Erfunden hat er das Mini-Trottinett nicht. Das gibt er unumwunden zu. Aber Wim Ouboter aus Uetikon am See hat dem flinken Roller zur heutigen Popularität verholfen. Der Unternehmer mit holländischen Wurzeln und festem Händedruck fühlt sich sichtlich wohl hinter dem Schreibtisch aus Massivholz, der fast die Hälfte seines Büros einnimmt. Er sitzt auf einem Gymnastik-Ball aus Leder – einem Symbol für Dynamik und ständiger Bewegung. Mit seiner Bass-Stimme erzählt er von Höhen und Tiefen seines Unternehmens und davon, wie alles begann.

Mitte der 1990er-Jahre wohnt Wim Ouboter gut einen Kilometer vom legendären Sternen-Grill am Zürcher Bellevue entfernt. Will er eine Wurst essen, gerät er in ein Dilemma: Denn der Imbiss ist, wie er sagt, «zu Fuss zu weit weg und um das Fahrrad zu nehmen, zu nah.» Ideal wäre ein kleines Trottinett, überlegt er sich. Just baut er gemeinsam mit einem Freund daheim in der Garage ein solches Gefährt – und wird damit am Bellevue zur grossen Belustigung: «Hätte ich die Wurst am Imbiss-Stand splitternackt gegessen, hätten die Leute weniger geglotzt», erinnert er sich heute. Entmutig lässt er das Ding im Keller verstauben – bis seine Frau ihn motiviert, einen neuen Prototypen zu basteln. Familienmensch Ouboter lässt sich überreden; zur Freude seiner beiden Söhne. Die Knirpse sind derart begeistert vom neuen Spielzeug, dass er die Entwicklung vorantreibt. Sein Ziel dabei: «Das Trottinett muss so handlich sein, dass es sich nach der Fahrt in einer Papiereinkaufstasche verstecken lässt.»

Die Idee der «Mikro-Mobiliät» ist geboren: Wim Ouboter sieht sein klappbares Mini-Trottinett als Ergänzung zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder zum Auto. Es soll der Überwindung von kurzen Distanzen dienen. Dass das Mini-Trottinett dereinst zum beliebten Kinderspielzeug wird oder gar eine neue Trend-Sportart ins Leben ruft, ahnt der findige Tüftler noch nicht, als er 1996 die Firma Micro Mobility Systems AG mit Sitz in Küsnacht gründet.

«Nur wer wirklich gut ist, wird kopiert.»Wim Ouboter

Der Prototyp lässt sich zwar nun tatsächlich in einer Tragtasche verstecken. Verstecken will der Erfinder seine Innovation aber nicht. Vielmehr will er damit nun an die Öffentlichkeit. Für die Produktion findet Ouboter Partner in Taiwan, für das Marketing spannt er mit dem Autohersteller von Smart zusammen. Die Werbebotschaft «Reduce to the max» ist genau nach Ouboters Geschmack. Zwei Unternehmen, eine Philosophie. Als sich die Auslieferung der Stadtautos wegen technischer Probleme verzögert, hat Ouboter eine Idee: Er will allen Kunden, die vergeblich auf ihren Smart warten, ein Trottinett schenken. Dieser Einfall kommt bei den Verantwortlichen des Stadtautos gar nicht gut an. Und der Jungunternehmer steht mit einem Schlag ohne Marketing-Partner da.

Doch so schnell gibt sich der Zürcher nicht geschlagen und versucht sein Glück bei der Sportfirma K2 in den USA. Aber er wird bloss ausgelacht. Er kämpft weiter und klopft bei K2 Europa an. Mit Erfolg. Er schafft es, im Jahr 1999 an der Sportmesse ISPO in München vier Meter Wand am K2-Stand zu ergattern. «Es war ein riesiger Erfolg. Die Besucher rissen sich um unsere Ausstellungsobjekte.» Auch ein Jahr später gehört er zur grossen Attraktion der Messe. Die Nachfrage nach seinen Mini-Trottinetts steigt rasant. Ouboter mietet in China drei Fabriken für die Produktion und stellt in einem Jahr fast 10 000 Arbeiter an. Pro Tag verlassen 20 Container bis zum Rand mit Mini-Trottinetts gefüllt die Produktionsstätten. Das Jahr 2000 geht als das Boom-Jahr in die noch junge Firmengeschichte ein.

