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Der kleine Akt des Bezahlens an der Supermarktkasse befindet sich in einem grossen Umbruch: Wir können nicht mehr nur zwischen Bargeld, Kredit- oder Debitkarten wählen, sondern auch mit Apps auf unseren Smartphones oder Smartwatches bezahlen. Dies verändert das ökonomische System.

Ein Blick in die Kamera, ein Druck mit dem Daumen, ein Winken mit der Hand und schon ist der Einkauf bezahlt. Die Apps für digitales Bezahlen versprechen uns, unser Leben zu erleichtern und zu verbessern: Sie erfassen unsere Ausgaben, bieten uns Rabatte an, helfen uns, die Zeit zu verkürzen, die wir an der Kasse verbringen, und sie werden in Zeiten einer globalen Pandemie angepriesen als «die hygienische Art, zu bezahlen».

Sophie Mützel

Die Soziologin Sophie Mützel ist ordentliche Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Medien und Netzwerke an der Universität Luzern. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Wirtschaftssoziologie, Kultursoziologie, computergestützte textanalytische Methoden, Soziologie des Digitalen, soziale Netzwerkanalyse sowie soziologische Theorie.

Dies ist jedoch nur die eine Seite des digitalen Bezahlens: jene aus Sicht der Kundschaft und ihren Annehmlichkeiten. Den Anbietern dieser Dienste geht es aber um viel mehr: Daten sammeln, diese bearbeiten und zusammenführen, den Zugang zu zielgruppenspezifischen Datengruppen verkaufen, damit Datenprofile und Werbeinteressen zusammenbringen und letztendlich den Gewinn steigern.

Fast alle globalen Tech-Giganten – also Alibaba, Amazon, Apple, Baidu, Facebook/Meta, Google/Alphabet, Samsung und Tencent – bieten eigenständige digitale Zahlungsoptionen an, zudem gibt es auch eine Vielzahl regionaler Apps.

Weltweit ist die Nutzung je nach kulturellem, rechtlichem, institutionellem und demografischem Kontext sehr unterschiedlich. Länder des asiatisch-pazifischen Raums sowie nordische europäische Länder verzeichnen bezogen auf die Bevölkerungszahl die meisten Nutzungen. So nutzt zum Beispiel die Hälfte der Bevölkerung des asiatisch-pazifischen Raums regelmässig digitale Bezahlsysteme. Und wie die ersten Statistiken zeigen, hat die Covid-19-Pandemie die Einführung kontaktloser, digitaler Zahlungen weltweit beschleunigt. Aktuelle Marktprognosen erwarten auch in den nächsten Jahren einen bedeutenden Anstieg der Nutzung, insbesondere in Europa von heute 25 auf über 35 Prozent der Bevölkerung.

Auch in der Schweiz ist die Nutzung von bargeldlosen Optionen beim Bezahlen seit Pandemiebeginn stark angestiegen, während der Bargeldgebrauch deutlich abgenommen hat – von knapp über der Hälfte aller Transaktionen in Geschäften in 2019 zu 35 Prozent im Januar 2022. Wobei hierzulande kontaktloses Bezahlen mit Debitkarten dabei ist, das traditionelle Bargeldbezahlen abzulösen und zum neuen Bezahlstandard zu werden – sie ist sowohl das umsatzstärkste (42 Prozent) als auch das meistgenutzte Zahlungsmittel (37 Prozent) in Geschäften in der Schweiz. Auch das Bezahlen mit Smartphone, hauptsächlich über die schweizerische App Twint, im Rahmen alltäglicher Einkäufe im Geschäft hat stark zugenommen, stellt jedoch trotz vier Millionen Nutzenden bislang mit acht Prozent nur einen kleinen Anteil aller Bezahltransaktionen dar.

Ein anderes Bild bieten Länder wie Schweden, die sich in Richtung einer Bargeldlosigkeit entwickeln. Die schwedische App Swish wird von achtzig Prozent der dortigen Bevölkerung genutzt und ist überall im Alltag einsetzbar, nicht nur in Geschäften, sondern auch auf Flohmärkten und in Gottesdiensten. Wie auch Twint wird Swish genutzt, um Geldsummen für Einkäufe zu überweisen, aber auch um Auslagen im Freundeskreis zu begleichen. Begleitet wird die Zahlung von einer Nachricht, mit Text und Emojis – ganz im Stil der Kommunikation auf sozialen Netzwerkplattformen.

Bargeldlos bezahlen ist nur Teil der Entwicklung

Die Nutzung von digitalen Bezahlsystemen geht mit der generelleren Automatisierung von Alltagsprozessen einher. So lässt sich eine Entwicklung von Einzelhandel mit Tresen und Bedienung, Selbstbedienung im Supermarkt, Versuche der Modernisierung der Supermarktkassen von Selbsttipp-Kasse bis zur Scan-Kassen mit Kassiererin, hin zu den aktuellen Entwicklungen der Self-Scan- und Self-Checkout-Kassen sowie kassenlosen Geschäften wie Voi Cube oder Avec box erkennen. Diese Automatisierungsprozesse verändern Tätigkeiten. So sind nun Supermarktkundinnen auch Kassiererinnen; vormalige Kassiererinnen überwachen nun die Bezahlvorgänge.

Self-Checkout-Kassen in einer Migros-FilialeShutterstock / Sorbis

Self-Checkout-Kassen in einer Migros-Filiale am Flughafen Zürich.

