Das musst du wissen

  • Satelliten, autonome Roboter, vernetzte Traktoren: Die Landwirtschaft nutzt immer mehr neue Technologien.
  • Was spektakulär klingt, ist in der Praxis oft sehr unscheinbar: Zum Beispiel, wenn Daten über Kühe gesammelt werden.
  • International gibt es grosse Unterschiede: So ist der Spagat zwischen Europa und Afrika riesig.

Weinberge pflegen per Drohne, Bewässern mithilfe von Satelliten, Pflanzen überwachen durch elektrochemische Signale: Es mangelt nicht an Ideen, um den Landwirten unter die Arme zu greifen und den Beruf zu revolutionieren. Doch die Digitalisierung der Landwirtschaft bedeutet mehr, als nur ein wenig Technologie auf die Felder zu streuen. Und es gibt grosse Hürden für die Digitalisierung.

Warum wir darüber sprechen. Wie viele andere Sektoren tendieren auch die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie dazu, ihre Praktiken zu digitalisieren – sei es in der Schweiz oder international. Die Digitalisierung sei ein wichtiger Hebel zur Lösung der Probleme des globalen Ernährungssystems, heisst es. Zweihundert Schweizer Vertreter dieser beiden Sektoren haben 2018 eine Charta unterzeichnet, um den Übergang zu beschleunigen.

«Innovation ist tendenziell langsam und nicht linear.»David Rose

Aber wie sieht es in der Realität aus? Nutzen die Landwirte die vorhandenen Werkzeuge? Stösst «Agri-Food-Tech» auf echtes Interesse? Das Institut für Anthropologie der Universität Neuenburg organisierte kürzlich ein Kolloquium, an dem internationale Geographen, Soziologinnen und Anthropologen teilnahmen.

Die Idee: Studien und Erfahrung aus der Praxis austauschen, mit symbolischen Elementen wie Robotern oder vernetzten Traktoren. «Es geht aber nicht nur um die Digitalisierung der Landwirtschaft und der Ernährung. Manchmal geht es um weniger spektakuläre Veränderungen», erklärt der Ethnologe Jérémie Forney von der Universität Neuchâtel.

Immer noch zu viel Bürokratie. Zu dieser gehören zum Beispiel IT-Werkzeuge für das Einrichten von Direktzahlungen oder für das Übermitteln von Daten, mit denen ein Label erlangt werden kann. Jeremie Forney hat sich mit diesen Werkzeugen beschäftigt, die weit weniger sichtbar sind als eine Drohne auf einem Feld. Er erklärt:

«Die Digitalisierung der Landwirtschaft erhält viel Aufmerksamkeit, doch in der Praxis ist sie eher schwach ausgeprägt. Anstatt eine Big-Data-Logik zu verfolgen, sind wir immer noch dabei, die Daten Punkt für Punkt zu kontrollieren. Beispielsweise, wie oft Kühe rausgehen oder um die Menge des Düngers zu erfassen.»

Die Digitalisierung ist noch weit davon entfernt, das System zu verändern. Sie verändert nur die Schnittstelle, über die Daten gesammelt und überwacht werden. «Was die digitalen Technologien den Landwirten bietet, bleibt minimal», schliesst Jérémie Forney.

Der Austausch von Daten erfordert, dass viele Akteure zusammenarbeiten – manchmal auch solche, die sich gegenseitig konkurrieren oder misstrauen.

Wie kann man Daten teilen? Ein fiktives Beispiel: Man könnte sich eine schweizweite Datensammlung vorstellen, um Trends beim Sprühen von Pestiziden oder beim Schädlingsbefall zu erkennen. Dazu müsste man nur eine Datenplattform einrichten, die von Landwirten, dem Bundesamt für Landwirtschaft, Zertifizierungsstellen und anderen Akteuren im Lebensmittelbereich gefüttert wird.

Bisher gibt es jedoch nichts dergleichen, und solche Projekte entstehen nur langsam. «Im Jahr 2015 gab es im Schweizer Agrarsektor ein grosses Projekt für ein zentrales Datenerfassungssystem», berichtet Léa Stiefel von der Universität Lausanne.

Als Doktorandin, die sich auf Sozialstudien zu Wissenschaft und Technik spezialisiert hat, erklärt sie: Für die Befürworter der Plattform bestand das Ziel darin, «die Daten aller Landwirte in einer einzigen Datenbank zu sammeln» und so Doppelläufe zu vermeiden.

Doch das Projekt erzeugte Misstrauen und Widerstand bei vielen Landwirten und auch bei staatlichen Stellen. Das Tool wurde zwar ins Leben gerufen, aber nicht in der ursprünglich gedachten Form einer einmaligen, zentralen Datenerfassung.