Ein Sportler mit nacktem Oberkörper macht einen Trottinett-Trick in einer Halfpipe.micro mobility systems AG

Das heutige Mini-Trottinett im Einsatz: mehr als nur
ein Fortbewegungsmittel. Bild: micro mobility systems AG

Doch nur ein Jahr später bricht das Geschäft komplett zusammen. Raubkopien überschwemmen den Markt. Die Schweizer Originale lassen sich nicht mehr verkaufen. Da vermögen auch die Worte des Vaters «Nur wer wirklich gut ist, wird kopiert» nicht den nötigen Trost spenden. Hinzu kommt, dass die Rechtslage reichlich kompliziert ist. «Erfunden habe ich das Mini-Trottinett nicht. Das gibt es schon seit bald 100 Jahren», sagt Ouboter. Deshalb kann er nur einzelne Komponenten patentieren lassen. Und weil Behörden in gewissen Ländern das Trottinett plötzlich als Spielzeug einstufen, fehlen entsprechende Sicherheitszertifikate. Die mühselige Zeit der Gerichtsprozesse beginnt. «Ich hätte nur zu gerne aufgegeben. Aber das war keine Option.».

2005 kämpft sich Ouboter zurück auf den Markt. Ganz langsam diesmal. Seine Devise: «Mit Sanftheit zum Erfolg statt mit einem Schnellschuss ins Abseits.»

Mehrfach erfunden

Nicht nur in Wim Ouboters Garage, sondern auch in den Sulzer-Lehrlingswerkstätten in Winterthur wurde Mitte der 1990er-Jahre an einem Mini-Trottinett gebastelt. Unter den Fittichen von Edmundo Duarte bauten die Lehrlinge einen trendigen Roller, der später sogar den Weg ins Schweizerische Landesmuseum Zürich gefunden hat. Der kommerzielle Durchbruch blieb allerdings aus. Übrigens: Das allererste Patent eines zusammenklappbaren Mini-Trottinetts geht auf das Jahr 1932 zurück und stammt aus den USA.

Heute hat seine Firma um die 50 Modelle im Sortiment. Nach wie vor steht die Mikro-Mobilität im Vordergrund. Eines der Flaggschiffe ist ein Modell mit einem Koffer an der Stange und zwei Vorderrädern – das Produkt einer Zusammenarbeit mit dem Weltkonzern Samsonite. Das Trittbrett mitsamt den Hinterrädern lässt sich hochklappen und verschwindet im Boden des Gepäckstücks. So wird aus dem Fahrzeug ein Rollkoffer, der als Handgepäck mit in die Flugzeugkabine darf. Es gibt aber auch knallbunte Trottinetts für Kinder. Ein Modell sogar mit einem Sitz als Laufhilfe für die Kleinsten. Eine weitere Zielgruppe sind Freizeitsportler. Ouboter vermutet, dass es weltweit mehr als eine halbe Million Mini-Trottinett- Fahrer gibt, die auf den Halfpipes wilde Kunststücke machen. Und zwei verrückte Studenten aus Frankreich haben auf ihren Scootern eine Weltreise gemacht: 343 Tage, 3500 Kilometer, 4 Kontinente, 21 Länder. Mikro-Mobilität ganz gross.

Den neuesten Scooter präsentiert Wim Ouboter nun erstmals gemeinsam mit seinem Sohn Oliver. Der bald 20-Jährige arbeitet neu im Unternehmen seines Vaters. Der ganze Stolz des Duos trägt den Name Kickelec und fährt mit einem Elektromotor. Maximal 20 Kilometer pro Stunde schafft es. So will es das Gesetz. Und Ouboter hat keine Lust auf weitere Rechtsstreite. «Man kann sein Geld für Anwaltskosten oder für Innovationen ausgeben. Ich finde Investitionen in die Zukunft sind nachhaltiger und machen mehr Spass.»

Am Mittwoch, 24. Januar 2018, hat Wim Ouboter im Zürcher Kaufleuten das Vorserienmodell seiner neuesten Entwicklung vorgestellt: das elektrisch betriebene Nahverkehrsmittel Microlino. higgs.ch war live dabei und hatte noch ein paar Fragen.

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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