungen geprüft.

Ein wenig Geschichte. In der Schweiz wurden Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex haben, 1977 von der Blutspende ausgeschlossen. Ihr Sexualverhalten wurde damals als mit einem höheren Infektionsrisiko – Hepatitis B und C, später HIV – verbunden als das der übrigen Bevölkerung.

Im Jahr 2017 änderte sich die Schweizer Regelung nach einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union aus dem Jahr 2015. Dieses verurteilte es, homosexuelle Männer dauerhaft von der Blutspende auszuschliessen. Es müssten weniger einschneidende Massnahmen möglich sein. Daher können betroffene Männer in der Schweiz seit 2017 unter einer Bedingung Blut spenden: Die Auflage ist, dass sie in den letzten zwölf Monaten keine Beziehungen zu anderen Männern hatten. Eine Frist, die de facto eine Reihe von potenziellen Spendern ausschliesst.

Franziska Kellenberger, Kommunikationsdirektorin von Blutspende SRK Schweiz, erklärt:

«Alle Kriterien zum Blutspenden haben das Ziel, die Sicherheit der Blutprodukte für die oft schwerkranken Empfänger sowie für die Spenderinnen zu gewährleisten. Sie zielen niemals darauf ab, bestimmte Gruppen oder Personen systematisch von der Blutspende auszuschliessen. Die Sicherheit gewährleisten wir unter anderem durch hochsensible Labortests oder die Art der Zubereitung der Blutprodukte.

Dennoch ist es nicht möglich, alle Infektionserreger zu testen, die potenziell durch eine Bluttransfusion übertragbar sind. Deshalb werden Personen, bei denen nach den neuesten epidemiologischen Erkenntnissen ein Risiko besteht, sich mit einer bestimmten Krankheit anzustecken, nicht zur Blutspende zugelassen. Der Ausschluss ergibt sich aus der Tatsache, dass mit den derzeitigen Labor- und Produktionsanalysemethoden bestimmte Risiken nicht ausgeschlossen werden können. Und im Vordergrund steht die Sicherheit jener, die Blutprodukte empfangen.»

Die Schatten der Vergangenheit. Die Eignungskriterien für die Blutspende in der Schweiz gehören zu den restriktivsten in Europa. Unser Land ist noch immer geprägt vom Skandal um verseuchtes Blut. In den 1980er-Jahren erkrankten in der Schweiz zahlreiche Menschen, nachdem sie aufgrund von Mängeln in der Transfusionskette kontaminiertes Blut erhalten hatten. Der ehemalige Leiter des Rotkreuz-Labors erhielt 1998 sogar eine einjährige Haftstrafe, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Unsplash / Cassi Josh

Die Schweiz ist noch immer geprägt vom Skandal um verseuchtes Blut. (Symbolbild)

In einem Interview mit Heidi.news im August 2020 bedauerte Jean-Daniel Tissot, Hämatologe und ehemaliger Dekan an der Fakultät für Biologie und Medizin der Universität Lausanne, mittlerweile im Ruhestand, die fast zwanghafte Fixierung des Schweizer Transfusionssystems auf das Nullrisiko. Er brachte dies mit den Skandalen der Vergangenheit in Verbindung:

Der Wandel auf dem Vormarsch. Die Prognose des Hämatologen ist jedoch nicht eingetreten: Im Februar hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats die Vernehmlassung zu einem Gesetzesentwurf eröffnet, der die Diskriminierung von Spendern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verbieten soll.

Dies stützt sich auf Erfahrungen in Europa, Nordamerika und Australien, wo die Sperrfrist für homosexuelle Männer zum Blutspenden verkürzt oder sogar abgeschafft wurde – zuletzt im März dieses Jahres in Frankreich. In ihrem Bericht, der den Konsultationsentwurf begleitet, unterstützt die Kommission unter anderem folgende Argumente:

«Im internationalen Vergleich fällt es der Kommission schwer, zu erkennen, wie die spezifische Sperrfrist von zwölf Monaten für homosexuelle Männer in der Schweiz noch wissenschaftlich begründet werden kann. Gerade, wenn inzwischen Infektionsverdachtsfälle wie HIV, Hepatitis B oder Hepatitis C deutlich früher ausgeschlossen werden können.»