Die Herausforderung ist also nicht nur eine technische, sondern auch eine soziale, genauer gesagt eine soziotechnische: Der Austausch von Daten erfordert, dass viele Akteure zusammenarbeiten – manchmal auch solche, die sich gegenseitig konkurrieren oder misstrauen. Eine solche Plattform muss die Datensysteme aller Beteiligten berücksichtigen, um zu existieren und langfristig bestehen zu können.

Künstliche Intelligenz – und ihre Grenzen. Zahlreiche Projekte beschäftigen sich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in landwirtschaftlichen Betrieben. Eines davon ist das Projekt Maaratech, gleitet von der Universität Auckland in Neuseeland. Es befasst sich damit, wie man zum Beispiel mithilfe von Robotern Daten in Weinbergen sammelt, Weinreben schneidet oder in Obstplantagen Früchte erntet.

«Die Idee ist, dass man die beste Strategie für ein Problem herausfindet, wenn man so viele Daten wie möglich sammelt», erklärt Katharin Legun von der Universität Wageningen in den Niederlanden. Die Expertin für strategische Kommunikation arbeitet daran, das Projekt im Einklang mit den Bedürfnissen der Landwirte zu konzipieren.

Das Problem ist nicht so sehr, Daten über den Zustand der Kulturen zu sammeln, sondern ihre Kennzeichnung: Ist es ein Blatt? Ist es ein Stamm? Ist es eine Frucht? Eine weitere Schwierigkeit für den Roboter besteht darin, zu beurteilen, ob die bereits von Hand ausgeführten Arbeiten korrekt erledigt wurden.

Katharin Legun fügt noch eine weitere wichtige Hürde hinzu: die Akzeptanz des Geräts durch den Landwirt:

«Es kann frustrierend sein, mit Weinbauern zu arbeiten, die sagen, dass jeder seine eigene Art und Weise hat, etwas zu tun. Die Landwirte haben manchmal nicht die besten Ideen, um die optimale landwirtschaftliche Strategie zu erreichen.»

Den Forschern fehlt die Erfahrung in der Praxis. «Immer mehr Unternehmen interessieren sich für die Welt der Start-ups, welche die Lebensmittel- und Agrarindustrie verbessern wollen», betont Moritz Dolinga, Doktorand an der Universität Leipzig, Deutschland. Er arbeitet seit 2020 an der Neuerfindung der Landwirtschaft im Kontext der Digitalisierung.

Nach einer Analyse der Investitionen im Agrifood-Tech-Sektor in den Niederlanden hält der junge Forscher fest, dass die meisten Gründer von Start-ups ehemalige Wissenschaftler und Ingenieure sind, die von ihren Institutionen, Schulen und Universitäten zur Gründung von Spin-offs ermutigt wurden. Das Problem ist, dass die Forschenden und Techniker keine Businesserfahrung haben.

«Sie kennen nicht die richtigen Werkzeuge und verfügen nicht über die richtigen Beziehungen, die für die Entwicklung eines Start-ups unerlässlich sind», erklärt Moritz Dolinga. Diese Schwierigkeit ist zwar nicht spezifisch für Agrofood-Tech, aber die Strukturierung des Sektors macht die Aufgabe nicht einfacher. Grosse multinationale Konzerne und kleine Start-ups existieren nebeneinander, ohne dass es wirklich mittelgrosse Akteure gibt. Wenn es sie gibt, werden sie sehr schnell von den Marktführern absorbiert», betont der Doktorand.

In Europa werden immer mehr autonome Roboter eingesetzt, während viele Menschen in Afrika nicht einmal über die grundlegenden Techniken verfügen, um ihre Landwirtschaft zu verbessern.

Kommt jetzt die Landwirtschaft 4.0? David Rose von der Universität Reading in England ist der Meinung, dass es vermessen ist, von einer Revolution in der Landwirtschaft durch die Digitalisierung oder gar von Landwirtschaft 4.0 zu sprechen. Er sagt:

«Innovation ist tendenziell langsam und nicht linear. Sehr oft kombiniert sie verschiedene Veränderungen – soziale, politische, technische – wie man bei der Grünen Revolution sehen kann.»

Der Forscher hat in zwei oder drei Jahrzehnten nur wenige Veränderungen bei den landwirtschaftlichen Techniken beobachtet. David Rose zieht es daher vor, die Digitalisierung der Landwirtschaft als Evolution und nicht als Revolution zu bezeichnen.

Und der Forscher weist darauf hin, dass es grosse Unterschiede zwischen den Ländern gibt. In Europa werden immer mehr autonome Roboter eingesetzt, während viele Menschen in Afrika nicht einmal über die grundlegenden Techniken verfügen, um ihre Landwirtschaft zu verbessern.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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