Privathaushalte in der Schweiz sind bei ihrer Stromversorgung immer noch vom Energieanbieter ihrer Gemeinde abhängig. Diese Monopolstellung ist dem Bund schon lange ein Dorn im Auge. Seit Jahren ringt die Politik darum um eine Liberalisierung des Haushaltstroms. Dann dürfte jeder Haushalt seine Energie dort einkaufen, wo er möchte. Damit sollen nicht nur die Strompreise sinken, sondern auch die Energiewende forciert werden, da die Konsumentinnen und Konsumenten tendenziell grünen Strom einkaufen würden. So zumindest die gängige These.

Manuel GriederFernUni Schweiz

Manuel Grieder, Assistenzprofessor in Wirtschaft, FernUni Schweiz.

Doch die Erwartungen an diese Liberalisierung könnten herb enttäuscht werden, wie eine neue Studie zeigt. «Wenn man den Leuten die freie Wahl zwischen Hunderten von Strom-Anbietern lässt, sind sie schnell überfordert. Anstatt grünen Strom kaufen sie dann eher den günstigsten Strom auf dem Markt, der nicht besonders umwelt- oder klimafreundlich ist», sagt Manuel Grieder, Assistenzprofessor der Fakultät Wirtschaft an der FernUni Schweiz und Co-Autor der Studie. Anstatt das Klima zu entlasten, würde der eingekaufte Strom die Umwelt und das Klima also noch mehr belasten.

Doch wie kauft man überhaupt nachhaltig produzierten Strom von einem Windkraftwerk in der Nordsee für eine Steckdose in der Schweiz? «Ich kann den Strom aus Norddeutschland natürlich nicht dazu zwingen, zu mir nach Hause zu fliessen», erklärt Grieder. «Die Kraftwerke erhalten je nach produzierter Strommenge eine bestimmte Anzahl an Zertifikaten. Das ist eine Art Herkunftsnachweis. Und die werden dann an die Konsumenten verkauft.»

Experiment mit realem Geld

Um nun das zukünftige Verhalten der Schweizerinnen und Schweizer zu untersuchen, hat Grieder gemeinsam mit Rebekka Bärenbold von der Universität Basel und Renate Schubert von der FernUni Schweiz und der ETH Zürich ein Experiment durchgeführt: Studierende und eine repräsentative Stichprobe von Personen aus der Bevölkerung bekamen alle 22 Franken. «Mit dem Geld sollten sie auf unserem virtuellen Markt Strom für einen Zweipersonenhaushalt für einen Monat einkaufen», erklärt Grieder.

Die Probanden wurden in zwei Gruppen unterteilt. Eine Gruppe kaufte den Strom unter heutigen Umständen im Monopol. Sie hatte die Auswahl zwischen sechs verschiedenen Stromverträgen eines einzigen Anbieters. Die Preisspanne lag dabei zwischen CHF 7.80 und CHF 16.00 pro Monat. Je nachdem, wie nachhaltig der Strom war. Die andere Gruppe hatte Zugang zu einem liberalen Strommarkt mit Hunderten von Anbietern.

«Wichtig beim Experiment war, dass die Teilnehmenden den Rest des Geldes behalten durften. Das heisst, obwohl unser Strommarkt nicht echt war, gab es echte Konsequenzen – nämlich mehr oder weniger Geld im Portemonnaie. In früheren Studien hat man das nicht so gemacht. Da wurden die Leute einfach befragt. Da ist es klar, dass sich alle besonders grün und nachhaltig geben.»

Bei Überforderung steht Preis im Mittelpunkt

Beim Experiment mit echtem Geld überlegten sich die Leute genauer, welchen Strom sie kaufen würden. Das Resultat fiel überraschend aus: «Bei der geringen Auswahl unter Monopol-Bedingungen nahmen sich die Leute mehr Zeit, sich mit Fragen der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Diese Teilnehmenden kauften tendenziell den etwas teureren grünen Strom aus Wasserkraft, Wind oder Solarenergie», sagt Grieder. «Unter liberalisierten Bedingungen hingegen wählten sie oft das günstigste Angebot aus und schauten weniger auf die Nachhaltigkeit.»

Die Erklärung für dieses Verhalten sieht Grieder in der limitierten Aufmerksamkeit: «Wenn man Hunderte von Anbieter miteinander vergleichen muss, ist man schnell überfordert. Vor allem, wenn man sich mit einem komplexen Thema wie der Nachhaltigkeit von Strom auseinandersetzen muss. Ist Wind- oder Sonnenenergie besser? Wie verhält es sich mit Kernkraft? Da schaltet das Gehirn schnell auf etwas um, das es versteht, und das ist der Preis.»

Für die geplante Liberalisierung des Haushaltstroms heisst das: «Wenn man die Nachfrage nach grünem Strom durch eine Marktöffnung fördern will, dann muss man den Prozess begleiten. Sonst kommt es nicht gut.»

Eine entscheidende Rolle kommt hier der Technologie zu. «Wenn wir in der Schweiz in Zukunft ein Vergleichsportal für die Stromanbieter aufziehen, muss darauf geachtet werden, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher von der Information nicht erschlagen werden. Wichtig ist vor allem, dass sich die Angebote nach ökologischen Gesichtspunkten sortieren lassen. Am besten macht man das zur Standardeinstellung. Dadurch schauen die Leute automatisch erst auf die Nachhaltigkeit und danach auf den Preis.»

Kontakt: Prof. Dr. Manuel Grieder, Assistenzprofessor in Wirtschaft, FernUni Schweiz.

Weitere Informationen zum Thema finden sich in dieser Studie; Forschungsprogramm Energie – Wirtschaft – Gesellschaft des Bundesamts für Energie, das die Studie mit der ETH Zürich finanziert hat; Informationen zur geplanten Strommarktliberalisierung; Fairpower: Partner, mit dem die Käufe der Herkunftsnachweise abgewickelt wurden.

FernUni Schweiz

Hier präsentiert die FernUni Schweiz Geschichten aus der Forschung. Als akkreditiertes universitäres Institut bietet sie seit dreissig Jahren Fernstudiengänge an. Die Bachelor- und Master-Studiengänge sowie die Weiterbildungsangebote in den Bereichen Recht, Wirtschaft, Geschichte, künstliche Intelligenz, Mathematik und Psychologie sind über die Schweiz hinaus anerkannt und international gestützt.
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