Die Kommission kommt darum zum Schluss, dass es unbegründet und diskriminierend ist, diese Frist weiter aufrecht zu erhalten. Diese Meinung teilt auch der Neuenburger Nationalrat Damien Cottier (FDP). Er hatte im März 2021 zu dieser Frage eine Interpellation eingereicht:

«Es ist Aufgabe von Swissmedic und Blutspende SRK Schweiz, die Eignungskriterien für die Blutspende auf der Grundlage medizinischer Kriterien zu erlassen. Das ist eine Frage der Sicherheit. Es ist sicherlich nicht Aufgabe der Politik, an ihrer Stelle zu entscheiden.

Allerdings erklärt der Bundesrat seit mehreren Jahren, dass er mit diesen Gesprächspartnern über eine Überprüfung der Kriterien im Gespräch ist, aber es tut sich nichts. Und das, obwohl sich die Regelungen in anderen Ländern weiterentwickelt haben.»

«Der Transfusionsdienst lässt die heutigen Generationen für die Skandale der Vergangenheit bezahlen. Es gab erschreckende Schäden an Menschenleben. Niemand wird den Mut haben, die aktuellen Massnahmen zu lockern, weil wir nicht wollen, dass sich die Geschichte wiederholt. Aber wenn wir von dieser Last der Geschichte befreit wären, hätten wir kein Problem damit, einige Sicherheitsmassnahmen zu lockern.»

Der Neuenburger findet: Im Jahr 2022 wäre es an der Zeit, das Risiko anhand des individuellen Verhaltens zu bewerten. Und nicht die Kriterien für die Eignung zum Blutspenden am Geschlecht und der sexuellen Orientierung festzumachen:

«Es ist die Aufgabe der Politik, zu handeln, wenn sie den Verdacht hat, dass das Diskriminierungsverbot in der Verfassung nicht eingehalten wird und ungerechtfertigterweise nach der sexuellen Orientierung unterschieden wird. Die Kunst besteht darin, ein besseres Gleichgewicht zwischen Nichtdiskriminierung und Sicherheit zu finden. Nur die Wissenschaft kann dies beurteilen.»

Das Ergebnis der Konsultation – befragt werden Kantone, die politischen Parteien und die betroffenen Kreise – wird vom Parlament im Laufe des Sommers bekannt gegeben. Die politischen Parteien und die Gesundheitskreise haben sich bereits für die Gesetzesänderung ausgesprochen.

Der Ball liegt nun bei der Wissenschaft. Blutspende SRK Schweiz erklärt nämlich, dass sie das Prinzip der Nicht-Diskriminierung von Blutspendenden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung befürworten.

Die von der Kommission geforderte Änderung «entspricht unseren Grundsätzen», sagt SRK-Kommunikationsdirektorin Franziska Kellenberger.

Der Entwurf will im Heilmittelgesetz verankern, dass «niemand durch Ausschlusskriterien diskriminiert werden darf, insbesondere nicht aufgrund seiner sexuellen Orientierung».

Ein wissenschaftlicher Ausschuss, den die Blutspende SRK Schweiz eingesetzt hat, setzt sich aus medizinischen Fachleuten und Vertretern des BAG zusammen. Er analysiert derzeit die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen und die ausländische wissenschaftliche Literatur.

Die Vorschläge auf dem Tisch. Die Änderungen, die der genannte wissenschaftliche Ausschuss beschliesst, werden als Empfehlungen an Swissmedic weitergeleitet.

Zwei Optionen werden derzeit geprüft. Konkret geht es darum,

– die besondere Frist für homosexuelle Männer von zwölf auf vier Monate zu verkürzen.

– oder die gleiche Regelung für alle anzuwenden. Das heisst, eine Frist von vier Monaten nach einem Wechsel des festen Partners oder von zwölf Monaten bei mehreren Partnern in den letzten vier Monaten. Auf die Frage nach der Dauer des Prozesses wehrt sich die Blutspende SRK Schweiz gegen Verzögerungen:

«Die Schweiz hat einen hohen Standard bei der Zulassung von therapeutischen Produkten, einschliesslich Blutprodukten. Um eine Änderung zu beantragen, müssen wir den Nachweis erbringen, dass die vorgeschlagene Änderung die Sicherheit der Patienten nicht gefährdet. Die Kriterien für die Zulassung von Blutspendern müssen der grösstmöglichen Sicherheit für Patienten und Spender folgen.   Und das Sammeln, Analysieren und Aufbereiten von Beweisen ist zeitaufwendig.»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von unserer Redaktorin Ramona Nock aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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