Das musst du wissen

  • Nach dem Reaktorunfall von Fukushima hat die Schweiz beschlossen, aus der Kernenergie auszusteigen.
  • Ende Dezember 2019 ging Mühleberg als erste Anlage nach 43 Jahren Betrieb vom Netz.
  • Der Rückbau dauert voraussichtlich bis 2034. Endlager für die radioaktiven Abfälle gibt es dann wohl aber noch keine.

Warum wir darüber sprechen. Die Atomindustrie befindet sich an einem Wendepunkt ihrer Geschichte: Zum einen erreichen viele Kraftwerke das Ende ihrer Lebensdauer. Andererseits hat der Unfall von Fukushima vor gerade einmal 10 Jahren eine Welle des Atomausstiegs in der Energiepolitik ausgelöst.

Das Vermächtnis von Fukushima. Thomas Thöni, Sprecher des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats, erklärt:

«Der Unfall in Fukushima hat gezeigt, dass es für die Schweiz wichtig ist, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen, sondern kontinuierlich aufmerksam und kritisch zu bleiben, die Technik und die Überwachungsaktivitäten regelmässig zu überprüfen und die kerntechnischen Anlagen bis zu ihrer Stilllegung nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik umzurüsten.»

In der Schweiz gibt es kein offizielles Datum für den Ausstieg aus der Kernenergie. Damit sind das fortgeschrittene Alter der Anlagen und die Kosten für deren Nachrüstung die Hauptfaktoren dafür, wann sie abgeschaltet werden. Andreas Pautz, Professor am Labor für Reaktorphysik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne EPFL sagt:

«Technisch gesehen ist so gut wie alles in einem Kernkraftwerk austauschbar. Die einzige Ausnahme ist der Reaktordruckbehälter. Während des gesamten Betriebs der Anlage ist der Behälter hohem Druck und Strahlungen ausgesetzt, die ihn schwächen können. Aufgrund der Abschätzung wie schnell diese Schwächung erfolgt, wird die maximale Lebensdauer einer Anlage auf etwa 50 oder 60 Jahre angesetzt.

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Es kann sehr kostspielig sein, den Betrieb mit einer angemessenen Sicherheitsmarge für die erforderlichen Nachrüstungen aufrecht zu erhalten. Wenn das Nachrüsten im Verhältnis zur erwarteten Lebensdauer der Anlage zu kostspielig und es ist unwirtschaftlich wird, kann der Betreiber entscheiden, die Anlage abzuschalten. Das war bei Mühleberg der Fall.»

Die Stilllegung des Kraftwerks Mühleberg 2019 – nach 47 Betriebsjahren – wurde somit primär aus wirtschaftlichen Gründen entschieden. Der Betreiber, das Berner Energieunternehmen BKW, ist seither dabei, die Anlage bis 2034 Schritt für Schritt zurückzubauen.

Demontage. Laut BKW erfolgt die Demontage in mehreren Etappen:

  • Zunächst wird der Kernbrennstoff aus seinem Tank entnommen und in einem Becken im Kraftwerk selbst gelagert. Ziel ist es, ihn fünf Jahre lang zu kühlen, um ihn danach zu konditionieren und zu entsorgen.
  • In dieser Zeit beginnt der Abbau der inneren Infrastrukturen. Wenn die Radioaktivität zu hoch ist, wird er unter Wasser durchgeführt. Die radioaktiven Abfälle werden nach und nach in das Zwischenlager in Würenlingen des Kantons Aargau gebracht.
  • Im Jahr 2024, fünf Jahre nach Beginn des Abbaus, wird der abgekühlte Brennstoff in das Zwischenlager gesandt.
  • Zwischen 2025 und 2030 wird der Kern der Anlage einschliesslich des Reaktorbehälters und der Containment-Komponenten abgebaut.
  • Der Abriss der Gebäude selbst wird erst im Jahr 2031 beginnen, nachdem sie von den Behörden geprüft worden sind und je nachdem, ob das Gelände für industrielle oder natürliche Zwecke genutzt werden soll. Das gesamte Projekt soll im Jahr 2034 abgeschlossen sein.

Unvorhergesehenes. Der aktuelle Wissensstand zu Stilllegungsverfahren stimmt Andreas Pautz zuversichtlich. So sei es immer genauer möglich, Budgets und Termine abzuschätzen. Dennoch weist er darauf hin, dass unvorhergesehene Ereignisse die Arbeit verzögern können.

«Da es sich um alte Anlagen handelt, ist es möglich, nicht dokumentierte radioaktive Materialien an unzugänglichen Stellen zu finden. Diese können radioaktiver als berechnet sein, weil sie in den ersten Betriebsjahren schlecht dokumentiert wurden. Dann kann sich die Demontage um die Zeit verzögern, die es braucht um sie zu beurteilen und zu konditionieren.»

Finanzierung. Für Mühleberg hat die BKW rund 800 Millionen Franken für den Abbau budgetiert. Besonders kostspielig sind aber die Entsorgung der radioaktiven Abfälle und deren Lagerung. Bei einem Budget von 1,3 Milliarden Schweizer Franken wird der Abfall die Gesamtrechnung auf 2,1 Milliarden Schweizer Franken erhöhen. Die BKW wird die vollen Kosten aus verschiedenen Fonds für unvorhergesehene Ausgaben bezahlen.

Obwohl die Rechnung hoch erscheint, weist die BKW darauf hin, dass sie über die 47 Betriebsjahre der Anlage nur etwa einen Rappen pro erzeugter Kilowattstunde ausmacht.

Abfall. Nicht-radioaktiver Abfall kann recycelt oder auf Deponien gelagert werden, aber radioaktiver Abfall muss schliesslich in geologischen Tiefenlagern aufbewahrt werden. Solche gibt es in der Schweiz jedoch noch keine. Es laufen aber Versuche, um geeignete Standorte zu finden. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle Nagra hat die Aufgabe, bis 2022 drei Standorte vorzuschlagen. Anschliessend kann sie Anträge für den Bau der Endlager stellen. Vorbehaltlich der Genehmigung durch den Bundesrat und dann durch das Parlament und unter der Annahme, dass eine Volksabstimmung sehr wahrscheinlich ist, werden die Endlager jedoch möglicherweise nicht vor 2040 zur Verfügung stehen. Bis dahin dürften die radioaktiven Abfälle in Würenlingen wohl an der Oberfläche bleiben.

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