Doch nicht nur die Tätigkeiten verändern sich im stationären Handel, sondern auch die Beziehungen zwischen Kundschaft, Geschäften, Banken, Apps, globalen Techunternehmen, Finanzdienstleistern und auch Marketingagenturen. Dienten frühere Modernisierungen in Supermärkten den Interessen der Beschleunigung und damit der Umsatzsteigerung, so sind die heutigen Versuche das «Kauferlebnis» zu vereinfachen von dem Interesse geprägt, systematisch und mit Hilfe von digitalen Technologien mehr über die Kundinnen und Kunden zu erfahren – um ihnen bereits während des Einkaufs anzubieten, was sie suchen, oder etwas, von dem sie möglicherweise noch gar nicht wussten, dass sie es suchen. So versuchen Geschäfte ihre Waren zu verkaufen, Marketingfirmen ihre Werbung für die Waren zielgenau zu platzieren und Techunternehmen den Zugang zu Zielgruppen genauestens zu vermitteln. Letztendlich geht es aber immer darum, den Gewinn zu steigern.

Daten sammeln, Gewinn steigern

Der finanzielle Erfolg der grossen Techunternehmen und des Onlinehandels gibt ihnen recht. Offenbar lohnt es sich, auch scheinbar kleine, nebensächlich anfallende Verhaltensinformationen zu Aussagen über zukünftige Präferenzen zu verarbeiten, die wiederum auf weiteren Konsum gerichtete Werbung und Angebote ermöglichen. Die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff spricht in ihrem Buch vom «Überwachungskapitalismus». Zwischen anfallenden Daten und weiteren Angeboten liegen Prozesse des Berechnens, des Kategorisierens, des Sortierens und des Zusammenführens von Datenpunkten. Hierbei spielen Empfehlungssysteme eine entscheidende Rolle. Empfehlungssysteme sind Ordnungstechnologien des Digitalen. Sie bestimmen, welche Filme, Songs oder Artikel uns in welcher Reihenfolge angezeigt werden. Wobei es dank Cookies sogar möglich ist, die potenzielle Kundschaft über unterschiedliche Webseiten zu verfolgen.

Auf Smartphones verhält es sich anders. Hier hängt das Sammeln von Informationen von den Genehmigungen ab, welche die Nutzenden einer App erteilen: Sei dies der Zugriff auf Standortdaten, Kontaktinformationen oder andere auf dem Gerät registrierte Konten. Bezahl-Apps liefern wichtige Hinweise nicht nur darauf, welche Werbung betrachtet wurde, sondern welche Produkte an welchen Orten gekauft wurden. Und: In den händlereigenen Apps, in denen Kundenkarte, Rabattaktionen, Freundschaftsbeziehungen, Gewinnspiele und Details zu gescannten Waren zusammenkommen, ist nun der kleine, einfache, fast unmerkbare Akt des digitalen Bezahlens ein entscheidender Schritt, die Kette an Datenpunkten über einzelne Kundinnen und Kunden wachsen zu lassen und den Lauf von errechneten Präferenzen, über geschaltete Werbung bis hin zum Kauf zu vervollständigen. Bezahl-Apps wirken somit als zentrale Instrumente der digitalen Ökonomie.

Was das mit uns macht

Auf lange Sicht entstehen hier gleich mehrere neue Ungleichheiten: zum einen zwischen der konsumierenden Bevölkerung und vielwissenden Techunternehmen, zum anderen aber auch zwischen jenen, über die sich viele Daten sammeln lassen und solchen, die weniger Datenspuren hinterlassen, die zum Beispiel lieber alles in bar bezahlen und damit aber auch für Firmen, Banken und Kreditgeber weniger gut berechenbar und einschätzbar sind. Entsprechend den Funktionsweisen der digitalen Ökonomie ist anzunehmen, dass Letztere eines Tages weniger gute Angebote oder Kredite erhalten – weil sie unberechenbar sind. Die Wirkweisen der digitalen Ökonomie sind klar, doch die Spielregeln sind von anderen gemacht: Wir müssen mitspielen und Datenpunkte generieren, sonst sind wir zukünftig draussen aus dem Spiel. Dieser Imperativ zur Nutzung von doch scheinbar so alltagsvereinfachenden Apps wie Bezahl-Apps sorgt bei uns für tiefe Verunsicherung. Wir brauchen Aufklärung zur Sammlung, Weiterverarbeitung und Weiternutzung der Datenpunkte, um das System besser zu verstehen. Und: Wollen wir nicht in politischen und sozialen Gemeinschaften leben, die sich auch um diejenigen sorgen und ihre Teilhabe sichern, die nicht mit Smartphones ihren Einkauf tätigen können oder wollen?

Klartext

Sechs hochkarätige Forscherinnen und Forscher schreiben im «Klartext» pointiert und faktenbasiert ihre Meinung zu einem selbst gewählten wissenschaftlichen Thema. Das wissenschaftliche Sextett setzt sich zusammen aus Dominique de Quervain, Neurowissenschaftler (Uni Basel), Sophie Mützel, Soziologin (Uni Luzern), Martin Röösli, Umweltepidemiologe (Swiss TPH), Monika Bütler, Ökonomin (Uni St. Gallen), Klimaforscher Reto Knutti (ETH Zürich) sowie Nikola Biller-Andorno, Professorin für Biomedizinische Ethik (Universität Zürich).
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